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„Zu trendy kann zu gefällig sein"

Ausgerechnet Lippstadt. Wenn es um zukunftsweisendes Interieur-Design geht, ist die 70.000-Einwohner-Stadt nicht unbedingt der erste Ort, der einem als Quell von Inspiration und Kreativität in den Sinn kommt. Eingeweihte nennen die Stadt wegen ihrer vielen Flüsse mit fast rührendem Stolz das „Venedig Westfalens". Die nächste größere Stadt ist Paderborn. Dann kommt Bielefeld. Der ICE braust meist vorbei an dem verschlafenen Bahnhof mit drei Gleisen, an dem man sich die Wartezeit auf den Regionalzug entweder in einem kleinen Zeitschriftenladen oder in der Filiale einer Fastfood-Kette vertreiben kann.

Nicht weit von hier befindet sich der Unternehmenssitz von Kitzig Interior Design. Vor 20 Jahren gründete Olaf Kitzig das Unternehmen in seiner Heimatstadt, mit 30.000 Mark Startkapital und einer Angestellten. Noch heute ist sie seine persönliche Assistentin, die Büros ihrer mittlerweile 44 Kollegen und Kolleginnen in Lippstadt sind auf zwei Bürohäuser - besser gesagt: Bürovillen - verteilt.


Weitere 30 Mitarbeiter arbeiten in kleineren Büros in München, Bochum, London und von Herbst an auch in Düsseldorf. Doch seine Design-Konzepte für internationale Hotelketten von Moskau bis Münster, Restaurants in Singapur, Flughafen-Lounges, Sparkassenfilialen, Infoschalter der Deutschen Bahn, Privathäuser in Frankfurt und auf Ibiza entwickelt Olaf Kitzig vor allem in Lippstadt. Metall zu dunklem Holz, ein scheinbar an der Decke schwebendes Wasserbecken, ein gläserner Fußboden: Kontraste sind Kitzigs Markenzeichen.


Auch an seinem eigenen Arbeitsplatz. Im schwarzweiß gekachelten Flur der denkmalgeschützten, restaurierten Villa von 1880 liegen bunte Teppiche, gleich neben dem Eingang hängt ein Roy Lichtenstein, die pastellfarbenen Bürowände zieren Gemälde von Amir H. Fallah, eine Madonnenfigur thront über einem Retrosessel, Stuck trifft auf Streetart.

Da scheint jemand sehr verwurzelt zu sein und sich in der entschleunigten, vertrauten Umgebung einen Ort der Inspiration geschaffen zu haben. Oder? „Ich bleibe nicht hier, weil ich es so schön finde oder weil es meine Heimatstadt ist. Wenn ich könnte, würde ich nach München oder London gehen", zerstört Kitzig ohne Umschweife diese Theorie, um sogleich zu erklären, warum er Lippstadt so treu ist: „Ich bleibe, weil ich nicht einfach 45 Mitarbeiter umsiedeln kann."


Viele von ihnen arbeiten seit mehr als zehn Jahren bei ihm, haben vor Ort Familien gegründet und Häuser gebaut. Sie einfach gegen neue Mitarbeiter in einer anderen Stadt auszutauschen käme für ihn nicht in Frage: „Ich bin nur so gut wie mein Team. Ohne das geht's nicht." Sein Gegenüber mit einer unerwarteten Antwort zu überraschen, um nach einer kurzen Pause die eigentliche Antwort noch überzeugender klingen zu lassen, das gelingt Kitzig nicht nur, wenn er über den Standort seiner Firma spricht. Auf die Frage, wie er mit allzu weit von seinem eigenen Geschmack entfernten Kundenwünschen umgehe, erwidert er zunächst kurz und knapp: „Dann gehe ich."


Für einen Moment forscht sein neugierig und zugleich amüsiert wirkender Blick aus den eisblauen, von einem transparenten Brillengestell eingerahmten Augen nach der Wirkung seiner Worte, dann erklärt er unaufgeregt, weshalb er getrennte Wege manchmal für die besseren hält: „Mit jemandem zu arbeiten, den man gestalterisch nicht versteht, ist wie eine schlechte Beziehung. Es funktioniert nicht. Natürlich muss man sich auch mal reiben und zusammen Alternativen entwickeln können. Aber wenn die grundsätzlichen Vorstellungen nicht vereinbar sind, ist es besser, sich zu trennen."


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