3 Abos und 2 Abonnenten
Artikel

Eine «mutige und wache Stimme» - Asli Erdogan erhält Friedenspreis

Asli Erdogan beim Remarque-Friedenspreis in Osnabrück

Von Kristina Wienand, dpa 


Osnabrück - Zum ersten Mal seit Monaten kann Asli Erdogan ein wenig lachen. Das gibt die vielfach ausgezeichnete, türkische Autorin in Osnabrück vor Journalisten zu - einen Tag bevor sie dort den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis entgegennimmt.


„Ich habe mich immer für die Opfer eingesetzt und war deren Stimme, bis ich selbst zum Opfer wurde", sagt Erdogan dann am Freitag bei der Verleihung im Friedenssaal des Rathauses der Stadt. Die 50-Jährige spricht mit leiser, aber fester Stimme zu den etwa 130 Gästen. Als Oberbürgermeister Wolfgang Griesert ( CDU) Asli Erdogan die Urkunde für den mit 25 000 Euro dotierten Preis überreicht, wirkt die zierliche Frau gerührt und überwältigt. Sie hält schützend eine Hand vor ihr Gesicht, verdrückt eine Träne. Es ist die 14. Verleihung des Friedenspreises, Asli Erdogan erst die zweite weibliche Preisträgerin, heißt es von der Jury.


Die studierte Physikerin war im August 2016 nach dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei verhaftet worden, im Dezember kam sie wieder frei. Sie habe sich noch immer nicht von den Schmerzen und Demütigungen erholt, erzählt Asli Erdogan. Noch vor zwei Wochen sei sie depressiv gewesen, habe sogar Selbstmordgedanken gehabt.


In ihren Texten beschreibt Erdogan den Alltag der Menschen in der Türkei unter dem Eindruck der politischen Situation. Bei einer Podiumsdiskussion am Vorabend der Verleihung erzählte sie, dass sie im Sommer vergangenen Jahres kurz vor dem Putsch Anzeichen für eine Apokalypse wahrgenommen habe. Sie habe gespürt, dass ihre Festnahme kurz bevor stand. Allerdings habe sie gedacht, dass sie nach 24 Stunden wieder frei gelassen werden würde. Doch das geschah nicht.


Erst vor zwei Wochen hatte die Stadt Osnabrück bekannt gegeben, dass Erdogan ihren Reisepass überraschend zurück erhalten habe und persönlich zur Übergabe der Auszeichnung kommen könne. An vielen Verleihungen konnte Asli Erdogan in den vergangenen zehn Monaten nicht teilnehmen. Umso glücklicher und erleichterter sind sie und die Organisatoren, dass ihre Ausreise geklappt hat. Sie könne mit Worten kaum ausdrücken, wie dankbar sie sei, so Erdogan.


„Frau Erdogan ist eine mutige und wache Stimme, die uns immer wieder aufs Neue beweist, wie wichtig es ist, auch gegen große Widerstände für seine Gedanken und Überzeugungen einzustehen", würdigt Außenminister Sigmar Gabriel ( SPD) sie.


Viele andere der Laudatoren betonen in Osnabrück, wie sehr sich die Menschen in Europa ein Beispiel an ihr nehmen sollten. Asli Erdogan sei ein tolles Beispiel, „was Mut und Aufrichtigkeit bewirken können", erklärt der Gründer von Pulse of Europe, Daniel Röder. Seine Initiative erhält den mit 5000 Euro dotierten Sonderpreis.


Auch Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, hebt den Mut Erdogans hervor. Skipis beschreibt, wie er im November vergangenen Jahres an einer Mahnwache für die Autorin vor dem Istanbuler Frauengefängnis, in dem sie saß, teilnahm. „Ich habe in diesem Moment zum ersten Mal erlebt, was Unfreiheit bedeutet", beschreibt Skipis eindrucksvoll.


Asli Erdogan ist in ihrer Heimat wegen Terrorvorwürfen angeklagt. Ihr Prozess soll im Oktober beginnen. Sie nimmt an, dass ihr Alltag überwacht wird, „jedes Gespräch am Telefon, jede Mail" verfolgt wird. Was ihr droht, wenn sie zurückkehrt, weiß sie nicht.

Zum Original