Feiern mit politischem Auftrag: ASA 808 versucht als DJ und Produzent, die Techno-Szene vom Patriarchat zu befreien. Eine Begegnung über den Dächern Berlins.
Sophie Klock für die Berliner Zeitung am Wochenende
Manchmal ist es ein kleines Zeichen, das einen großen Unterschied macht. Ein bewusstes Stocken im Wort, ein Sternchen oder eben ein schlichtes Komma. Der boy crush, also der Typ, in den man gerade verknallt ist, wird mithilfe eines kleinen Strichs zur Handlungsaufforderung: „Boy, crush": Junge, zerbrich! So heißt das Debütalbum von ASA 808, dessen Künstlername auf den legendären Roland-Drumcomputer TR-808 verweist, berühmt für seinen weichen Sound. Natürlich möchte der Berliner DJ und Produzent, der sich selbst als non-binary identifiziert, mitnichten alle Jungs crushen. Die starren Konzepte von Männlichkeit hingegen schon. Zu lange war Asa selbst in ihnen gefangen.
„Ich hab es schon als Kind geliebt", sagt Asa, „mir alles, was glitzert, an den Leib zu werfen - und Tanzschritte einzuüben. Das hab ich aber über eine lange Zeit total eingeschränkt. Berlin hat mir die Freiheit eröffnet, meinen eigenen Ausdruck zu finden - sozial, sexuell und musikalisch. Weil ich Menschen kennengelernt habe, mit denen ich so sein durfte und dieses innere queere Kind rauslassen konnte." Gerade von männlichen Freunden sei er früher oft zurückgewiesen worden, erinnert sich Asa. Zu weich. Zu touchy. Zu gay. Vor diesem Hintergrund erscheint das Musikvideo zu „Boy, crush" radikal. Radikal zärtlich.
Asa und eine Gruppe vorwiegend männlich gelesener Menschen treffen sich darin auf einem Berliner Flachdach in der sommerlichen Abendsonne. Statt Bier gibt es Rosésekt. Statt diesen kumpelhaften, immer etwas zu harten Rückenklopfern liebevolle Umarmungen. Die Jungs lackieren sich gegenseitig die Fingernägel, probieren Blumenhemden und Perlenketten an. Organische Breakbeats, zuckerwattige Synthiflächen und verträumt-flirrende Pianoteppiche betten die Szenerie in weiche Soundscapes.
Asas erste musikalische Liebe - Ambient - durchzieht das ganze Album und bietet das perfekte Grundrauschen, um sich auf „Boy, crush" in eine bessere Welt zu träumen. In eine Welt, in der Männer sich gegenseitig die Schminkspiegel halten können, ohne blöde Sprüche aufgedrückt zu bekommen. Aufgehübscht geht es im Video dann mit einer Traube Luftballons in der Hand zum Tanzen ins „://about blank", wo ASA 808 als DJ hinter den Decks steht. Der Club am Ostkreuz ist Asas Homebase. Hier veranstaltet er gemeinsam mit dem TOYS-Kollektiv seit über zehn Jahren Solipartys, deren Einnahmen an wechselnde NGOs gespendet werden - unter anderem an Seawatch, den Berliner Kältebus, LesMigraS oder das Women* Life Freedom Kollektiv.
„Feiern sollte kein Selbstzweck sein", findet Asa. „Klar ist es okay, einfach zu feiern, und in dieser Stadt gibt es ja auch genügend Gelegenheiten dazu. Aber ich find es auch schön, wenn Feiern gesellschaftliche Verhältnisse reflektiert und einen Beitrag leistet, die Stadt und die Welt ein bisschen gerechter zu machen."
Neben der Diversität der Menschen hinter den Decks ist es Asa dabei auch wichtig, musikalisch über den Tellerrand zu schauen. TOYS stemme sich bewusst „gegen den Berliner Einheitsbrei". Für den hegt Asa eine gewisse Hassliebe, gesteht er mit einem verschmitzten Lächeln. Heißt bei ihm: weniger minimalistischer Stampf-Techno, dafür mehr Acid, Bass, House und Disco. Die Orientierung gehe klar Richtung UK oder Amsterdam. Allerdings nur musikalisch. Denn Asa ist sich sehr bewusst, dass die Feierszene in Berlin gerade für queere Menschen wie ihn einen weltweit einzigartigen Frei- und Schutzraum bietet.
Vor etwa anderthalb Jahren fing ASA 808 an, auf seinem Instagram-Account die Pronomen „he/they" einzufügen und sich öffentlich als nicht-binär zu labeln. Das rotblonde Haar färbt Asa pastellpink. In seinen Posts geht es verstärkt um queere Themen und Feminismus. Ein Hashtag tauchte dabei immer wieder auf: #detoxmasculinity. Toxische Männlichkeit steht für ein männliches Rollenbild, das von Dominanz, Gewaltbereitschaft, Frauen- und Homofeindlichkeit geprägt ist. Obwohl es den Begriff schon seit den 80er-Jahren gibt, hat er besonders seit der Präsidentschaft Donald Trumps an Bedeutung gewonnen. Trump ist der Prototyp des toxischen Mannes. Doch auch auf weniger radikaler Ebene prägen toxische Vorstellungen von Männlichkeit unseren Alltag.
Männer weinen nicht. Männer haben immer Lust auf Sex. Frauen und Männer können nicht befreundet sein. Männer müssen alles allein schaffen und fragen nicht nach Hilfe. All das sind Klischees, die wir als Gesellschaft noch bewusst verlernen müssen, findet Asa. Als Denkanstoß dazu hat er zum Release von „Boy, crush" in der ganzen Stadt Plakate aufgehängt. Darauf zu sehen ist das Plattencover, sein Gesicht hinter einem Neonfilter. Darüber die Frage „Why can't men just ..." und ein leerer Strich zum Ausfüllen.
„Es gab wirklich so viele tolle Antworten!", freut sich Asa über die Resonanz der Kampagne. „Acknowledge their privilege. Show their feelings. Cry. Stop fighting. Und eine ganz wichtige Sache: Talk about trauma. Talk about mental health. Weil ich das Gefühl hab, dass das etwas ist, was so oft männliche Gewalt zum Überlaufen bringt." Asa hat selbst mal in einer Fachstelle für Traumatisierte gearbeitet und weiß, wie es um die Therapieresistenz vieler Männer bestellt ist. Auch die Silvesterkrawalle in Berlin betrachtet er unter dieser Linse: „Natürlich ist das keine Frage von Migration oder Nichtmigration. Es ist eine Frage von toxisch-männlichen Verhaltensweisen. Eine Frage von Dominanzgehabe, von Gewaltbereitschaft. Das zu demonstrieren und die eigene Frustration an anderen auszulassen."
Mit seiner Musik will ASA 808 zeigen, dass es auch anders geht. Dass es nicht nur eine richtige Art von Mann-Sein gibt. Nicht nur eine richtige Art zu lieben. Im Video zu „Love No Matter What" sieht man daher polyamores Gruppenkuscheln in der brandenburgischen Datsche. Gefilmt hat das Charis Uster, die auch schon mit der feministischen Pornofilm-Produzentin Erika Lust zusammengearbeitet hat. Lust geht es in ihrer Arbeit stets darum, sich mit ihren Pornos dem male gaze, also dem in der Branche dominierenden männlichen Blick zu entziehen, mit Erwartungen zu brechen und alternative Perspektiven auf das Genre zu eröffnen. Ähnlich könnte man das beschreiben, was ASA 808 mit seiner Musik und Ästhetik macht.
Mit seinem pastelligen Wohlfühlsound zwischen poppigem UK Garage, glitzerndem Post-Bar-25-House und sampleverliebtem, organischen Minimal setzt ASA 808 einen bewussten Kontrapunkt zu dem, was gerade Trend ist: dem Schriller-schneller-härter-Trancesound, der gerade in der restlichen Clubszene im 140+BPM-Tempo die Marschrichtung vorgibt. Dem harten DJ-Gehabe setzt er radikale Softness entgegen. Betont Community statt Ellbogenmentalität. Authentizität statt Coolness-Pose. Idealismus statt Ironie.
Die nächste TOYS-Party findet am 17. März im „://about blank" statt, die Spenden gehen an das Women* Life Freedom Kollektiv.