1 Abo und 1 Abonnent
Artikel

Ist es rassistisch, von „asiatischem Essen" zu sprechen?

Ist es rassistisch, von „asiatischem Essen" zu sprechen, wenn man eigentlich nur thailändisches, vietnamesisches oder chinesisches Essen meint? Wir haben eine Person gefragt, die es wissen muss.


Auf wenig reagieren Menschen heftiger, als auf den Satz „Was du gerade gesagt hast, ist rassistisch". Klar, wer will sich heutzutage noch als Rassist bezeichnen lassen - erst recht, wenn er oder sie sich als offen und tolerant betrachtet. Vielleicht waren die Reaktionen deshalb so heftig, als ich in meinem Bekanntenkreis zum ersten Mal die Frage aufwarf: „Ist es nicht eigentlich rassistisch, zu sagen, man gehe zum ‚Asiaten'? ‚Asien' ist doch kein Land."

Bumm!, da war sie, die Rassismus-Bombe. Sofort flogen mir viele Argumente um die Ohren, die beweisen sollten, warum dieser ganz alltägliche Ausdruck nicht problematisch sei. Doch ein kleines Problem gab es dabei: Die Argumente kamen nie von Personen, die von diesem Ausdruck diskriminiert werden.

Deshalb fragte ich kurzerhand eine, die die Antwort auf meine Frage wissen musste: Vicky Truong. Vicky hat nicht nur selber Wurzeln in Vietnam, China und Thailand. Die 30-Jährige engagiert sich auch als Aktivistin gegen Rassismus und arbeitet darüberhinaus noch als Köchin. Wer also könnte meine Frage zur Vermischung von Rassismus und Essen besser beantworten?


„Der Ausdruck ‚asiatisches Essen' ist eine Form von Rassismus" 

Doch nicht jeder, der von „asiatischem Essen" rede, habe auch bewusst rassistische Hintergedanken. „Wer den Ausdruck benutzt, zeigt damit einfach, dass er oder sie gar nicht die Absicht hat, die verschiedenen asiatischen Kulturen als solche zu erkennen und zu unterscheiden, sondern alle buchstäblich in einen Topf wirft."

Warum gibt es Restaurants, die sich selbst „Asia-Imbisse" nennen?

Asia-Imbisse gibt es vielerorts in Deutschland. Doch ist die Bezeichnung korrekt?

„Aber", schreit jetzt manch einer auf, „es gibt viele Restaurants, die sich selbst ‚Asia-Imbiss' nennen, dann darf ich das doch wohl auch!" Doch die Frage ist, ob du die „Asia-Imbisse" auch noch so nennen willst, wenn du weißt, warum sie so heißen.

Und nicht nur das: Die Neuankömmlinge, darunter viele Menschen, die in Folge des Vietnamkriegs flüchteten, hatten gar nicht die Zeit, das Geld und die logistischen Möglichkeiten, die passenden Zutaten für ihre nationalen Gerichte zu kaufen. Also mussten sie sich mit den Gegebenheiten abfinden und sich der Nachfrage beugen, die es in Deutschland gab: „asiatisches Essen".


Verkaufsschlager Sushi

Obwohl Sushi ein japanisches Gericht ist, wird es in Deutschland auch in vielen vietnamesischen oder thailändischen Restaurants angeboten. Das hat Gründe.

Das beste Beispiel für den finanziellen Druck, unter dem die Restaurants ihre individuelle Esskultur aufgeben, ist Sushi. „Auf deutschen Straßen sieht man viele vietnamesische Restaurants, die Sushi anbieten - eigentlich eine japanische Speise", sagt Vicky. Das liegt daran, dass Sushi sehr populär ist, Deutsche sind bereit, mehr dafür zu zahlen. Aus der Geschichte des Kolonialismus heraus hat es sich so entwickelt, dass japanisches Essen als hochwertiger angesehen wird als Essen aus anderen asiatischen Ländern. Dass dieses kolonialistische Vorurteil noch immer in den Köpfen vorherrscht, kann man daran sehen, wie viel mehr Deutsche bereit sind, für Sushi zu zahlen als für zum Beispiel thailändisches Essen - und wie sehr das die Speisekarten der Imbisse prägt."


 Kein Platz für Proteste

Doch auch das stimmt nicht: „Allein wegen Deutsch als neuer, unbekannter Sprache war es für die erste Generation der Einwanderer in Deutschland schwer, sich gegen Vorurteile und Ungerechtigkeiten zu wehren", erklärt Vicky. „Und auch der zeitliche und finanzielle Druck, unter dem sie standen, ließen keinen Platz für Proteste. Natürlich waren sie auch dankbar für den Neustart in Deutschland und wollten nicht gleich dadurch auffallen, dass sie sich beschweren." Das Vorurteil der Asiaten, die „alle gleich sind" und das Gleiche essen, verfestigte sich also auch dadurch, dass die Umstände verhinderten, dass Einwanderer gegen sie protestierten. Der Zustand von damals blieb, wie er war - heute stehen noch immer die „Asia-Imbisse".

Nun sind aber schon viele der damals eingewanderten Familien in zweiter oder dritter Generation in Deutschland - warum ändern sie nicht einfach die Speisekarte? „Heutzutage herrscht der gleiche finanzielle Druck wie damals auch: Dadurch, dass sich am Wunsch der Deutschen nach ‚asiatischem Essen' nichts geändert hat, brauchen die Imbisse noch immer eine durchmischte Speisekarte, um zu überleben", sagt Vicky. „Das liegt auch daran, dass beispielsweise mit thailändischem und vietnamesischem Essen die Erwartung einhergeht, dass es billig ist. Die altbekannte Lösung: Auch noch Sushi anbieten, damit der Laden weiterläuft." Damit sich das ändere, brauche es den Willen der weißen Mehrheitsgesellschaft in Deutschland.

Vickys Familie selbst ist der lebende Beweis für die Diversität asiatischer Kulturen: Alle vier ihrer Großeltern kommen aus der Guangdong Provinz in China, wanderten aber aus. Die Familie mütterlicherseits nach Thailand, die ihres Vaters nach Vietnam. Ihre Eltern wurden also in Thailand bzw. Vietnam in chinesische Haushalte hineingeboren. Getroffen haben die beiden sich erst, als sie nach Australien auswanderten. Ihre verstreuten Wurzeln zeigen Vicky nicht nur, wie stark sich verschiedene asiatische Kulturen unterscheiden. Sie befähigen sie auch, diese Unterschiede zu benutzen und in Form von Essen zu zelebrieren.


Blick nach China

Für jeden, der nun immer noch der Meinung ist, das sei alles übertrieben, in Deutschland dürfe man NICHTS mehr sagen - für den hat Vicky noch eine Botschaft: „Es ist nicht so, dass du nichts mehr sagen darfst - du darfst fast alles sagen. Die Frage ist einzig, ob du eine Sache sagen willst, die Rassismus am Leben hält. Ob du für das Verantwortung tragen willst, was du gerade sagst - und ob du überhaupt verstehst, was du da von dir gibst. Oder willst du lieber die bestehenden Verhältnisse über den Haufen werfen?"

So ein Über-den-Haufen-werfen kann manchmal mit kleinen Sätzen beginnen. Oder im Fall von „lass uns beim Asiaten essen" - kleinen Sätzen, die du nicht mehr sagst.

Zum Original