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Bipolar Feminin - die Band der Vergessenen

Hannover. Der durchschnittliche Deutsche liebt den kleinen Bruder Österreich, wie man einen kleinen Bruder nun mal liebt. Ein bisschen belächelt man kleine Geschwister eben stets, denn das macht einen selbst größer. Bei Austropop verhält es sich anders. Spätestens seit Wanda vor zehn Jahren auch auf der bundesdeutschen Bildfläche erschienen, liebt der Popmusik-Fan hierzulande die Musik aus der Alpenrepublik heiß und innig. Der Nino aus Wien, Voodoo Jürgens oder Turbobier um den Anarcho-Künstler Marco Pogo etwa. Falco sowieso, Andreas Gabalier leider auch.

Bipolar Feminin aus Oberösterreich könnten bald zu der Riege alpenländischer Künstler gezählt werden, die auch hierzulande ihr Publikum finden. Der Vierer, den es schon vor Jahren aus der Provinz in die Donaumetropole zog, ist noch ein Geheimtipp; einer jedoch, der mit Anlauf kommt: Mit dem von Kritikern gelobten Debütalbum „Ein fragiles System" ist die Gruppe gerade auf Tour. Am Freitag, 9. Februar, spielt Bipolar Feminin im Kulturzentrum Faust.

Erlebte Texte

Gut möglich, dass dann auch „Süß lächelnd" zu hören sein wird, ein Stück der Band aus dem Frühjahr 2022. „Mit euren Bärten/Seid ihr die Experten für alles/Mit euren Schwänzen/Überschreitet ihr all meine Grenzen", lässt Sängerin Leni Ulrich in dem Song wissen und packt damit das Selbstverständnis des einen oder anderen männlichen Zeitgenossen in ein paar Zeilen, die, wenn sie aus einem Frauenmund kommen, auch 2024 noch als radikal gelesen werden.

Ulrich, Ende 20, ist Sängerin, Texterin und Gitarristin des Quartetts und eine Wucht auf der Bühne. Ihre mitreißende Performance wirke auf manche angsteinflößend, sagt sie. Sie ist der wesentliche Grund für das steigende Interesse an der Gruppe, die von ihrem Bruder Max und den Schulfreunden Jakob Brejch und Samu Reisenbichler komplettiert wird. Zeilen wie „Ich bin fett/Schau nur diesen wohlgeformten Körper an" sind selbstbewusst und inklusiv, dahinter steckt jedoch keine Beth Ditto oder Lizzo, die offensiver agieren und vor allem Glam haben. Ulrich hingegen ist eine ruhige Frau, ihre Worte wählt sie mit Bedacht.

Gewöhnliche Leute

Bipolar Feminin aus dem beschaulichen Ebensee teilen ihre in dieser durchkommerzialisierten Welt gemachten Erfahrungen ihrer Zuhörerschaft, insbesondere demjenigen Teil der Generation Y, der dem Optimierungs- und Bewertungswahn kritisch gegenübersteht, das Patriarchat ablehnt, Ängste und Gefühle auch öffentlich verhandelt.

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Das Ganze kommt rau und kantig, doch statt in Docs in Tanzschuhen daher. Politisch ist das Quartett eher subtil wie Tocotronic, deren Drummer Arne Zank sie einen Song gewidmet haben („Herr Arne").

Vor allem jedoch, weil es unvermeidlich ist, wie auch das Boulevardblatt in Heinrich Bölls „Die verlorene Ehre der Katharina Blum" unvermeidlich an die Bild-Zeitung erinnern musste. „In erster Linie sind wir eine Band", so die Wahl-Wiener. „Uns ist jedoch schon bewusst, ein Teil der Gesellschaft zu sein und als Subjekte innerhalb dieser eine politische Verantwortung zu haben.

Auch, wenn unsere Texte als politisch gelesen werden können, machen wir letztendlich gemeinsam Musik über Dinge, die uns auf persönlicher Ebene beschäftigen."

Dass sie mit Ihrer Musik einen Nerv treffen, ist weder einem woken Zeitgeist, noch einem Plan geschuldet. Das identifikationsstiftende Element zwischen Band und ihrer wachsenden Zuhörerschaft ist die Authentizität in der auch das vermeintlich abnormative denken, fühlen und Sein zu einer verdammt gut tanzbaren Normalität wird.

HAZ

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