Die Essener Bundestagsabgeordnete Petra Hinz musste wegen ihres gefälschten Lebenslaufs zurücktreten. Eine enttäuschte Wählerin zieht Bilanz.
Liebe Frau Hinz,
wochenlang hing Ihr Gesicht während des Wahlkampfs an der Laterne vor unserem Vorgarten. Wenn meine Mutter das Unkraut jätete oder mein Vater den Müll rausbrachte, schauten Sie zu. Und wir sahen Sie. Da prangte in roten Lettern das Logo der SPD. Schick, und freundlich sahen Sie immer aus auf den Wahlplakaten: Blazer, weiße Bluse, geföhnte Haare und schön geschminkt. Das hat mir gefallen. Denn es wirkte so konservativ-glamourös. Ihr Gesicht versprach: Ich bin eine von euch und mit mir wird alles besser, hier im Westen. Und ein wenig Glamour, das wissen wir beide, kann unsere Heimatstadt vertragen.
In Essen-Frohnhausen, da wo ich geboren und aufgewachsen bin, wo das Herz höher schlägt, weils Heimat ist und wo Sie, Frau Hinz, Vorsitzende des SPD-Ortsvereins sind, glänzt sonst nicht viel. Einst, da stand der Wahlkreis 120 für stolze Krupp-Mitarbeiter, für nette Mehrfamilienhäuser, für schuftende Familienväter. Klassisches Proletariat eben. Heute hat sich die Lage im Essener Westen verändert: Menschen mit Migrationshintergrund sind zugezogen, alle Freibäder haben dichtgemacht und an den S-Bahn-Stationen werden regelmäßig die Scheiben eingeschlagen. Willkommen im Problemviertel?
Ein Image, das in der SPD selten geworden ist"Nein", haben Sie gesagt. Noch ist nichts verloren. Denn da sind auch die freudigen Entwicklungen, die, die Mut machen: grüne Parkanlagen und neue Fahrradwege, die von Frohnhausen zur Ruhr führen. Sie, Frau Hinz, haben immer gesagt: "Wat willste, dat is doch schön hier. Und wat nich schön is, machen wa halt schön." Zugegeben, ich habe Sie zwar nie in so einem Ruhrpott-Slang sprechen hören, aber es ist diese Botschaft, die bei den Bürgern ankam, womit Sie die Wählerherzen eroberten. Sie waren immer und überall irgendwie präsent und verkörperten dieses Image, das in der SPD selten geworden ist: die Zuhörerin, die Kümmerin. Petra Hinz erschien mir quasi als die kleine zupackende Schwester von Hannelore Kraft. Bei mir wirkte das, ich hatte das Gefühl: Sie und ich, wir haben etwas gemeinsam, wir lieben unsere Heimat, den wilden Westen, den meistbesiedelten Teil Essens.
Zwei Mal habe ich Sie deswegen gewählt, Frau Hinz. Zwei Mal! 2009 machte ich mein Kreuz hinter Ihren Namen und bei der Bundestagswahl 2013 wieder. Denn Sie wirkten authentisch, ehrlich, vertrauensvoll. Dass Sie Jura studiert haben sollen, das wusste ich damals nicht einmal. Ehrlich gesagt, ob BWL oder Philosophie, dat is mir alles schnurzpiepegal gewesen, um sprachlich mal im Ruhrgebiet zu bleiben. Sie haben mit Ihrem Programm überzeugt.
Gut erinnere ich mich an diesen Flyer mit dem Titel "Denk.bar für Frohnhausen bis 2020". Auf der ersten Seite Ihr Gesicht, auf der vierten Seite dann die lange Aufzählung, was alles schon erreicht wurde: "Neubau und Umgestaltung von Kindertagesstätten (3,6 Millionen Euro), Sanierung der Eissporthalle (4 Millionen), Sanierung und Neuanschaffung von Spielgeräten auf Spielplätzen." Das tat gut, denn es tat sich was in unseren hässlichen Ecken. Nicht alles in den vergangenen zehn Jahren, seitdem Sie im Bundestag sitzen, ist besser geworden, aber manches schon. Dass der Hundekot im Gervinuspark, wo ich als Jugendliche oft rumhing, nicht mehr aufm Boden liegen bleibt, weil es jetzt sogenannte Hundekotbeutelstationen gibt, haben Sie durchgesetzt.
Auf Facebook waren wir befreundet. Wobei "befreundet" nun seltsam klingt. Sagen wir es so: Ich bin Ihnen gefolgt, weil Sie meine Bundestagsabgeordnete waren. In den sozialen Medien haben Sie die Teilnahme am Schützenfest dokumentiert und die Besuche auf der Kirmes. Sie zeigten sich fröhlich, bürgernah und gesellig. Sie wünschten frohe Weihnachten und gesegnete Ostern und manchmal, da habe ich das gelikt oder Ihnen auch ein "Frohes Fest" gewünscht.
Jetzt sind Sie abgetaucht, haben Facebook und Twitter gelöscht und sindzurückgetreten, weil Ihre – Zitat aus den Medien – "Lebenslüge" aufgeflogen ist. Ehrlich gesagt, ich konnte es nicht fassen, als ich die Schlagzeile las. "Die Hinz aus Frohnhausen?", schoss es mir durch den Kopf. Und dann kamen viele üble Dinge ans Licht, die vorher nur wenige wussten: Dass Sie vielleicht gar nicht so nett sind, wie Sie tun. Dass Sie kaum Freunde haben, ihre Mitarbeiter schikanieren und in ihrem Lebenslauf dreist gelogen haben.
Jetzt wird dreckige Wäsche gewaschen, im Netz ernten Sie einen richtigen Shitstorm, auch die Entrüstung in der Partei ist groß. Ich kann das nachvollziehen. Und doch empfinde ich eher Wehmut statt Wut. Ich wünschte so sehr, Sie würden sich erklären, die Flucht nach vorne suchen, Ihre Beweggründe offen legen. Viele fühlen sich hintergangen. Auch ich denke mir: Wie konnten Sie uns so täuschen? Sind sie also doch keine von den Guten gewesen? Warum haben Sie das getan?
Was soll ich sagen, ich habe Sie gemocht, denn ich finde: Sie haben gute Arbeit geleistet. Und wäre ich noch in Essen und Sie noch wählbar, dann hätte ich wahrscheinlich 2017 wieder für Sie gestimmt. Aber das ist jetzt vorbei.
Ach, Frau Hinz, wissen Sie, was ich nicht verstehe? Wir kennen doch beide die Leute von daheim. Die hätten Sie doch auch ohne Abi und Studium überzeugen können. Ich meine, mal ehrlich, wer hat denn bei uns im Viertel schon Jura studiert?
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