Erschienen: 5. Mai 2018
Der Hamburger DJ Koze ist seit 25 Jahren genialer Querdenker und alberner Klassenclown der elektronischen Musikszene. Auf seinem neuen Album „Knock Knock" wagt er erstmals den Blick in den Rückspiegel.
Eine staubige Straße in Indien. Barfüßige Kinder rennen durchs Bild, im Schatten der knorrigen Bäume blinzeln sich Kühe gelangweilt die Fliegen aus den Augen. „Ein wahrer Künstler ist einer, der Risiken wagt, um etwas Neues zu schaffen", verkündet ein Mann im Ferrari-Hemd und startet sein altes Motorrad. Ein verträumtes Funkgitarren-Riff setzt ein, aus der Vogelperspektive folgt die Kamera der Fahrt zu einem alten Rummelplatz.
Über ein Megafon kündigt jemand den „Well of Death" an, in dem der Motorradfahrer im rechten Winkel an der Wand lang fahren wird. „Und eine wichtige Ankündigung! Er hat es wieder getan: ein neues Wunder, das neue Album von DJ Koze!", ruft der Mann mit dem Megafon in Hindi. Das Plakat, auf das er deutet, zeigt besagten DJ Koze mit Sombrero auf einem Baobab-Baum, die Aufschrift in Sanskrit verrät - wahrscheinlich - den Titel „Knock Knock".
Der Trailer zum dritten Autorenalbum von Stefan Kozalla bringt das absurd-komische Koze-Universum in zwei Minuten auf den Punkt. Der DJ und Produzent, dem in Interviews wahrscheinlich keine Frage öfter gestellt wurde als die, ob man sein Alias wie das Erbrochene oder die englische Gemütlichkeit ausspricht, hat sich in den letzten 25 Jahren als Klassenclown der elektronischen Tanzmusik etabliert.
In den Neunzigern tourte er mit der Hamburger Hip-Hop-Kombo Fishmob als Vorband von den Ärzten durch die wiedervereinte Bundesrepublik und war am ersten Fettes-Brot-Hit „Nordisch By Nature" beteiligt. Mit Erobique und Cosmic DJ gründete er 2002 die Elektrofunk-Supergroup International Pony. Unter klangvollen Alter Egos wie Adolf Noise und Monaco Schranze etablierte sich Koze mit viel Klamauk bald als Solokünstler und Remixer und brachte der allzu ernsten Techno-Szene den Humor zurück.
Stolpernde Beats
Doch weil auf jede Party der Kater folgt und die lustigsten Menschen meist die düstersten Seelen haben, folgte acht Jahre nach dem unbeschwerten Solo-Debüt „Kosi Comes Around" (2005) das exzentrische „Amygdala" (2013) - Kozes erstmals ironiefreie, nachdenkliche Antwort auf den internationalen Erfolg und die gesteigerte Erwartungshaltung an seine Kunst. Der rastlos Reisende scheint weitere fünf Jahre später auf „Knock Knock" sicher nicht vollends angekommen. Aber er hat den Weg wiedergefunden und wagt einen verstohlenen Blick in den Rückspiegel.
Der stolpernde Beat auf „Baby (how much i LFO you)" beschwört mit abgehackten Samples und gescratchten Soulplatten Kozes frühe Hip-Hop-Tage herauf. „Moving in a Liquid" könnte dem dritten, nie erschienen International-Pony-Album entsprungen und Feature-Gast Eddie Fummler dank verfremdeter Autotune-Stimme das uneheliche Kind von Daft Punk und Erobique sein. Apropos Features: Nach Dirk von Lowtzow, Caribou, Apparat und Hildegard Knef auf „Amygdala", holt er sich auf „Knock Knock" wieder einige Hochkaräter an Bord - und dreht sie konsequent durch den Koze-Fleischwolf.
Sängerin Róisín Murphy darf wahlweise die Disco-Queen („Illuminaton") oder schwermütige Soul-Diva („Scratch That") spielen. Da für Koze die Stimme nur eine Farbnuance im kleinteilig verwobenen Klangteppich ist, werden Phrasen zerhackt, geloopt und manchmal bis zur Unkenntlichkeit gepitcht. So bleibt von Bon Ivers Falsett auf „Bonfire" kaum mehr als ein geisterhaftes Flüstern, während José Gonzáles auf „Music On My Teeth" klingt, als hätte der Nachbar das alte Röhrenradio wiederbelebt und das Fenster offengelassen. Perfekt wird die Nostalgie mit Sophia Kennedy, dem jüngsten Zögling von Kozes Label „Pampa Records", die auf „Drone Me Up, Flashy" Hildegard Knef alle Ehre erweist.
Am stärksten bleibt Koze aber auf seinen Instrumentalstücken. Die disneyhafte Flötenmelodie auf dem programmatischen Opener „Club der Ewigkeiten" ist der Weckruf für die After-after-Hour, auf der man zu „Seeing Aliens" wohlig zum Sektfrühstück schunkelt. Absolutes Highlight ist der Filter-House-Track „Pick Up", der von BBC Radio 1 zu Recht bereits zur „Hottest record in the world" gekürt wurde und wohl der Festivalhit des Sommers wird. Die zurückgelehnte Disco-Nummer beweist in ihrer genialen Einfachheit, wie wenig es braucht, um einen Dance-Hit zu schreiben: Four-to-the-Floor Beat, Funk-Gitarre und eine Prise Schmerz.
Es ist dieser Kontrast zwischen gut gelaunter Hook und dem tieftraurigen Soulsample von Gladys Knight, der die Essenz von House Music kondensiert. Tanzend, in der ständigen Angst, der nächste Track könnte die Party beschließen, will man nur „One More Time!" flehen.
„Knock Knock" zelebriert den Moment im Wissen um seine Vergänglichkeit. Man könnte sich in Kalendersprüchen ergehen, kein Licht ohne Schatten, keine Liebe ohne Leiden und so weiter. Ein bisschen Schmerz muss sein, und Malle ist nur einmal im Jahr. Lustigerweise trifft das bei Koze irgendwie alles sogar ein bisschen zu.