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Warum der Sonnenschirm ein Revival verdient

Glück ist wie die Sonne. Ein wenig Schatten muss sein, wenn's dem Menschen wohl werden soll", wusste schon die Försterin aus Otto Ludwigs Trauerspiel „Der Erbförster" von 1850. An dunklen Tagen kann man sich gar nicht genug Glück und Sonne wünschen, doch bekommt man erst einmal eine Überdosis, lassen die Sorgen nicht lange auf sich warten. Je mehr Glück man hat, desto mehr hat man zu verlieren. Und je stärker die Sonne auf einen herabstrahlt, desto mehr hat man zu transpirieren. Letzteres klingt zwar wenig philosophisch, aber wer den Blick durch die vor Hitze flirrenden Straßen dieses Sommers schweifen lässt, sieht schweißgebadete Menschen scharenweise aus der brennenden Sonne fliehen. Schattige Plätze in Cafés sind heiß begehrt, dankbar registriert man jede noch so kleine Wolke am strahlend blauen Himmel, hohe Fassaden und Bäume werden zum Zufluchtsort. Dort angelangt, wird erleichtert aufgeatmet und sogleich der Schritt verlangsamt. Ein wenig Schatten muss eben sein, wenn's dem Menschen wohl werden soll.


Könnte man doch immer ein wenig Schatten mitnehmen! „Shadow to go" wäre gewiss ein Verkaufsschlager. Aber Moment mal, da war doch was: Auf den Gemälden von Claude Monet, in den Romanen von Jane Austen, auf den Straßen von Schanghai bis Singapur und von Kuala Lumpur bis Kyoto ist er zu sehen, dieser Schatten zum Mitnehmen. Es lässt sich nur mit einem kollektiven, sehr nachhaltig wirkenden Sonnenstich erklären, dass der Sonnenschirm auf hiesigen Straßen durch Abwesenheit glänzt, während er in Asien allgegenwärtig ist.


Bei diesem Begriff denkt man hierzulande fast reflexartig an riesige Ampel- und Pendelschirme aus dem Baumarkt, die mit Namen wie „Playa" und „Toscana" mediterranes Flair und natürlich Schatten auf Balkon und Terrasse zaubern sollen. Die Rede ist aber von federleichten, mit zartem Stoff oder dünnem Ölpapier bespannten, tragbaren Sonnenschirmen. Elegant und praktisch zugleich, sorgen sie für Schatten, wann immer man es will. Mit zusammengekniffenen Augen in die gleißende Sonne blinzeln und neben Sonnenbrand auch noch Falten riskieren muss niemand, der erhobenen Hauptes unter einem Sonnenschirm umherspaziert.


Bis in die frühen Zwanziger gehörte er zu jedem Sommer-Outfit. Beim Badeurlaub an der Ostsee flanierten die Damen mit Sonnenschirm, in Anzeigen des Seifenherstellers Lux posierten sie mit asiatisch inspirierten Modellen, auch in Ludwig Hohlweins Illustrationen fehlten die tragbaren Schattenspender nicht, die immer auch Statussymbol waren. „Die arbeitende Bevölkerung war dem Wetter ausgesetzt und hatte keine Schirme", erklärt Willy Schüffler, einer der letzten Schirmmacher Deutschlands, der in Essen Sonnen- und Regenschirme nicht nur verkauft, sondern in der eigenen Werkstatt auch herstellt: „Es galt als vornehm, blass zu sein."


Und dann legte eines Tages im Jahre 1923 eine Yacht im Hafen von Cannes an. Von Bord ging niemand Geringeres als Coco Chanel - mit sonnengebräunter Haut. Das blieb nicht folgenlos, der Designerin eilte schließlich der Ruf der ultimativen Trendsetterin voraus. Erst hatte sie Frauen vom Korsett befreit, nun läutete sie das Ende des Porzellanteints als Schönheitsideal der westlichen Welt ein. In dieser entwickelte sich fortan knackige Bräune zum Zeichen von Gesundheit und Attraktivität. Schirme nutzt man seither vor allem, um bei Regen trockenen Hauptes durch die Landschaft zu spazieren.


Fast gönnt man es dem Regenschirm, dass er aus dem Schatten seines vor Sonne schützenden Kollegen trat. „Schirme sind ein 4000 Jahre altes Kulturgut und wurden ursprünglich als Sonnenschirm erfunden", so Schüffler. Schon 2000 vor Christus verbargen Griechinnen sich mit ledernen Schirmen vorm gleißenden Licht am Mittelmeer, altrömische und -ägyptische Reliefs erweisen sich als steinerne Modeblogs und zeigen feine Damen mit Sonnenschirm.


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