Kilian Kirchgeßner

Korrespondent für Tschechien und die Slowakei, Prag

1 Abo und 3 Abonnenten
Artikel

Baby auf Bestellung

Die Zeit, Christ und Welt - In Tschechien blüht das Geschäft mit dem Kinderwunsch. Gesetzlich ist dort erlaubt, was in Deutschland verboten ist. Für viele Paare ist Prag die letzte Hoffnung. Ein Klinikbesuch

 

 

Niedlich sehen alle die Babys aus, die auf die Stecknadelköpfe gedruckt sind: Eins neben dem anderen, so pinnen sie auf der riesigen Weltkarte an der Wand, und Michal Jelen reist gern mit dem Finger über die Kontinente: Die USA sind markiert, Kanada, Vietnam, Jamaika, Saudi-Arabien, Russland, in Europa hat fast jedes Land seine Stecknadel. „Da überall sind Kinder auf die Welt gekommen, die wir hier gezeugt haben“, sagt Michal Jelen. Er steht im Besprechungsraum seiner Klinik, über dem Hemd einen legeren Pullover, und strahlt Zufriedenheit aus. „Natürlich“, sagt er, „kommen ständig neue Kinder dazu.“

Michal Jelen ist Geschäftsführer der Klinik IVF Cube in Prag, die sich auf künstliche Befruchtungen spezialisiert hat. Fast 600 Patientinnen pro Jahr wollen hier schwanger werden; es ist damit eine kleinere Klinik in Tschechien, wo die größten Einrichtungen der Branche locker 2.500 Befruchtungen pro Jahr schaffen. Sie alle behandeln tschechische Patienten, aber fast alle setzen auch auf das Geschäft mit dem Ausland. „Von dort werden eigentlich immer die gleichen Angebote nachgefragt“, sagt Jelen: „Therapien mit gespendeten Eizellen und Untersuchungen am sich entwickelnden Embryo.“ Es sind Methoden, die in Deutschland und einigen anderen Ländern gesetzlich verboten sind oder zumindest streng reguliert werden. Die tschechischen Gesetze sind weitaus liberaler.

„Der typische Weg ist, dass die Frauen in Deutschland schon mehrere Versuche einer künstlichen Befruchtung hinter sich haben, bevor sie zu uns kommen“, sagt Hana Visnova, die ärztliche Leiterin der Klinik IVF Cube. Ihr Büro ist makellos weiß, die riesigen Fenster gehen hinaus ins Grüne und in der Besprechungsecke stehen Designerstühle. Hier nehmen normalerweise die Frauen Platz, die nicht mehr weiterwissen: die trotz aller Versuche nicht schwanger geworden sind und deren Wunsch nach einem Kind trotzdem immer drängender wird. Und für die Hana Visnova die letzte Hoffnung ist: Seit fast zwei Jahrzehnten ist sie auf Reproduktionsmedizin spezialisiert, sie hat an öffentlichen Kliniken gearbeitet und dann vor dreieinhalb Jahren die eigene Prager Klinik eröffnet. Viele ihrer Patientinnen haben erst auf Umwegen erfahren, dass man ihnen in Tschechien vielleicht helfen kann: Wenn deutsche Frauenärzte die Therapie mit gespendeten Eizellen auch nur erwähnen, droht ihnen juristischer Ärger wegen Beihilfe zu einer illegalen Befruchtung – mehrere Prozesse vor deutschen Gerichten haben gerade in den vergangenen Jahren gezeigt, wie dünn das Eis ist im kleinen Grenzverkehr zum Nachbarland. „Es gibt aber spezielle Internetforen“, sagt Hana Visnova, „da tauschen sich die Betroffenen aus.“ Und dort stoßen sie auch auf Adressen von Kliniken im Ausland. Viele von ihnen tragen die drei Buchstaben IVF im Namen – eine Abkürzung, die für In-Vitro-Fertilisation steht, für die künstliche Befruchtung im Reagenzglas.

Wer zu Hana Visnova in die Sprechstunde möchte, muss in der Prager Altstadt die Straßenbahn nehmen, immer weiter rumpelt sie hinaus aus dem Zentrum in Richtung Flughafen. Zwanzig Minuten dauert die Fahrt, vorbei an neuen Bürokomplexen und einer Plattenbau-Siedlung. In einem klobigen Gebäude ist die Klinik untergebracht, in der alles auf sachliche Eleganz getrimmt ist: Auf dem hellen Parkett stehen moderne Skulpturen, die Wände sind mit großen Ölbildern behängt und die Sessel sind aus Leder. Hierher nach Prag kommt man von München oder von Berlin aus in dreieinhalb Stunden – die gut ausgebauten Autobahnen lassen den Weg zum Kind auf einen Tagesausflug zusammenschrumpfen.

„Es geht mit einer Einführungsberatung los, bei der wir auch alle Untersuchungen machen“, erklärt Hana Visnova. „Man kontrolliert das Spermium des Mannes, bei der Frau gibt es Ultraschalluntersuchungen und die üblichen Tests auf HIV, Syphilis und Hepatitis. Dann stellen wir einen Behandlungsplan auf und verschreiben einige Medikamente. Die meisten Paare fahren noch am gleichen Tag wieder nach Hause.“ Dort, in Deutschland, können sich die Frauen selbst die notwendigen Hormonspritzen setzen, ihr gewohnter Gynäkologe macht eine Ultraschalluntersuchung und einen Kontrolltermin – und dann, nach 14 Tagen, reist das Paar wieder nach Tschechien. Unter Vollnarkose entnimmt ein Arzt der Frau einige Eizellen, der Mann gibt sein Spermium ab, und schon können sie wieder nach Hause fahren. Fünf Tage später, wenn sich die Embryonen gut entwickelt haben, die im Labor hergestellt worden sind, kommt das Paar wieder – dann werden die Embryonen eingesetzt, eine Stunde dauert das, und danach ist alles vorbei. Den Rest der Schwangerschaft, so lautet das ideale Szenario, schafft der Körper dann alleine.

Das ist das einfache Szenario; dieses Vorgehen ist auch in Deutschland erlaubt. Komplizierter wird es bei Eizellenspenden: Wenn die Frau unfruchtbar ist oder so alt, dass ihre eigenen Eizellen kaum noch Hoffnung auf eine erfolgreiche Befruchtung zulassen, wird ihr ein Embryo eingesetzt, der aus dem Spermium ihres eigenen Mannes und der Eizelle einer fremden Spenderin entstanden ist. Die Mutter, die dieses Kind austrägt, ist also biologisch nicht mit ihm verwandt. Dank der jungen Spenderinnen, die meistens Studentinnen sind, ist die Erfolgschance mit einer fremden Eizelle unabhängig vom Alter der austragenden Frau.

Dass man mit einer Eizellenspende auf schwieriges Territorium vordringt, darüber spricht Hana Visnova ganz offen. „Am schwierigsten bei diesem Verfahren“, sagt sie, „ist die eigene Entscheidung des Paares. Sich bewusst zu machen, dass das Kind nicht aus der eigenen Eizelle entsteht, fällt vielen schwer. Viele Paare brauchen lange Zeit, bis sie sich dazu entscheiden.“ Zwei oder auch drei Beratungsgespräche seien in solchen Fällen die Norm, oft seien auch Psychologen beteiligt. Und immer wieder gebe es Paare, die dann trotz des brennenden Kinderwunsches Nein sagen. „Über die ethischen und moralischen Fragen muss man in der Gesellschaft debattieren“, sagt Hana Visnova. Sie selbst tritt immer wieder in tschechischen Medien auf – und appelliert dabei vehement an die Frauen, ihren Kinderwunsch nicht so lange zu vertagen, bis nur noch künstliche Methoden übrig bleiben. Aber sei es nicht genauso wichtig, denen zu helfen, die eben auf natürlichem Weg keine Kinder bekommen können?

„In Tschechien dürfen wir alles machen, was medizinisch möglich ist“, sagt Hana Visnova. Sicher habe das damit zu tun, dass die Kirche in der Öffentlichkeit so gut wie keinen Einfluss habe – Tschechien ist das europäische Land mit der niedrigsten Zahl von Kirchenmitgliedern. Dass nicht alle Länder so liberale Gesetze haben, halte sie für ungerecht gegenüber den Patienten: „Wie kann es sein, dass in Deutschland die Samenspende erlaubt ist, die Eizellenspende aber nicht? Das Ziel ist doch das gleiche: Es soll ein Kind entstehen. Wenn eine natürliche Schwangerschaft nicht möglich ist, weil der Mann keine Spermien produziert, darf man dem Paar helfen – und wenn die Frau krank ist, darf man es nicht?“ Das sei schlicht inkonsequent.

Die Debatten, die anderswo geführt werden, schwappen aber auch nach Tschechien. Beispiel Samenspende: Seit ein Gericht in Deutschland geurteilt hat, dass Kinder ein Recht haben zu wissen, von wem sie genetisch abstammen, flüchten viele Eltern bewusst nach Tschechien. Dort sind die Samenspenden, die auch in Deutschland möglich sind, anonym. Ihre Kinder können also nie erfahren, wer ihr leiblicher Vater ist – und der Samenspender kann umgekehrt auch nie mit seinen leiblichen Kindern Kontakt aufnehmen. Es gibt aber auch die Fälle, in denen die Paare die Anonymität bewusst aufbrechen wollen, weil sie durch die Debatte in Deutschland sensibilisiert sind: „Manche möchten mehr über die Spender erfahren als die üblichen Angaben wie Haar- oder Augenfarbe“, sagt Michal Jelen, der Prager Klinik-Geschäftsführer: „Sie wollen wissen, warum sie spenden, welchen Beruf sie haben und manchmal sogar, was sie dem Kind ausrichten möchten, das aus ihrer Spende entsteht.“

Wer nach Tschechien reist, um dort schwanger zu werden, muss dafür viel Geld bezahlen. Etwa 3.300 Euro kostet ein klassischer Befruchtungszyklus in Prag, rund 6.000 Euro sind es bei einer gespendeten Eizelle. „Wir sind nicht billiger als die Kliniken in anderen Ländern, vor allem wenn man noch die Reisekosten dazurechnet“, sagt Hana Visnova. Zum Sparen reise aber ohnehin niemand über die Grenze: „Wer zu uns kommt, will oft wegen des guten Rufs Tschechiens hier nach Prag.“ Und wegen der langen Tradition der Reproduktionsmedizin, die weit zurück reicht in die Zeit des Eisernen Vorhangs. In der damaligen Tschechoslowakei unternahm ein Arzt namens Ladislav Pilka in seinem Labor einige halblegale Versuche, „das kommunistische Regime stand dem Thema nicht gerade aufgeschlossen gegenüber“, erinnert er sich später. Es war das Jahr 1983; gerade einmal fünf Jahre zuvor war in England Louise Brown geboren worden, das weltweit erste Kind, das im Labor gezeugt wurde. Mit der damals noch revolutionären Technik experimentierte auch Ladislav Pilka – und schaffte es als erster im damaligen Ostblock, eine künstliche Befruchtung durchzuführen. Als das Kind zur Welt kam, war die Aufmerksamkeit weitaus geringer als zuvor in England: Die Eltern wollten keinen Trubel, und so ist heute nicht einmal bekannt, ob Pilka damals mit seiner Pioniertat einem Mädchen oder einem Jungen zum Leben verholfen hat. Immerhin sind wegen des allgemeinen Schweigens auch die bizarren Umstände im Hintergrund verborgen geblieben, über die Gynäkologe Ladislav Pilka erst kürzlich in einem Interview schmunzelte: „In der Tschechoslowakei gab es kein Material, die Injektionsnadeln mussten unsere Schwestern damals noch nachfeilen, damit sie für unseren Zweck ausreichend spitz waren. Die Schläuche habe ich beim Militär aufgetrieben und die spezielle Kammer, in der Ei- und Samenzelle zusammengebracht worden sind, hat ein Kollege hergestellt.“

Heute sind die Tschechen von solchen Zuständen weit entfernt: Seit jenen Tagen ist die Reproduktionsmedizin ein Steckenpferd vieler medizinischer Fakultäten – und private Kliniken quer durchs Land sind mit den modernsten Gerätschaften ausgestattet, die verfügbar sind. In der Prager Klinik IVF Cube liegt das Labor hinter mattierten Glasscheiben, die auf Knopfdruck durchsichtig werden, damit die Patientinnen von außen hineinschauen können. Im Innern steht Renata Hüttelova zwischen den High-Tech-Geräten. „Das hier“, erklärt sie und zeigt auf einen unscheinbaren Kasten, „ist ein Embryoscope.“ Darin lagern Embryonen bei idealen Sauerstoff- und Temperaturverhältnissen – und während sie sich entwickeln, werden sie automatisch fotografiert. Ein Computer setzt aus den Einzelbildern dann einen Zeitraffer-Film zusammen, auf dem die Experten mögliche Probleme und Fehlentwicklungen der Zellen entdecken können. Das ganze Labor steht unter einem leichten Überdruck, damit keine ungefilterte Luft von außen eindringen kann. Im Nachbarraum sind die Mikroskop-Arbeitsplätze: Mit einer Art Joystick steuern Renata Hüttelova und ihre Kollegen die feinsten Pipetten und Nadeln, mit denen sie unter dem Mikroskop Samenzellen direkt in die Eizellen injizieren – das ist die Entstehung eines Embryos. Hier unter den sterilen Reinraum-Bedingungen wird Leben wie am Fließband gezeugt: Für zehn befruchtete Eizellen brauchen die routinierten Biologen keine Viertelstunde; an ihrem bisherigen Rekordtag habe sie 250 Eizellen befruchtet, erinnert sich Hüttelova. Fünf Tage sind die Embryonen dann im Inkubator. „In der Zeit können wir beurteilen, welche lebensfähig sind und welche nicht, welcher vielleicht qualitativ hochwertiger ist als ein anderer.“

Viele dieser Schritte hin zum neuen Leben wären in Deutschland so nicht möglich. Das fängt allein schon mit der Zahl der befruchteten Eizellen an: Im deutschen Embryonen-Schutzgesetz ist es unter Strafe verboten, mehr Eizellen zu befruchten, als anschließend in die Gebärmutter eingesetzt werden. In Prag befruchten die Ärzte regelmäßig zehn Eier, wenn sie der Patientin so viele entnehmen konnten. „Bei einer Frau, die bis zu 35 Jahre alt ist“, sagt Ärztin Hana Visnova, „können wir hoffen, dass da drei gute Blastozysten dabei herauskommen, von denen wir höchstens zwei einsetzen.“ Blastozysten werden die Embryos in einer frühen Entwicklungsstufe genannt. Ein anderes Beispiel ist die Dauer der Beobachtung: Während in manchen Ländern die befruchteten Eizellen schon nach drei Tagen in den Mutterleib eingepflanzt werden müssen, dürfen sie in Prag fünf Tage im Labor beobachtet werden – die zwei zusätzlichen Tage, beteuert Visnova, bedeute eine Steigerung der Erfolgsquote um den Faktor zwei, weil man die lebensfähigen Embryonen während dieser Phase besser identifizieren könne. Auch auf genetische Defekte lassen sich die Embryonen vor der Einpflanzung untersuchen – diese sogenannte Präimplantationsdiagnostik ist in Deutschland nur zulässig, wenn in der Familie schwere Erbkrankheiten vorliegen. Nachvollziehen kann Hana Visnova die Einschränkung nicht: „In Deutschland darf man in vielen Fällen so früh keine Untersuchungen vornehmen – aber wenn dann später in der Schwangerschaft genetische Defekte festgestellt werden, darf man abtreiben. Bei uns ist es hingegen erlaubt, von vornherein nur gesunde Embryonen in die Gebärmutter einzusetzen.“

Ganz heil ist die Welt der Fortpflanzungsmediziner aber auch in Tschechien nicht: Alleinstehende Frauen oder lesbische Paare dürfen nicht per Samenspende im Labor schwanger werden – dieser Weg ist heterosexuellen Paaren vorbehalten, ob sie nun verheiratet sind oder nicht. „Viele Tschechinnen fahren deshalb nach Belgien oder Dänemark, wo das möglich ist“, sagt Hana Visnova.

Der Befruchtungs-Tourismus kennt viele Richtungen.