Präsident Macron will die aktive Sterbehilfe in Frankreich legalisieren. Derweil ist ein Arzt in Berlin wegen Totschlag angeklagt, weil er einer depressiven Frau zum Suizid verhalf. Ist die Reform auch für Deutschland denkbar?
Es sind nur zwei Worte, und doch machen sie einen bedeutenden Unterschied: Schwer kranke Sterbewillige in Frankreich sollen sich die tödlichen Medikamente „sofern möglich" selbst verabreichen. So soll es in einem Gesetzentwurf stehen, über den Präsident Emmanuel Macron in einem Interview mit den französischen Zeitungen „Libération" und „La Croix" spricht. Wenn dieser wie geplant beschlossen wird, würde Frankreich aktive Sterbehilfe legalisieren. Es wäre nicht das erste europäische Land. In den Niederlanden, in Luxemburg, in Spanien und Belgien ist aktive Sterbehilfe bereits möglich. Nicht so in Deutschland.
Aber von vorne: Juristisch wird in Deutschland zwischen dem assistierten Suizid und der aktiven, passiven und indirekten Sterbehilfe unterschieden. Der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen zum Beispiel gilt als passive Sterbehilfe. Wenn der oder die Betroffene durch schmerzlindernde Medikamente früher stirbt, spricht man von indirekter Sterbehilfe. Beides ist in Deutschland erlaubt und teils sogar medizinisch geboten.
Aktive Sterbehilfe, assistierter Suizid - was ist der Unterschied?Macrons Reform würde aber den assistierten Suizid und die aktive Sterbehilfe betreffen. Beides Formen, die auch in Deutschland entweder verboten oder hoch umstritten sind. Bei dem assistierten Suizid gibt ein Arzt oder eine Ärztin dem Patienten oder der Patientin ein tödliches Mittel und er oder sie nimmt es ein. Aktive Sterbehilfe oder auch Töten auf Verlangen würde bedeuten, der Arzt oder die Ärztin reicht das Mittel nicht nur, sondern setzt etwa die Spritze.
Im Fall von assistiertem Suizid müsste sich der oder die Betroffene die Spritze selbst setzen. Eine rechtliche Grauzone. Denn seitdem das Bundesverfassungsgericht das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe 2020 für verfassungswidrig erklärte, gibt es noch keine neue Regelung. Zwei Initiativen scheiterten im vergangenen Sommer im Bundestag.
Das soll anders werden in FrankreichErwachsene Menschen sollen um Sterbehilfe bitten können, wenn sie an einer unheilbaren und kurz- oder mittelfristig lebensbedrohlichen Krankheit leiden, die ein Leiden verursacht, das sich nicht therapeutisch beheben lässt. Betroffene sollen innerhalb von zwei Wochen eine Antwort auf ihre Bitte erhalten. Die tödlichen Medikamente sollen sie sich, sofern möglich, selbst verabreichen. Die Entscheidung darüber, ob jemand aktive Sterbehilfe erhalten kann oder nicht, soll im Team getroffen werden. Mindestens zwei Mediziner müssten demnach gemeinsam entscheiden. Gesundheitspersonal soll zudem die Möglichkeit haben, aktive Sterbehilfe persönlich abzulehnen. Allerdings müsse das Personal die Patienten in einem solchen Fall weitervermitteln.
Kann die Reform der Sterbehilfe in Frankreich ein Vorbild sein für Deutschland? Nach Einschätzung von Andreas Lob-Hüdepohl, Theologe, Sozialethiker und Mitglied des Deutschen Ethikrates, eher nicht. „Die aktive Sterbehilfe, also das Töten auf Verlagen, wird in Deutschland nicht legalisiert werden", sagt er im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Das liege daran, dass im Nationalsozialismus Missbrauch mit dem Töten auf Verlangen betrieben wurde. Stichwort: Euthanasie.
Zudem sei die geltende Rechtslage in Deutschland um ein Vielfaches weiter als das, was Macron jetzt in Frankreich vorhat. Macron beschränkt die Sterbehilfe auf erwachsene Menschen, die an einer unheilbaren und kurz- oder mittelfristig lebensbedrohlichen Krankheit leiden. „In Deutschland gibt es keine sogenannte Reichweitenbegrenzung", sagt Lob-Hüdepohl. „Da zählt der freiverantwortliche, ernsthafte Beschluss einer suizidwilligen Person. Sie muss dafür aber nicht schwer krank sein."
Wann ist ein Suizidwunsch ernsthaft und freiverantwortlich?Das sind allerdings die allerwenigsten. „Nur 5 Prozent der Suizidbegehren in Deutschland sind freiverantwortlich und ernsthaft", sagt Lob-Hüdepohl. Bei den anderen 95 Prozent könne der Suizidwunsch Symptom einer Erkrankung sein oder es handelt sich um einen volatilen Wunsch, also einen unbeständigen. In beiden Fällen wäre eine Assistenz also nicht begündbar. „Es muss eine ernsthafte Selbsttötungsabsicht vorliegen, damit eine Assistenz gerechtfertigt ist."
Aber wann ist ein Suizidwunsch freiverantwortlich und ernsthaft? Das ist oft nicht ganz klar. Im Sommer 2021 legte ein Arzt (bekannt als „Dr. Tod") einer 37-jährigen Studentin in einem Hotelzimmer eine Infusion mit einem tödlich wirkenden Medikament. Diese löste die Frau den Angaben zufolge selbst aus. Kurz darauf sei sie gestorben. Die Frau litt seit 2005 an Depressionen. War die psychisch Erkrankte in der Lage, aus freiem Willen zu entscheiden? Diese Frage wird gerade am Berliner Landgericht verhandelt. Der Vorwurf: Totschlag in mittelbarer Täterschaft.
Aktive und passive Sterbehilfe: Was heißt das eigentlich?„Eine psychische Erkrankung schließt eine freiverantwortliche Entscheidung nicht grundsätzlich aus", sagt Lob-Hüdepohl. In diesem Fall aber sei die Lage eine andere. Die betroffene Frau habe den Arzt am Tag ihrer Entlassung aus der Psychiatrie bedrängt. Er habe sich genötigt gesehen, ihr noch am selben Tag ein Mittel zu geben, um einen gewaltsamen Suizid zu verhindern. „Das ist ein absolutes No-Go. Dafür brauchen wir in Deutschland eine klare Regelung." Klare Regelung meint hier Kriterien für genau diese Fälle: Was braucht es, um die Freiverantwortlichkeit und Ernsthaftigkeit der Entscheidung zweifelsfrei sicherzustellen?
Ein erster Schritt wäre eine zweite Meinung, findet Lob-Hüdepohl. „Macron will, dass die Entscheidung für Suizidhilfe im Team getroffen wird. Das würde ich für Deutschland auch empfehlen", sagt er. „Es ist wichtig, mindestens eine unabhängige Zweitmeinung einzuholen." Der Berliner Prozess mache noch mal deutlich, dass Regelungsbedarf bestehe. „Ich würde für ein moderates Regelungsregime werben wollen, in dem Kriterien für die ausreichend gesicherte Feststellung von Freiverantwortlichkeit definiert sind."
„Der Staat darf nicht das Signal aussenden, ein Leben sei nichts wert"Wie ist die gesellschaftspolitische Stimmung in Deutschland zum Thema Sterbehilfe mit Blick auf Frankreich? Kirsten Kappert-Gonther, Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, sieht die Reformideen ihres französischen Kollegen kritisch. „ Die erneute Debatte in Frankreich zeigt, dass immer die Gefahr einer fortwährenden Ausdehnung bestehender Grenzen besteht. Tötung auf Verlangen markiert eine Grenze, die nicht überschritten werden darf", sagt die Grünen-Politikerin dem RND. „Der Staat darf nicht das Signal aussenden, ein Leben sei nichts wert und Suizid oder Tötung seien vermeintlich einfache Alternativen für Zuwendung, Pflege und Suizidprävention."
Im Mittelpunkt müsse die Selbstbestimmung stehen, damit niemand zum assistierten Suizid gedrängt werde. Es sei wichtig, dass es ein Schutzkonzept für Menschen mit Suizidgedanken gebe. „Eine immer weitergehende Ausweitung von Sterbehilfe ist eine besorgniserregende Entwicklung. Die Suizidprävention muss ausgebaut werden."
Katrin Helling-Plahr, die rechtspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, spricht sich ebenfalls gegen die Legalisierung aktiver Sterbehilfe aus. „Nichtsdestotrotz ist es wichtig, dass wir eine Regelung der Sterbehilfe in Deutschland erreichen", sagt sie dem RND. „Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass es ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben gibt und damit auch das Recht eines jeden Einzelnen einhergeht, Hilfe zur Selbsttötung in Anspruch zu nehmen."
Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche lehnen ebenfalls eine Legalisierung aktiver Sterbehilfe für Deutschland ab und plädieren zudem für einen Ausbau der Palliativversorgung und Hospizarbeit. „Die katholische Kirche spricht sich nachdrücklich gegen alle Formen der aktiven Sterbehilfe und der Beihilfe zur Selbsttötung aus. Die Gesellschaft darf nicht zulassen, dass der künstlich herbeigeführte Tod in der Endphase eines Lebens zu einer ärztlichen Dienstleistung wird", sagt ein Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz. „Eine gesetzliche Regelung, die derartige Angebote duldet, würde dazu führen, dass der innere und äußere Druck auf alle Alten, Schwerkranken und Pflegebedürftigen zunimmt, von derartigen Optionen Gebrauch zu machen - um keine Last für Angehörige zu sein."
Ein Sprecher der Evangelischen Kirche in Deutschland fordert zudem eine gesetzliche Neuregelung der Suizidassistenz, die „Freiheit und Verantwortung gleichermaßen in den Blick nimmt". „Dabei muss klar sein, dass es für Grenzsituationen des Lebens keine abschießenden Regelungen geben kann, die diese einfach und nach allen Seiten befriedigend auflösen", sagt er dem RND. „Umso wichtiger ist ein stabiles gesellschaftliches Klima, ohne Ausgrenzung oder Vereinsamung und mit den bestmöglichen Unterstützungsangeboten. Am Ende liegt das menschliche Leben in Gottes Hand."
Haben Sie Suizidgedanken? Dann wenden Sie sich bitte an folgende Rufnummern: Telefonhotline (kostenfrei, 24 h), auch Auskunft über lokale Hilfsdienste: (0800) 111 0 111 (ev.) (0800) 111 0 222 (rk.) (0800) 111 0 333 (für Kinder / Jugendliche) E-Mail unter www.telefonseelsorge.de Zum Original