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AfD-Geheimtreffen im Potsdamer Landhaus Adlon: Die Chronik der Ereignisse

Potsdam. Am 10. Januar veröffentlicht das Journalistennetzwerk Correctiv die Ergebnisse seiner neuesten Recherche. Und die haben es in sich: Politiker und Privatpersonen sollen sich in Potsdam hinter verschlossenen Hoteltüren getroffen und den sogenannten „Masterplan Remigration" diskutiert haben.

Die Teilnehmer tauschen sich in dem Gästehaus über die Abschiebung und Vertreibung von Millionen ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger aus - unabhängig davon, ob diese im Besitz des deutschen Passes sind oder nicht. Sie sollen mit Hilfe eines „Musterstaates" in einem Gebiet in Nordafrika untergebracht werden. Auch Menschen, die sich in Deutschland für Geflüchtete einsetzen, könnten dorthin, soll „Stargast" Martin Sellner aus Österreich Zeugen zufolge gesagt haben.

Jener ist ein bekannter Rechtsradikaler und der frühere Kopf der Identitären Bewegung. Unter den Teilnehmenden sind AfD-Politiker wie Roland Hartwig, der (mittlerweile geschasste) persönliche Referent von Parteichefin Alice Weidel, Ulrich Siegmund, AfD-Fraktionsvorsitzender in Sachsen-Anhalt und auch Tim Krause, der stellvertretende Vorsitzende im Kreis Potsdam, soll zugegen gewesen sein. Dazu Mitglieder der CDU-nahen Werteunion,Neonazis, Unternehmer, Privatiers, sogar Alexander von Bismarck, Großneffe des Reichskanzler Otto von Bismarck und CDU-Mitglied soll teilgenommen haben.

Burgerkette „Hans im Glück" trennt sich von Mitgastgeber des Treffens - auch AfD-Chefin Weidel zieht Konsequenzen

Zu dem Treffen eingeladen haben sollen Gernot Möring, ein Düsseldorfer Zahnarzt im Ruhestand, der sich seit Jahren in rechtsradikalen Kreisen bewegt, und Hans-Christian Limmer. Limmer war unter anderem an der Burgerkette „Hans im Glück" beteiligt, das Unternehmen trennte sich nach Bekanntwerden der Vorwürfe umgehend von seinem Mitgesellschafter.

Fünf Tage dauert es, bis die Chefin der rechtspopulistischen und in Teilen vom Verfassungsschutz beobachteten Partei Alternative für Deutschland (AfD), Alice Weidel, reagiert: am 15. Januar wird die Trennung von ihrem persönlichen Assistenten Roland Hartwig -der bei dem Treffen geprahlt haben soll für den Parteivorstand zu sprechen - bekannt. Zu groß war der öffentliche Druck im Zuge der Rechercheveröffentlichung geworden; über die auch internationale Medien berichtet hatten.

Hotel-Verantwortliche äußern sich zu Treffen der Rechten - und weisen Vorwürfe zurück

Gegenwind zu spüren bekamen auch die Verantwortlichen des Potsdamer Landhauses Adlon, in dessen Räumlichkeiten das Treffen stattgefunden hat. Eigentümer Wilhelm Wilderink tritt noch am 10. Januar in der MAZ den Vorwürfen entgegen und sagt, er habe der rechten Szene sein Hotel nicht bewusst als Versammlungsort zur Verfügung gestellt. „Wir haben alle AfD-Veranstaltungen und alle Veranstaltungen von Organisationen, die als verfassungsfeindlich eingestuft sind, vertraglich ausgeschlossen. Das steht so im Mietvertrag. Man könne jedoch nicht alle Gäste im Vorfeld kontrollieren", gibt Wilderink zu Bedenken. Hoteldirektor Thomas Gottschalk spricht derweil von einem „unglaublichen Ansturm" auf die Hotelwebsite, abgesagten Veranstaltungen im Zuge des Bekanntwerden des Treffens, aber auch Loyalitätsbekundungen. „Das Ganze ist sehr schlimm für unser Haus", so Gottschalk im MAZ-Interview, „zumal das alles ja auch ins Private hineinspielt."

Potsdamer AfD-Fraktion hält an Teilnehmer des Rechten-Treffens fest

Die Postdamer AfD-Fraktion trennt sich hingegen nicht von ihrem Sprecher Tim Krause. Man sehe „keine Verfehlung bei Herrn Krause", sagte Fraktionschef Hans-Christoph Berndt am Dienstag in der brandenburgischen Landeshauptstadt. Krause selbst äußerte sich nicht zu dem pikanten Treffen und ging am Dienstag auf Tauchstation. Fraktionschef Hans-Christoph Bernd bezeichnete die Correctiv-Journalisten als „Privat-Stasi" und verteidigte den Begriff „Remigration". Dies sei ein Versprechen und „das Gebot der Stunde", so der AfD-Politiker, das im Falle einer AfD-Regierungsübernahme umgesetzt werde.

Bundeskanzler Scholz sieht Pläne als „Fall für unseren Verfassungsschutz"

Auf X (ehemals Twitter) äußerte sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bereits kurz nach Bekanntwerden zu den Plänen und bezeichnete diese als „Fall für unseren Verfassungsschutz", dessen Präsident Thomas Haldenwang äußerte sich im dem ARD-Politikmagazin „Kontraste" besorgt über die Gleichgültigkeit „gegenüber dem Erstarken bestimmter Parteien". Haldenwang kritisierte zudem den Umgang mit dem wachsenden Antisemitismus in Deutschland.

Wir schützen alle - unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder wie unbequem jemand für Fanatiker mit Assimilationsfantasien ist

Olaf Scholz, Bundeskanzler

Diskussion um AfD-Verbot nimmt nach Bekanntwerden des Geheimtreffens an Fahrt auf

Derweil mehren sich die Stimmen für ein Verbot der AfD. So hält Brandenburgs Linken-Vorsitzender Sebastian Walter ein solches für überfällig. Sein CDU-Kollege Jan Redmann sieht in den Forderungen hingegen ein „die nächste Stufe einer vielfach gescheiterten Strategie im Umgang mit dieser Partei." Ein solches von Seiten der Justiz mit Hilfe der Politik beschlossenen Verbotes würde die Bürgerinnen und Bürger bevormunden, so Redmann, der darauf vertraue, dass „die Wähler verantwortlich und gewissenhaft entscheiden, welche politische Strömung an Einfluss gewinnt."

Anti-AfD-Proteste in mehreren deutschen Städten - auch in Potsdam

Im Zuge der Veröffentlichung der Geheimpläne formiert sich auch ziviler Widerstand. In der Woche nach Publik werden kam es zu Demonstrationen in Potsdam, Hannover, Leipzig, Essen, Hamburg und Köln. Dort protestierten mehrere Tausend Menschen bundesweit gegen die Pläne der AfD und für Vielfalt und Demokratie. In Brandenburgs Landeshauptstadt demonstrierten rund 10.000 Menschen. Darunter auch Bundeskanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Proteste in weiteren Städten sind geplant.

MAZ

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