ist unbedingt eine des Körpers. So weit, so gut, so banal - an ihrem Anfang steht eine Krankheit. Doch ist auch der metaphorische, der kollektive Körper davon betroffen: Das soziale Gewebe, die Muskeln und Sehnen gesellschaftlicher Zusammenhänge, all die Knochen und das Blut des Miteinanders müssen neu gedacht, unsere Bewegungen miteinander und vor allem jene aufeinander zu neu gestaltet werden.
Ein paar Beispiele:
1. N. und ich beim Wocheneinkauf. Ich sage etwas und sie versteht es gleich zwei Mal nicht. Zuerst, weil die Maske vor meinem Mund den Schall verschluckt, und dann noch einmal, weil sich aus meinem Gesicht nicht ablesen lässt, wie ich die Aussage wohl meinen könnte.
2. Als B. bei unserer Ecke im Park ankommt, will ich reflexartig von meiner Decke aufstehen und lasse es dann. Er patscht seinen rechten Fuß gegen meinen. „You guys haven't seen each other for so long!", sagt C. und hat damit zwar recht, aber auch nicht: Zuletzt haben wir vor etwa einem Monat über Facetime ein Fläschchen Wein miteinander getrunken.
3. Es ist Freitagabend und ich laufe mit einem Bier in der einen und meinem Telefon in der anderen Hand durch die Nachbarschaft, als mir jemand entgegenkommt, der genau dasselbe tut: Bierspazieren mit Buddy an der Strippe. Ich finde das für einen Moment dermaßen surreal und witzig, dass ich S. nicht richtig zuhöre. Der erzählt gerade, dass ihm der Gedanke Trost spendet, dass nicht nur er sondern auch tausende andere gerade von brenzlig-prekären Umständen in existenzielle Not abzurutschen drohen. Wir sind nicht allein. Ja, sage ich, daran zu denken hilft - manchmal zumindest.
4. „Ich komme aus Mailand. Ich kenne Menschen, die sind gestorben", sagt C. zu ihrem (zum Glück seitdem: ehemaligen) Vermieter, der das abtut: Die seien vielleicht mit, aber nicht am Coronavirus gestorben und sowieso sei das alles ein Plot der WHO, die übrigens von Bill Gates finanziert würde und und und... Als die Wohnungsübergabe vorüber ist, sage ich zu ihr, dass ich nicht geglaubt hätte, dass solche Menschen außerhalb der Facebook-Kommentarsektion existieren. Bevor wir uns mit einem Winken verabschieden und nur die Falten um unsere Augen herum verraten, dass wir das mit einem Lächeln tun, empfehle ich ihr noch Paolo Giordanos Nel Contagio.
Giordanos mittlerweile auch ins Englische und Deutsche übersetzte Büchlein liefert einen wichtigen ergänzenden Gedanken zu Žižeks Einsicht, dass aktuell Solidarität neu gedacht werden müsse, weil Solidarität anders als zuvor mit Distanz einher ginge. Praktische Solidarität und physischer Einsatz scheinen einander mittlerweile auszuschließen. Unsere Solidarität, schreibt dahingegen Giordano, befände sich in einer Krise, die auch eine der Vorstellungskraft sei. Wer sich nicht distanzieren möchte, tut das gemeinhin, weil es am Vermögen mangelt, die Konsequenzen des eigenen Handelns in globaler Perspektive abzuwägen. Womit wir wieder beim Körper angekommen wären.
Vielleicht sind die Grenzen unserer Körper auch die Grenzen unserer Welten, womöglich können wir ohne die sinnliche und emotionale Wahrnehmung, ohne körperliche Konsequenzen kein Gespür entwickeln für die Welt außerhalb unserer Haut. Wenn das Coronavirus den Menschen doch nur blaue Punkte ins Gesicht zaubern würde, sagte N. schon im März, würden sich die Menschen in Berlin anders verhalten. Zu der Zeit wurden in ihrer ehemaligen Heimat Mailand die Toten mit Militärfahrzeugen aus den Krankenhäusern abtransportiert. Das waren Bilder, die allen direkt oder indirekt Betroffenen psychisch wehtaten und ihnen damit auch körperlich nahegingen. Es waren Bilder, die um die Welt gingen und dann doch keine breite Solidarität auslösten, weil sie nicht in die Körper eindringen konnten, die sich von all dem weit entfernt wähnten.
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