Bei der neuen deutschen Netflix-Serie "Skylines" knallt's so richtig. Nicht nur in den Punchlines der Rapper, nicht nur aus den Waffen der Gangster, sondern vor allem zwischen den explosiven Charakteren. "Klar, Drogen-dealende Gangster-Rapper sind harte Hunde", denkst du dir? FALSCH. Die härtesten Hunde in der Rap-Serie sind die Frauen. Ciao, Gender-Klischees, hallo "Skylines". Gerade ist die erste Staffel gestartet - und darum geht's:
"Die Banken kratzen an den Wolken, ich mich am Yarrak, wie komm ich an Euros?" - Der Titelsong der Serie, eine Kurzversion von Haftbefehls Frankfurt-Hymne "069", sagt so ziemlich alles über das Frankfurt aus, das "Skylines" uns zeigt: Bankentürme, Machotum, Kriminalität.
In der Serie gerät Hauptfigur Johannes, "Jinn" genannt, als talentierter Hip-Hop-Produzent zwischen all diese Fronten: Sein Vater ist ein reicher Manager und in kriminelle Machenschaften verwickelt. Dann gerät Jinn selbst in kriminelle Kreise: Als das bekannte Musik-Label "Skylines" ihm einen Vertrag anbietet, ist das zu gleichen Teilen Chance und Risiko für ihn. Er kann für prestigereiche Musiker arbeiten - doch trifft er dort auch auf Gangster, die ihn mit in ihren Kriminalitäts-Sumpf zu ziehen drohen.
Eigentlich hatte sich das Label von seinem verbrecherischen Ruf losgesagt und möchte nichts mehr mit Drogenhandel zu tun haben. Als aber der Bruder des Label-Chefs und beinahe größten Rap-Stars Deutschlands, Kalifa, zurückkehrt, holt dieser mit sich auch wieder die Kriminalität ins Haus." Wie weit würdest du für deine Familie gehen", ist eine der zentralen Fragen der Serie. Hier ist der Trailer:
"Skylines" hat mehrere Handlungsstränge, die alle mit einander vernetzt sind und sich am Ende der Staffel treffen. Die einzige Person, die mit allen Beteiligten zu tun hat, ist die taffe Polizistin Sara. Als Führerin von V-Personen, also Personen, die in bestimmte Kreise eingeschleust werden und Informationen liefern, hat sie nicht gerade einen Nine-to-Five-Job und vernachlässigt ihre Familie extrem. Potenzielle V-Personen für den guten Zweck zu erpressen und auch mal dreckige Deals einzugehen, zieht sie dem abendlichen Kochen für die Tochter vor - und stellt damit komplett das Klischee der umsorgenden Mutter auf den Kopf. Ist die Rolle deshalb feministisch?
"Ich glaube Sara würde nicht über sich selbst sagen, dass sie eine Feministin ist, aber sie ist eine Frau, die lernen musste, sich zu Wehr zu setzen in einem stark männerdominierten Milieu. Das hat ihr eine gewisse Härte beschert und hat auch sicher feministische Züge, ohne ihr damit einen Stempel verpassen zu wollen", sagte Schaupielerin Peri Baumeister über ihre Rolle. Und weiter: "Sarah ist für mich sehr widersprüchlich. Sie ist eine Kämpferin auf der Flucht. Eine Frau die nicht aufgibt, die auch manipuliert, um ihr Ziel zu erreichen und vor allem eine Frau, die Fehler machen darf."
Zwar stellt die Serie es nicht als positiv dar, wie Sara ihre Familie vernachlässigt - im Gegenteil, sie zeigt, wie sehr alle Beteiligten darunter leiden. Dennoch zeigt sie nach all den Filmen mit der Klischeerolle "arbeitssüchtiger Bürohengst": Es gibt auch Frauen, die sich komplett ihrer Arbeit verschrieben haben und dafür viel zu weit gehen. Sie stellt endlich einmal die Realität dar.
Und Sara ist nicht die einzige knallharte Frauenrolle, die die Männer in der Serie in die Tasche steckt. Vor allem eine Person sticht geradezu bedrohlich aus allen anderen Rollen heraus: Zilan. Sie ist die Frau, die alles erledigt, was ihre männlichen Kumpels nicht hinkriegen: Typen zusammenschlagen, die sich in den Weg stellen, mit dem Hammer auf Hände einschlagen, Gegner "zur Rede stellen" - Drecksarbeit eben. Auch sie wird nicht als leuchtendes feministisches Vorbild dargestellt - diesen Anspruch erhebt die Serie auch gar nicht. Eine Frauenrolle, die durch das größte Aggressionspotenzial in einer Männerdomäne auffällt, setzt sich trotzdem über das Geschlechterklischee der ruhigen, überlegten Frau hinweg.
Das denkt auch die Schauspielerin der Rolle, Carol Schuler: "Zilans Rolle ist auf jeden Fall feministisch", sagt sie. "Sie hat einen Weg gefunden, wie sie sich in diesem Macho-Umfeld, in dem sie sich bewegt, Respekt erarbeitet. Und sie hat das nicht äußerlich über Weiblichkeit gemacht, sondern eher im Gegenteil - weite Klamotten, maskuliner Gang. Die Rolle ist feministisch, weil sie einfach eine wütende Frau ist. Und oft ist es so, dass Frauen nicht ihre Wut zeigen dürfen, immer ein Lächeln auf den Lippen tragen und hübsch sein müssen."
Dabei war die Rolle zuerst gar nicht für eine Frau gedacht, gestand Drehbuchautor Dennis Schanz gegenüber NOIZZ. "Das Gangster-Geschwisterpaar Pezo und Zilan war ursprünglich mal eine einzige Person. Irgendwann kam unsere Autorin Kim mit der Idee: Kann Pezo nicht auch eine Frau sein?", sagte er. Schanz' erster Impuls: ein klares Nein. "Aber diesen ersten Impuls zu übergehen, war genau die richtige Entscheidung." Die Autorin im sonst männlich besetzten Team zu haben, sei enorm wichtig und hilfreich gewesen.
"Eigentlich sehen wir Männer im Autoren-Team uns als weltoffen und liberal und meinen, eine weibliche Perspektive auch sehen und darstellen zu können. Aber es ist schon interessant, dass man auch an seine Grenzen gestoßen ist und die einzige Frau im Writers-Room uns manchmal erklären musste, dass wir in eine Klischeefalle getappt sind", so Schanz. "Außerdem hatten wir auch die supertalentierte Regisseurin Soleen Yusef an Bord, die dann gemeinsam mit den Schauspielern nochmal was ganz Neues reingebracht hat."
Betrachtet man die starken Frauenrollen bei "Skylines", die den Männern oft sagen, wo es lang geht, könnte man auf die Idee kommen, dass genau dies die Intention der Drehbuchschreiber war - doch das ist falsch: "Ich versuche immer von echten Menschen zu erzählen, und da geht es mir nicht darum, irgend ein Frauenbild zu pushen. Und teilweise ist es auch so banal, dass du eine Figur hast, die ganz interessant ist, und du brauchst noch einen Konterpart, der spannende Konflikte bedeutet: Wie Rapper Kalifa und Polizistin Sara", sagte Schanz. "Oberflächlich werden bei den Rappern Macho-Klischees bestätigt, das wird durch die Serie hinweg aber immer wieder aufgebrochen - mir gefällt dieses Wechselspiel."
Das bestätigt auch Edin Hasanović, der Jinn spielt. "Das Männlichkeitsbild ist in der Serie von bis. Es gibt Männer, die weinen, die sich verlieben, die sich prügeln. Es gibt kein klares Männerbild, das wir da zeigen. Wir haben auch die Machos, die kommen genauso vor, wie die liebenvollen Väter", sagte er zu NOIZZ. "Wer sich die Serie anguckt und überall nur nach Schubladen sucht à la "Das machen Männer, das die Frauen", der macht es sich zu einfach, der guckt nicht genau hin und offenbart so sein allgemeines Bild auf Menschen", so Hasanović.
Doch eine Person scheint komplett aus dem Wechselspiel der starken Charaktere herauszufallen: Lily, die Schwester von Jinn. Fast ist man geneigt, sie als Randfigur wahrzunehmen, als Spielball, der im Kräftemessen seines Umfelds kaputt geht, ohne selbst Einfluss zu nehmen. Fragt man jedoch Schauspielerin Anna Hermann, fällt einem die Erkenntnis wie Schuppen von den Augen: Lily ist eine personifizierte Gesellschaftskritik und eigentlich die stärkste Figur der ganzen Serie.
"Ihre Rolle steht für eine Welt, in der jeder auf sich selbst gestellt ist, eine Ellenbogengesellschaft, in der jeder um seinen eigenen Erfolg kämpft. Lily steht stellvertretend für Personen, die zu ihrer Schwäche stehen können, was unglaublich wichtig ist", so Hermann. "Auch wenn man das auf den ersten Blick nicht denkt, ist Lily eine ebenso starke Frauenrolle, wie Sara oder Zilan. Denn zu dieser Ehrlichkeit, sich das Scheitern eingestehen zu können, gehört sehr viel Mut und Stärke. Nicht Stärke im Sinne von 'Ich erreiche mein Karriereziel', sondern 'Ich trete genau da zurück und sage, wer bin ich und wie fühle ich mich?'.".
Mit dieser überraschenden Rolle geht "Skylines" einen Schritt weiter als die meisten anderen Serien, die auf "starke Frauenrollen" setzen. Lily zeigt: Es gibt viele Formen von Stärke. Feminismus bedeutet nicht nur, die gleichen Jobs, wie Männer zu machen, genau so taff aufzutreten, wie sie und mal nicht die umsorgende Mutter zu sein. Es bedeutet auch, dazuzustehen, wenn man genau das nicht möchte. Dass man seinen eigenen Weg geht, ohne dabei Angst haben zu müssen, bestimmten Rollenbildern zu entsprechen oder widersprechen. "Skylines" schafft es, die Erwartungen an eine Rap- und Krimiserie zu übertreffen und die Klischees, die man bei einer ebensolchen erwartet, kritisch einzuordnen.
Nicht nur, aber zum großen Teil deshalb ist "Skylines" die Serien-Entdeckung dieses Herbsts, die du dir unbedingt angucken solltest - wenn du jetzt nicht so wie so schon alles weißt.
Quelle: Noizz.de
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