Die Nordstadt ist zum Szeneviertel unter Studenten geworden. Unsere Autorin Kira von der Brelie erzählt, warum sie der beste Studi-Kiez der Stadt ist.
Baufällig wirkender Plattenbau, Handyläden neben Dönerbuden - der Engelbosteler Damm macht auf den ersten Blick den Eindruck, seine Zeit wäre längst vorbei. Dass ich trotzdem in die Nordstadt zog, hatte zunächst lediglich den Grund, dass die Mieten in Linden zu teuer für mein Studentenbudget waren. Die Facebook-Gruppe „Suche Wohnung in Linden (na gut, Nordstadt ist auch ok)" spiegelte genau das wider, was auch ich dachte: Im Vergleich zu der Limmerstraße ist der E-Damm, der sich durch die Nordstadt schlängelt, nur ein schlechter Kompromiss.
Aus heutiger Sicht ist es der beste Kompromiss, den ich hätte machen können: Während das angesagte Linden mittlerweile von Szenetouristen und Hipstern überflutet wird, bewahrt die Nordstadt ihren gemütlichen Charme - und das ganz ohne Hype.
Verzichten muss man dabei auf kaum etwas: Stylische Läden wie den Indigo-Blumenladen oder Francesca & Fratelli gibt es mittlerweile auch am E-Damm. Im 24colours und Designkombinat gibt es fancy Klamotten zum stöbern. Dass diese direkt neben zwielichtigen Spielhallen und schmuddeligen Sonnenstudios stehen, schadet nicht. Ganz im Gegenteil: Die Mischung gibt der Nordstadt ihr unaufgeregtes Flair.
Ob der Weg zum Bäcker mit Jogginghose oder im modischen Outfit zurückgelegt wird, ist völlig egal. An der Kopernikusstraße hat „Andi" vor dem abgeranzten Netto sein Lager aufgeschlagen. Regelmäßig veranstaltet er dort eine kleine Party: Dann tanzt er vor einem vollgepackten Einkaufswagen und allerlei Kleinkram zur verwaschenen Musik aus seinem uralten Gettoblaster. Die Erde, die den Baum vorm Netto umfasst, hat er selbst mit Blumen bepflanzt. Auch das prägt das durchmischte Straßenbild des E-Damms.
Denn abseits von Gentrifizierung sind es besonders die alteingesessenen, die Kult-Läden, die die Nordstadt so liebenswert machen: Das geht vom schrulligen Internationalismus-Buchladen, in dem man den Inhaber erst hinter einem Bücherstapel suchen muss, bis zum lässig-entspannten 24-Grad-Café. Mitten auf dem Bürgersteig trinkt man dort, versunken in weichen Sesseln, Kaffee und beobachtet die Menschen beim Vorbeilaufen.
Manchmal versinkt man dann sogar noch tiefer im Sitz, weil Dozenten plötzlich am Nebentisch Platz nehmen. Der kurze Fußweg zum Conti-Campus oder Welfenschloss von gerade einmal zehn Minuten ist eben nicht nur für Studenten attraktiv - auch wenn es nur für eine Mittagspause abseits der Uni-Mensa ist. Da ist es eben auch weit weniger schlimm mal eben in die Bib zu gehen, als wenn man - wie aus der Südstadt - einen langen Fahrtweg hat.
Auch der Weg von der Platte in die Natur ist nicht weit: Im Sommer kann man im Georgengarten grillen oder in der Sonne faulenzen, im Winter spazieren gehen oder um die Herrenhäuser Graft joggen.
Ebenso wenig wie zu der nächsten Kneipe oder Kiosk, die sich besonders hinter der Uni regelrecht tummeln: In der liebevoll abgerockten Destille trifft sich die Philosophie-Fachschaft, bei Onkel Ollis Kiosk an der Lutherkirche kann man sich durch mehr als 200 Biersorten probieren. Und auch die Häuser ändern sich abseits des E-Damms: Alter Stuck und kunstvolle Street-Art verzieren die Häuserfassaden hinter der Uni und seit Kurzem auch am E-Damm.
Und die Nordstadt hat auch musikalisch Potenzial: Im Fahrradcafé am E-Damm kann man nicht nur Kaffee trinken, zwischen Fixies und Trekkingrädern finden auch regelmäßig Konzerte statt. Das Weidendamm ist der Hotspot in Hannover für Elektro-Partys und seit Kurzem sorgt der Club Niemandsland mit Hip-Hop und Jazz für musikalische Vielfalt.
Linden ist eben manchmal ein bisschen wie die, die früher im Bus immer hinten sitzen wollten: betont cool. Die Nordstadt ist auch cool - sie muss es aber nicht betonen.
Kira von der Brelie