Katja Kasten

freie Journalistin und Redakteurin, Hamburg

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Artikel

Sie begleitet Sterbende

Serie: Grenzerfahrungen (Teil 29)

Krankenschwester Elfriede Miled arbeitet im Leuchtfeuer Hospiz auf St. Pauli.

Wenn ein Bewohner im Leuchtfeuer Hospiz stirbt, steigt sie die Treppen hinab zum Schrein ins Erdgeschoss. Dort zündet sie eine Kerze an und schreibt den Vornamen und das Sterbedatum auf die Tafel und in das Buch. "Das ist ein wichtiges Ritual", sagt Elfriede Miled. "Für uns alle."

Seit fast fünf Jahren arbeitet die Krankenschwester in dem 1998 gegründeten Hospiz auf St. Pauli. Ein Haus, das Menschen mit Aids, Krebs und anderen schweren Erkrankungen ein würdiges und selbstbestimmtes Sterben ermöglicht. Manche Hospiz-Bewohner bleiben ein halbes Jahr, manche ein paar Wochen, andere nur Stunden. "Ich könnte nicht mehr in einem normalen Krankenhaus arbeiten", sagt die 53-Jährige. "Ich gehöre hierher, ich mag die Ruhe und die intensiven Begegnungen." Dabei sei die Atmosphäre im Hospiz durchaus nicht von Traurigkeit und gedrückter Stimmung geprägt. "Es gibt Raum für alle Gefühle. Es wird gelacht, geweint, getrauert, erzählt. Es gibt Wut, Enttäuschung, Gelassenheit." Elfriede Miled erzählt von Heiligabend, wenn alle am Tisch zusammensitzen. "Dann wird ein Essen mit allen Schikanen serviert. Das ist schön."

Rund um die Uhr teilen sich die 16 Krankenschwestern und -pfleger den Dienst in drei Schichten. Elfriede Miled ist 35 Stunden die Woche im Einsatz, gibt Medikamente aus, begleitet die Ärzte auf ihren Visiten, telefoniert mit Apotheken und Krankengymnasten. Zusätzlich jobbt sie bei einem ambulanten Pflegedienst. Drei Arztpraxen und ein Schmerztherapeut arbeiten mit dem Hospiz zusammen. Zusätzlich wird das Haus von vielen Ehrenamtlichen unterstützt. Die Bedürfnisse der Patienten bestimmen den Tag, deshalb haben starre Abläufe keinen Platz. "Manche möchten länger schlafen, später frühstücken und gewaschen werden", sagt Elfriede Miled. "Manche Bewohner möchten in Gesellschaft essen und fernsehen. Andere bleiben den ganzen Tag in ihrem Appartement." Oft suchen Bewohner und Angehörige ihre Nähe und sprechen mit ihr über ihre Angst vor dem bevorstehenden Tod. "Dann möchte ich auch Zeit für ein Gespräch haben, möchte trösten. Das ist in Krankenhäusern oft nicht so möglich."

Elfriede Miled kam 1973 aus einem katholisch geprägten Dorf im Saarland nach Hamburg. "Wenn bei uns zu Hause jemand starb, kamen drei Tage lang alle Bekannten und Verwandten, um sich von dem Toten zu verabschieden", erinnert sie sich. "Dieser Umgang mit dem Tod hat mich geprägt." Mehr als zwanzig Jahre arbeitete die dreifache Großmutter im Marienkrankenhaus. "Spätestens in der Bauchchirurgie musste ich mich mit dem Thema Sterben auseinandersetzen", sagt sie. Anfangs nahm Elfriede Miled die Bilder mit nach Hause, hatte Schwierigkeiten, ihre Arbeit loszulassen. "Mit der Zeit habe ich gelernt, mit Sterben und Tod so umzugehen, wie es für mich richtig und gut ist." Auch ihre drei Enkelkinder bringen sie immer wieder auf andere Gedanken. "Es ist wichtig, als Krankenschwester Ruhe auszustrahlen", sagt Elfriede Miled. "Man muss mit den Patienten mitfühlen, darf nicht abstumpfen." Um dorthin zu gelangen, habe sie viele Gespräche geführt, Fachbücher gelesen und Freunden immer wieder offen von ihrer Arbeit erzählt.

Nach Alternativen zum Krankenhaus habe sie lange gesucht, sagt Elfriede Miled. Im Frühjahr 2002 schickte sie dann eine Initiativbewerbung an das Hamburg Leuchtfeuer Hospiz, dessen Arbeit sie seit Bestehen verfolgt hat. Sie liebt ihren Job: "Ich habe erkannt, dass man Menschen, die nicht mehr gesund nach Hause gehen können, auch auf andere Weise helfen kann. Und zwar indem man versucht, für die Zeit, die bleibt, ihre Lebensqualität noch zu verbessern. Es ist besser, die Menschen sterben hier, als im Krankenhaus."

Lesen Sie am nächsten Wochenende den 30. und letzten Teil: Zurück in den Job - nach 18 Monaten Arbeitslosigkeit. © Hamburger Abendblatt 2017 - Alle Rechte vorbehalten.
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