Katharina Wasmeier

Freie Journalistin, Autorin, Lektorin, Nürnberg

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Russisches Theater Nürnberg: Harte Marschroute

Dass die Freude an einer Lokalität, die nur zur Zwischennutzung freigegeben ist, nur von begrenzter Dauer sein kann, verrät schon allein der Name. Wenn diese Sondererlaubnis dann allerdings ein allzu jähes Ende findet, dann darf man schon mal erschrocken sein. Oder „etwas überrascht“, wie Olga Komarova, die Programmkoordinatorin des „ArtiSchocken“, formuliert.  

„Edeka will das Gebäude abreißen und bittet uns zum 30. Januar raus.“ Das ist hart für den kleinen, selbstorganisierten Kulturbetrieb, der sich 2013 in einer ehemaligen Kneipe an der der Landgrabenstraße zugewandten Seite des ehemaligen Kaufhofs am Aufseßplatz eingerichtet hatte. Vor allem, wenn man unlängst die Info erhalten hat, das leerstehende Gebäude würde erst 2018 abgerissen – und entsprechend das Programm weiter plante. Ein Programm, das in den vergangenen gut drei Jahren von Konzert über Improtheater bis Diskonächte so vielfältig und bunt war wie die Menschen, die alles auf die Beine stellten. 2015 hatte zwar der Verein Integration Nürnberg e. V. die Zügel in die Hand genommen, den Fokus entsprechend ein wenig verrückt hin zum Schauspiel und osteuropäischer Kultur, doch stets war das „ArtiSchocken“, dessen Namen von Nürnberger Schriftsteller Elmar Tannert ersonnen wurde und auf den ersten und bis heute in der hiesigen Bevölkerung geläufigen Namen des zur sächsischen Warenhaus-Kette Schocken Söhne gehörenden Kaufhauses referiert, ein multikultureller Ort. In dem man sich begegnen, kennenlernen konnte. „Ich konnte mit so vielen Künstlerszene zusammenarbeiten, die ich vorher überhaupt nicht kannte“, erzählt die Ukrainerin Olga Komarova (31), die als Vorstandsmitglied des Integration e. V. und aktive Schauspielerin des Russischen Theaters selbst Film und Fotografie studiert hat – und damit repräsentativ steht für das Ensemble, das sich als Laientruppe vornehmlich aus der Künstlerszene speist. 15 Personen, die unter hochprofessioneller Anleitung des russischen Regisseurs Boris Khmelnitsky die landestypische Theaterschule durchlaufen haben. Größter Unterschied, so der Meister: „Deutsche Theaterkunst basiert auf Vernunft, russische auf Emotionen.“ Und die liegen jetzt natürlich blank. Alle Pläne, das ganze Programm – dahin. Dabei werden gerade jetzt die auf 300 Quadratmeter verteilten Räume bereit gemacht für die „Harte Marschroute“, sogenanntes „Immersives Theater“: Eine in Süddeutschland kaum bekannte Kunstform, bei der das Publikum frei partizipieren kann. In verschiedenen Räumen, unterschiedlichen Szenarien spielen die Darsteller eine Geschichte; der Besucher aber kann entscheiden, ob er die vom selben Platz statisch betrachtet oder herumläuft, Charakteren folgt. So besonders diese Kunst, so auch der Verein: „Ich denke, wir sind der einzige osteuropäische Verein in der Stadt, der sich so sehr nach außen öffnet, Kultur teilt und Integration in beide Richtungen stattfinden lässt“, so Olga Komarova. Und so ist auch eine der Hauptsorgen des Vereins, eben jene so zentral und in einem interkulturellen Umfeld gelegene Örtlichkeit aufgeben zu müssen. „Proberäume oder solche für Aufführungen gibt es genug“, aber wenige, die diese Öffnung zulassen anstatt „kultureller Ghettoisierung“. Jetzt gilt es, schnell eine Lösung zu finden – eine langfristige im besten Fall, doch auch eine erneute Zwischennutzung wäre willkommen. Konzerte, Gastspiele, Lesungen – das Programm, das ganze Konzept mit den sich teils überschneidenden Teams aus ArtiSchocken und Russischem Theater würde gerne gemeinsam umziehen. Und egal wohin es ginge den Namen behalten. Schließlich steht der in Nürnbergs Kulturlandschaft längst für etwas ziemlich gutes. 

 „Harte Marschroute“: 19.-21. & 26.-28.1., 19.30 Uhr im ArtiSchocken, Landgrabenstraße 139, Nbg; Tickets ab 12 Euro; artischocken-nuernberg.de Kontakt für mögliche Raum- oder Lager-Angebote: info@artischocken-nuernberg.de