Dass ich mich mit 19 Jahren von meinem ersten Freund trennte, daran war der Fußball nicht unschuldig. Ich hatte einen wichtigen Teil meiner Jugend als Freundin des Torwarts verschwendet. Mit Spielersitzungen nach dem allabendlichen Training und Auf- und Abstiegsdramen in irgendwelchen Amateurligen wollte ich für den Rest meines Lebens nichts mehr zu tun haben!
Ein paar Jahre später habe ich einen Sohn, der Stoffbälle durch das Wohnzimmer schießt bevor er richtig laufen kann. Einen Sohn, der mit fünf Jahren vom Kindergartenfreund zu seinem ersten Fußballtraining mitgenommen wird. Ich sträube mich mit Händen und Füßen gegen den Verein. Bis ich meinen Sohn dabei erwische, wie er nachts heimlich unter der Bettdecke seine Beinmuskeln trainiert - um endlich auch mal auf ein Turnier mitgenommen zu werden.
Die Fußballmama in mir erwachtDa ist es geschehen: Die Fußballmama in mir erwacht. Kurz darauf wird er aufgestellt. Er darf mitspielen, seiner Mannschaft helfen. Und endlich Tore nicht mehr nur vor dem Wohnzimmerpublikum schießen, sondern vor echten Zuschauern. Wir vereinbaren, dass ich ihn nur sehr leise anfeuere. Doch daraus wird nichts. Vom ersten Spiel an stehe ich am Rand und brülle seinen Namen, sobald er am Ball ist. Und - je besser ich sie kennenlerne - auch die Namen seiner Mitspieler, wenn die am Ball sind. Ich bin voll dabei.
Ich erlebe große Momente und große Dramen. Zum Beispiel, wie mein Sohn im Halbfinale eines wichtigen Turniers in der letzten Sekunde ein Tor macht und von Mitspielern, Trainer und anderen Eltern gefeiert wird. Wie er Zweikämpfe verliert und manche seiner Freunde zu Konkurrenten werden. Ich darf dabei sein, wie er und einige Jungs aus der Mannschaft dicke Freunde werden, die sich auf dem Platz und auch daneben blind verstehen. Und werde selbst zu einem Team mit den Menschen, die da jeden Samstagmorgen mit mir, einen Kaffeebecher in der Hand, am Spielfeldrand stehen und mitjubeln, sich mit ärgern, und abseits vom Platz die Jungs immer wieder aufmuntern.
Plötzlich geht es um Leistung - will ich das?Inzwischen sind die Jungs neun. Und werden immer besser. Aber es geht plötzlich auch mehr und mehr um Leistung, weniger um bloßen Spaß. Und ich frage mich, ob wir wirklich mit allem, was hier verlangt wird, mitgehen sollten. Wird er hier zu Härte erzogen? Wollen wir Teil einer Fußballelternszene werden, die immer wieder durch Pöbeleien und Prügeleien Schlagzeilen macht?
Doch mein Sohn will unbedingt weitermachen - Fußball spielen mit seinen Freunden. Und als Fußballer besser werden und sich mit anderen Fußballern messen. Und so suche ich nach Möglichkeiten, wie der Verein für uns als Familie doch funktionieren kann. Und lerne, genau hinzuschauen, lerne von anderen Fußballeltern. Und von den Jungs und ihrem Trainer.
Der Verein spiegelt die GesellschaftDenn: Die kleinen Dramen und Fragen, die uns hier Tag für Tag beschäftigen, sind Fragen mitten aus der Gesellschaft. Wir lernen, mit Ungerechtigkeiten umzugehen. Frust und Niederlagen einzuordnen. Uns zurückzunehmen und in den Dienst eines Teams zu stellen, aber auch, uns im richtigen Moment einem Gegner zu stellen und nach vorne zu preschen - als Spieler wie als Eltern. Wir üben, immer wieder Gleichheit herzustellen - denn auf dem Platz müssen erst mal alle gleichberechtigt sein, damit ein Spiel entstehen kann - mit Menschen unterschiedlichster beruflicher Hintergründe, sozialer Schichten und nationaler Herkunft.
Es sollten mehr Mädchen Fußball spielenIch entdecke, dass einiges, was auf dem Platz zählt, weder in der Schule noch bei einem anderen Hobby gelernt werden kann - Fähigkeiten, die im ganzen Leben gebraucht werden, von Jungs und vor allem auch von Mädchen. Und merke, dass es gut gehen kann, wenn wir Eltern und die Trainer mit den Kindern mitwachsen und Wandel mitgestalten. Und ich erfahre über meinen Sohn, dass Fußball auch richtig ästhetisch sein kann, wenn man sich besser auskennt und plötzlich sehen kann, wie exzellent die Spieler ihren Körper einsetzen. Und miterlebt, wie aus der Spielidee eines Trainers und viel harter Arbeit im Training ein magischer Moment auf dem Platz wird. So ist aus einer ehemaligen Fußballgegnerin eine Fußballbegeisterte geworden.
Die AutorinKathrin Reikowski, Jahrgang 1984, ist freie Autorin und systemische Beraterin. Sie studierte Ethnologie und beschäftigt sich derzeit für Hörfunk und Onlineformate mit dem Wandel der Arbeit, sowie mit Migration und dem Thema der offenen Gesellschaft. Ihre beiden Söhne (fünf und acht Jahre alt) sind Fußballer.
"Fußball ist jetzt unser Leben" - Wie ein Hobby den Familienalltag auf den Kopf stellt. Von Kathrin ReikowskiRedaktion: Till Ottlitz Regie: Susi Weichselbaumer Technik: Christian Schimmoeller Produktion: BR 2018