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Die wohl erste deutsche Frau im Weltall hat uns verraten: So wird man Austronautin

Früher wollte sie Lehrerin oder Autorin werden. Heute trainiert Insa Thiele-Eich für einen Einsatz im All. Ein Griff nach den Sternen - denn sie wird vermutlich die erste deutsche Frau im Weltall sein. Richtig gehört: Deutschland hat noch nie eine Frau als Astronautin eingesetzt.

Und das wäre wahrscheinlich weiterhin der Fall - gäbe es nicht das Raumfahrtprogramm "Die Astronautin". Das private deutsche Programm verfolgt die Mission, bis 2021 die erste deutsche Frau zur Internationalen Raumstation (ISS) zu schicken. Der Flug wird hauptsächlich durch Spenden finanziert - die deutsche Regierung stellt bisher keine finanziellen Mittel zur Verfügung. Auch wegen der unsicheren Finanzierung ist es noch unsicher, wann Thiele-Eich ihren Flug ins All starten kann.


Wie profitieren Frauen von dem Flug?

Abgesehen von den offensichtlichen Gründen, die dafür sprechen, Frauen auch in der Raumfahrt Männern gleichzustellen, hat das Programm "Die Astronautin" auch einen extrem wichtigen Zweck für den Fortschritt der Medizin.

"Von der medizinischen Forschung im Weltall profitieren bisher in erster Linie Männer", heißt es auf der Website des Programms. Und weiter: "An Bord der ISS führen Wissenschaftler medizinische Selbsttests durch, um wichtige Erkenntnisse für die Medizin am Boden zu gewinnen. 

Da diese Wissenschaftler aus Deutschland bisher alle männlich waren, profitieren Männer ungleich stärker von der medizinischen Forschung im All - denn in vielerlei Hinsicht gibt es signifikante medizinische Unterschiede zwischen Männern und Frauen, zum Beispiel in Bezug auf die Sehorgane, das Gleichgewichtssystem, die Knochen und natürlich die Hormone."

In Deutschland lägen noch keinerlei Forschungsergebnisse aus medizinischen Selbstversuchen zum weiblichen Körper im All vor. Von entsprechenden Erkenntnissen würden Millionen von Frauen profitieren.


Thiele-Eichs Wunsch, Astronautin zu werden, kommt nicht von ungefähr: Ihr Vater ist Gerhard Thiele, der selbst als Astronaut tätig war. Warum er seiner Tochter schon einmal von der Bewerbung als Astronautin abriet, welche Frage man sich auf keinen Fall stellen sollte, wenn man in die Raumfahrt möchte und warum sie sich am Auswahltag mit der Rasiercreme ihres Mannes die Zähne putzte, hat uns Thiele-Eich im NOIZZ-Interview verraten.


NOIZZ-Interview mit Insa Thiele-Eich

NOIZZ: Astronautin wird man nicht auf einem ganz geradlinigen Weg. Wussten Sie, was mit Ihrem Berufswunsch auf Sie zukommt?

Insa Thiele-Eich: Durch das Aufwachsen mit meinem Vater wusste ich mit 16, dass ich Astronautin werden wollte - und ungefähr einen Tag später, dass dieser Traum sehr unrealistisch ist. Mein Vater beflügelte zwar die Träume seiner und auch anderer Kinder, aber er war diesbezüglich immer knallhart und ehrlich. Mein Vater sagte mir, dass der Berufswunsch niemals mein Plan A werden solle. Nicht nach dem Motto "Such dir einen anderen Traum", sondern "Such dir einen anderen Job": eine Arbeit, die ebenfalls Spaß macht und erfüllt.

Wenn man sich die hohen Bewerber*innenzahlen und die weiteren Risiken anschaut, ist es wirklich unrealistisch, Astronautin zu werden. Selbst wenn du es durch das Bewerbungsverfahren schaffst: Du kannst jederzeit krank werden und damit deine Tauglichkeit für den Flug verlieren. Ich kenne genug Astronaut*innen, die sich schon auf ihren Flug vorbereiteten und bei denen irgendetwas entdeckt wurde, weshalb sie doch nicht fliegen konnten. Ins All zu fliegen, darf nicht das Einzige sein, was man im Leben möchte.


Was würden Sie einer Person raten, die Astronaut*in werden möchte?

Thiele-Eich: Schmiede dir mehrere Pläne - das trifft auf alle Lebenslagen zu, aber hier ganz besonders. Denn die eine Frage, die sich stellt, lautet 'Was passiert, wenn ich mein Ziel nicht erreiche?' und die andere 'Was passiert, wenn ich es erreiche?'. Eine der beiden Möglichkeiten trifft nämlich immer zu.

Gehen wir mal davon aus, dass ich tatsächlich in zwei Jahren ins All fliege - was mache ich denn danach? Wenn ich nur einen einzigen Lebenstraum hätte und der in Erfüllung geht, kann das sehr schnell sehr trostlos werden. Bei manchen Astronaut*innen sieht man nach ihrem Einsatz, dass sie schnell wieder mit Begeisterung ein anderes Ziel verfolgen, andere müssen länger danach suchen.

In meinem Fall gilt aber ganz klar: Der Traumberuf "Astronautin" hat für mich immer auch das Training beinhaltet und ist nicht auf den Flug ins All beschränkt - und den darf ich ja schon seit über drei Jahren leben. Angehende Astronautin sein, ist auch auf der Erde ein sehr spannender und intensiver Alltag.


Was ist denn Ihr Plan für danach?

Thiele-Eich: Ich bin zwar sehr optimistisch, aber bei uns steht die Finanzierung momentan nicht auf sicheren Beinen. Deshalb ist unklar, wann genau der Flug stattfindet, und sehr konkret denke ich noch nicht an das eventuelle "Danach".

Aktuell bin ich an der Universität als Meteorologin in der Lehre tätig und habe einige neue Projekte beantragt, in denen ich im Wissenschaftsmanagement tätig wäre. Die Forschung als Wissenschaftlerin hat in den intensiven Phasen des Astronautinnen-Trainings gelitten - vielleicht wäre das etwas?


Ist es egal, welches naturwissenschaftliche Fach man studiert, wenn man Astronautin werden möchte?

Thiele-Eich: Ich kann in Anbetracht der Statistik sagen, dass Geowissenschaften sehr hoch im Kurs stehen. Alexander Gerst hat Geophysik studiert, ich selbst Meteorologie, und auch viele andere Astronaut*innen teilen diesen Hintergrund: Studienfächer, die die Interaktion zwischen Mensch und Umwelt behandeln und Physik beinhalten. Allerdings ändert sich in der Raumfahrt ja gerade Einiges, hin zu mehr kommerziellen Missionen - zu denen auch wir gehören. Es kann also gut sein, dass es hier zu Änderungen kommt und ganz andere Schwerpunkte im Auswahlverfahren gesetzt werden.

Aber: Man darf auf gar keinen Fall den eigenen Lebenslauf stur auf dieses Ziel ausrichten - bloß nicht Naturwissenschaften studieren, weil man denkt, man wird damit vielleicht mal Astronautin! Wenn man sich fünf oder sechs Jahre durch ein Fach quält, nur weil man ins All möchte, wird das auch im Bewerbungsprozess auffallen und dann ist der Traum vorbei - und die ganze Mühe war umsonst.

Und selbst wenn man es durch das Studium und den Bewerbungsprozess schafft, besteht keine Garantie: Ich trainiere seit April 2017, und es gibt noch keine Finanzierung für den Flug. Weil ich in der Raumfahrt groß geworden bin, weiß ich, dass das kein langer Zeitraum ist und sehe es deswegen entspannt. Matthias Maurer, der sich 2008 bei der ESA beworben hat und 2017 nachnominiert wurde, steht noch in der Warteschlange.


Wie bereitet das Studium einen auf das Astronaut*innen-Dasein vor?

Thiele-Eich: Tatsächlich reicht das Studium alleine nicht - Berufserfahrung ist sehr wichtig, weil es spätestens im gruppenpsychologischen Assessment auffällt, wie man sich in Konfliktsituationen gibt. Da hatte ich im Studium wenig Lernerfahrung zu. Selbst die Tests zum mathematisch-naturwissenschaftlichen Verständnis sind vom Niveau her nicht über dem der 10. Klasse. Mit genug Zeit und Ruhe kann man die problemlos lösen, aber die hatten wir natürlich nicht: 20 Aufgaben in 20 Minuten, ohne Taschenrechner. Da muss man auch mal gut schätzen - vielleicht ist das etwas, was man am ehesten im Studium lernt.


Welche Charaktereigenschaften braucht man als Astronaut*in sonst noch?

Thiele-Eich: Man sollte auf jeden Fall Spaß an Grenzerfahrungen haben - ansonsten wird der Job sehr belastend.

Die Astronaut*innen, die ich kenne, sind so verschieden wie andere Menschen auch. Aber ein Merkmal weisen sie alle auf: Sie müssen sehr umgänglich sein. Wenn man sehr lange auf sehr engem Raum begrenzte Ressourcen teilt, ist diese Eigenschaft unverzichtbar. Dafür muss man sich selbst gut kennen und reflektieren können. Belastbarkeit ist ebenfalls sehr wichtig.

Und außerdem eine Eigenschaft, die "Ambiguitätstoleranz" heißt. So nennt man es, wenn man unsichere Situationen - wie das Warten auf einen Flug, der vielleicht nie stattfindet - aushält. Und ein bisschen Humor schadet nie!


Wie werden solche Eigenschaften im Auswahlverfahren getestet?

Thiele-Eich: Es gab an mehreren Stellen im Auswahlprozess intensive psychologische Einzelbefragungen, sowohl als Fragebögen als auch im Interview.

In gruppenpsychologischen Assessments wurde später zum Beispiel unsere Konfliktfähigkeit getestet. Dem Team wurden Aufgaben gestellt, und es wurde geschaut, wie die Kandidatinnen miteinander umgehen. Und: Obwohl wir alle natürlich wussten, dass jetzt gleich künstlich ein Konflikt erzeugt wird und wir bewertet werden, hat es trotzdem erstaunlich gut funktioniert!


Haben Sie nach dem Auswahlverfahren vermutet, dass Sie ausgewählt werden?

Thiele-Eich: Nein, absolut nicht. Da waren so viele tolle Kandidatinnen mit den beeindruckendsten Lebensläufen. Bei der ersten Teststufe hörte ich in den Pausen Sätze wie "Ich bin gerade von meiner Professur aus den USA eingeflogen" oder "Ich war am Wochenende in einer Höhle klettern / Fallschirmspringen / trainiere grad für meinen Marathon". Und ich war am Wochenende mal Joggen - da denkt man im Vergleich nicht unbedingt, dass man ausgewählt wird. Als wir am Ende nur noch zu sechst waren und die Entscheidung getroffen wurde, habe ich mit anderen Kandidatinnen gerechnet. Dementsprechend überrascht war ich.


Was hat es Ihnen bedeutet, überhaupt an einem Auswahlverfahren teilnehmen zu können?

Thiele-Eich: Dieses Auswahlverfahren war eine wahnsinnige, einmalige Chance. Seit ich mich als Astronautin bewerben konnte, gab es nur einmal ein Auswahlverfahren der ESA (Europäische Weltraumorganisation), nämlich 2008, bei dem ich aufgrund meines gerade erst abgeschlossenen Studiums aber noch keine Chance gehabt hätte. Das hat mir der damalige Leiter der Auswahl sehr unverblümt mitgeteilt: mein Vater. Damals war ich wirklich überrascht, weil er sonst wenig für unmöglich hielt, und plötzlich sagte er, ich solle mir nicht einmal die Mühe machen, eine Bewerbung einzureichen? Er riet mir, mich beim nächsten Auswahlverfahren zu bewerben, dass er in spätestens fünf Jahren erwartete - aber bis heute gab es kein weiteres Auswahlverfahren, bis auf das kommerzielle Auswahlverfahren "Die Astronautin".

Was mir besonders wichtig war: Durchgeführt wurde die Auswahl sowohl bei der ESA als auch bei "Die Astronautin" mit Unterstützung des DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt).


Was war das für ein Gefühl, letztendlich ausgewählt zu werden?

Thiele-Eich: Wir Kandidatinnen waren alle zusammen in einem Raum, als die Entscheidung verkündet wurde. Weil ich so überzeugt davon war, dass ich es nicht werde, war ich bei der Nachricht, dass ich ausgewählt wurde, erst mal nur geschockt. Ich wusste, dass alle Mitkandidatinnen den gleichen Traum wie ich haben und dass sie alle diese einmalige Chance auf eine Bewerbung genutzt hatten. In den Wochen vorher standen wir in engem Kontakt und haben uns gut kennengelernt. Und plötzlich steht fest: Für einige platzt gleich ein Lebenstraum. Als die Entscheidung auf mich fiel, hatte ich also kein irres Glücksgefühl im Bauch. Ich habe nicht gejubelt und bin herumgesprungen. Ich war an dem Tag einfach völlig fertig. Und so durch den Wind, dass ich mir am Abend mit der Rasiercreme meines Mannes die Zähne geputzt habe.


Haben Sie vor irgendetwas Angst, was Ihren Einsatz im All betrifft?

Thiele-Eich: Momentan nicht. Was mir eher Sorge bereitet ist, wie ich alles im Vorfeld unter einen Hut bekomme: Das Training, meine Arbeit an der Universität, mein Engagement in der Kommunalpolitik - das alles macht Spaß und Freude, aber ist auch anstrengend. Und darunter soll meine Familie auf keinen Fall leiden.


Und worauf freuen Sie sich am meisten?

Thiele-Eich: Den Blick aus dem Fenster, das Gefühl, so isoliert von der Erde zu sein - darauf bin ich wirklich sehr gespannt. Auch der Alltag als Wissenschaftsastronautin auf der Raumstation mit den vielen wissenschaftlichen Experimenten, in die wir jetzt schon während der Vorbereitung Einblicke bekommen haben, wird mit Sicherheit ein Highlight. Und zu guter Letzt: Ich möchte, dass es endlich eine erste deutsche Frau im All gibt, damit die zweite, dritte, vierte, usw. schnell folgen kann. Ob ich das bin, ist mir dabei tatsächlich egal. Hauptsache, irgendeine schafft es mal, vorzugsweise vor 2030!

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