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Wir haben zwei Jüdinnen gefragt, was sie zum "Mahnmal" aus Holocaust-Asche sagen

Oft wurden ihre Aktionen gefeiert - jetzt sind sie zu weit gegangen. Die Künstlergruppe "Zentrum für Politische Schönheit", hat in der Nähe des Reichstags ein "Mahnmal" aufgestellt, das viele Jüdinnen und Juden verärgert und verletzt. Der Grund: Nach eigener Aussage der Gruppe, soll das Mal Asche von Opfern des Holocaust enthalten.

Auf ihrer eigenen Facebook-Seite schreibt das Kollektiv, es habe "eine Gedenksäule mit der Asche der Ermordeten Hitlerdeutschlands mitten in die Republik gebaut, um an den Verrat an der Demokratie zu erinnern. An dem Ort, an dem die Konservativen 1933 die Macht und die deutsche Demokratie leichtfertig in die Hände von Mördern legten. Nie wieder vergessen!" Das Mahnmal soll an das 1933 vom Reichstag verabschiedete Ermächtigungsgesetz erinnern. Dieses legte den Grundstein dafür, dass die Gewaltenteilung aufgehoben und sich das nationalsozialistische Regime damit festigen konnte.

Doch eines hat das Kollektiv bei seiner provokanten Aktion anscheinend vergessen: Jüdinnen und Juden selbst einzubeziehen. Denn wäre das der Fall gewesen, würde das Mahnmal nicht in dieser Form stehen. Und das aus gutem Grund:

Auf Twitter schreibt der Zentralrat der Juden in Deutschland: "Die jüngste Aktion von @politicalbeauty ist aus jüdischer Sicht problematisch, weil sie gegen das jüdische Religionsgesetz der Totenruhe verstößt. Sollte es sich tatsächlich um Asche von Schoa-Opfern handeln, dann wurde die Totenruhe gestört." Ein großer Fehler also, mit dem das Künstlerkollektiv sich selbst rücksichtslos gegenüber jüdischer Kultur zeigt.

NOIZZ hat zwei Jüdinnen gefragt, warum das improvisierte Mahnmal des Zentrums für Politische Schönheit so verheerend ist. Auf Twitter zeigten sich beide schockiert von der Aktion.


"Wie die meisten deutschen Juden* über die 'Gedenksäule' von @politicalbeauty fühlen: Enteignung der eigenen Geschichte, des #Shoa-Gedenkens. Tote Juden* diskutieren nicht, wir schon! Denn wir sind ihre Stimme und ihr Überleben", schreibt Dalia Grinfeld auf Twitter. Sie ist ehemalige Vorsitzende der Jüdischen Studierendenunion und setzt sich aktuell in der Organisation ADL gegen Antisemitismus ein.

Zu NOIZZ sagte sie: "Die Asche toter Juden und Jüdinnen wurde in eine Säule gesteckt und die soll jetzt als Warnschild rumstehen, wie "Achtung max 50km/h". Juden und Jüdinnen werden als tote Juden in eine Säule gesteckt und damit objektiviert, ohne Mitspracherecht zu haben, da sie ermordet wurden. Das ist gestört und geschmacklos. Jetzt mischen wir lebende Juden* uns ein und erklären massenhaft, dass es sich um eine Instrumentalisierung von Juden* handelt."

Dass das Zentrum für Politische Schönheit sich von der Kritik nicht beeindrucken lässt, hält sie für besonders verheerend."Das ZPS provoziert weiter, hört nicht auf das, was die große Mehrheit von Juden* in Deutschland fühlt und denkt. Schlimm genug, dass das ZPS keine jüdischen Institutionen in die Konzeption einbezogen hat, dann wäre die Aktion nämlich nicht zustande gekommen. Aber jetzt wo lebende Juden* sich einmischen, akzeptiert das ZPS das Votum auch nicht."

Deshalb wirft Grinfeld der Künstlergruppe rücksichtslose Publicity vor: "Es handelt sich um eine Enteignung unserer jüdischen Geschichte, sie wird ausgenutzt für andere Zwecke, ohne Juden* zu fragen und ihre Gefühle und Gedanken anzuhören und zu respektieren. Der Fakt, dass sie sich hierzu nicht vorher erkundigt haben, zeigt die Intention deutlich."

Der gleichen Meinung ist Jenny Havemann, israelische Unternehmerin und Bloggerin.

In ihrem Tweet schreibt sie: "Herzlichen Glückwunsch @politicalbeauty. Sie haben es geschafft, mit dem Leid der Holocaust Überlebenden und der Angehörigen, Publicity zu kriegen. Dafür sind wir, Juden doch echt hilfreich. Gern geschehen. #ironie."


Zu NOIZZ sagte sie: "Als deutsche Organisation muss man besonders vorsichtig sein, bevor man eine Aktion zum Thema Holocaust macht. Am besten tauscht man sich vorher mit jüdischen Gemeinden aus. Das hat das Zentrum für Politische Schönheit nicht gemacht. Sie haben gegen das Gesetz der Totenruhe verstoßen und gegen das jüdische Gesetz, das Exhumierung verbietet. Das muss man erstmal schaffen."

Wie Grinfeld, wirft auch Havemann der Gruppe vor, Aufmerksamkeit auf Kosten der jüdischen Community zu generieren. "Es ist eine absolute Frechheit und eine schmerzliche Angelegenheit für Angehörige, die Asche ihrer Verwandelten, die auf grausamste Weise von den Deutschen ermordet wurden, für Publicity-Zwecke zur Schau zu stellen. Die Asche könnte auch meine Familie sein, die lebendig begraben wurden."

Es scheint so, als agiere das Zentrum für Politische Schönheit frei nach dem Motto: "Der Zweck heiligt die Mittel" - und entlarvt damit selbst, wie wenig es ihm bei der Aktion um die Opfer geht. Ob die Künstler es auch befürworten würden, ein gewöhnliches Grab auszubuddeln und den Inhalt auszustellen, ist fraglich. Dass ihnen das bei ermordeten Juden legitim erscheint, ist erschreckend - und der eigentliche Skandal.


Quelle: Noizz.de

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