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Medizinstudium: Berufung oder Systemerhaltung?

Zwölf Jahre Ausbildung, davon einige Jahre als gratis Arbeitskraft und einem im Ländervergleich mageren Gehalts-Ausblick - „Nicht mit uns!" sagen drei Generationen an Ärzten

Lange war ein Medizinstudium Inbegriff einer vernünftigen Laufbahn mit den besten Zukunftsaussichten. Das Studium wurde in den letzten zwanzig Jahren oft verändert und auch jetzt stehen wieder einige Änderungen an, beispielsweise für das klinisch praktische Jahr, kurz KPJ, am Ende des Studiums. Sieht es trotz Änderungen immer noch rosig aus für die rund 1400 Medizinstudenten, die jährlich ihr Studium in Österreich abschließen?

 Prinzipiell belegten laut Statistik Austria letztes Jahr über 13.000 Studenten das Fach Medizin an den öffentlichen österreichischen Universitäten. Doch nur ein Bruchteil beginnt auch, nach dem Studium hier zu arbeiten. Einen solchen Ärztemangel gab es nicht immer: Gibt es heute zwischen null und drei Bewerber für eine Stelle, waren es im Jahr 2008 noch 27 Bewerber, so ein Oberarzt der Universität Innsbruck ( Name der Redaktion bekannt), der vor genau zwanzig Jahren zu arbeiten begann.

Ein Mitteilungsblatt derselben Uni berichtet, dass von zwölf ausgeschriebenen Ausbildungsstellen bei fünf Stellen sogar eine Wiederholung der Ausschreibung nötig war. Vieles hat sich also in den letzten zwanzig Jahren geändert. Die Struktur eines „klassischen Studiums" ist jedoch relativ gleich geblieben: Fünf Jahre Studium, ein praktisches Jahr, dann optional drei Jahre für den PHD, beziehungsweise sechs Jahre für eine Facharztausbildung. Macht in Summe zwölf Jahre, die Studenten damals und heute absolvieren mussten.


Kreuzerltest statt Knochencolloquium

In einigen Punkten jedoch unterscheidet sich das Grundstudium heute. Während sich die Studenten früher noch mit quasi einer einzigen „Knock-Out"-Prüfung, dem Knochencolloquium am Anfang des Studiums, herumschlagen mussten, so gibt es bei den aktuellen Absolventen jedes Jahr eine solche Prüfung. Auch um das Studium überhaupt beginnen zu dürfen, muss man mittlerweile einen Eingangstest (MedAT Test, Anm.) absolvieren, der mit dem späteren Studienerfolg korreliert. Den angehenden Ärzten wird auch ein schon fertiger, beinah schulischer Stundenplan vorgelegt. Das ganze System wirkt einheitlicher, aber auch fair gestaltet. Wahlfächer gibt es nur im Ausmaß von 15 Semesterstunden.

Am meisten lerne man aber sowieso in der Praxis, so Benjamin H., ein junger Assistenzarzt der Universität Innsbruck, der sein Studium 2012 abschloss. Deshalb sei das KPJ auch so wichtig. Generell müssen die Studenten nur einen Bruchteil der KPJ-Zeit im eigenen Krankenhaus verbringen, den Rest kann man auch im Ausland absolvieren.

Das System des KPJ soll nun aber geändert werden. Teil dieser Änderung ist eine Verlängerung der Arbeitszeit von 32 auf 48 Wochen, die ab 2016/2017 verpflichtend sein wird. Das kann für viele Studenten eine enorme Belastung bedeuten, erklärt Florian Schlader, Vorsitzender der ÖH Medizin in Innsbruck: „Wer kann es sich schon leisten, am Ende eines sechsjährigen Studiums noch ein Jahr gratis zu arbeiten?"

Eine Aufwandsentschädigung gibt es bislang nur vereinzelt in ein paar Bundesländern, jedoch fehlt eine österreichweite Lösung. Hier gehe es gar nicht darum, Geld damit zu verdienen. Es würde auch schon reichen, wenn ein paar Lebenskosten damit gedeckt werden würden, so Schlader.


Das Hauptproblem scheint den Zuständigen noch zu entgehen: Laut einer Umfrage der ÖH Medizin der Universitäten Wien, Graz und Innsbruck geben jetzt schon die Hälfte aller Medizinstudenten in Österreich an, nach dem Studium ins Ausland gehen zu wollen. In Innsbruck sind es sogar zwei Drittel aller Studenten. „Gerade, wenn man eine Medizinuni auf dem Campus hat, wäre es nur logisch, dass die Zuständigen diese gut ausgebildeten Leute behalten wollen, anstatt sie zu verscheuchen", meint Schlader.

In einem Punkt sind sich Benjamin, Florian Schlader und die für den Artikel befragten Oberärzte einig: in Österreich werde einem als Arzt mangelnde Wertschätzung entgegen gebracht. Das liegt laut Benjamin oftmals aber auch an einer komplett andersartigen Erwartungshaltung, die Patienten in Österreich an den Tag legen. „Oft kommen Eltern mit einem Stapel an Diagnosen aus dem Internet und glauben manchmal, mehr zu wissen als der Arzt selbst. In anderen Ländern ist es noch häufig so, dass man dem Arzt einfach blind vertraut und vertrauen muss."


Dieser Posten wird abgebaut

Wertschätzung - ein Begriff, der auch in den Diskussionen zum neuen Arbeitsstundengesetz immer wieder genannt wird. Das EU-Gesetz, welches bis 2021 durchgesetzt werden soll, beinhaltet eine Kürzung der Arbeitszeit von bis zu 72 auf durchschnittlich 48 Stunden pro Woche. Das Problem dabei sei, dass diese Kürzung bei der derzeitigen Besetzung und dem Arbeitsaufkommen nicht möglich sein wird, so der Innsbrucker Oberarzt.

Bei den beinahe wöchentlichen Demos in ganz Österreich ist die Stimmung klar unzufrieden. In Wien gingen die Ärzte des AKH auf die Straße, um gegen den geplanten Abbau von über 300 Stellen bis 2018 zu protestieren. Auf ihrer Webseite spricht die Initiative „Schützen wir unsere Spitäler" von den Folgen des Ärztemangels. Sie plädieren an die Stadt Wien, Gegenmaßnahmen zu treffen, da das neue Gesetz auch für die Patienten Konsequenzen wie längere Wartezeiten in Arztpraxen haben werde. Auch erwähnen sie den Qualitätsverlust, den die Ausbildung der Jungärzte bei gleich bleibenden Bedingungen haben wird.


Weniger Stunden, weniger Ärzte, gleich viele Patienten

Es ginge nicht darum, dass die Ärzte - sowohl die neuen als auch die erfahrenen - unzufrieden seien mit ihrem Job, sagt eine Oberärztin für Pädiatrie, die anonym bleiben will. Im Gegenteil - sie und ihre Kollegen würden ihren Beruf, ihre Berufung, auch weiterhin sehr gut ausführen wollen. Eine Ausbildung, die mindestens 12 Jahre dauert, vom Aufnahmetest bis zum ausgebildeten Facharzt, gehöre auch dementsprechend entlohnt, so die Oberärztin. „Weniger Stunden, weniger Ärzte, aber eine gleiche Anzahl an Patienten.", so Florian Schlader.

Das widerspreche laut ihm jeder Logik. Eine adäquate Entlohnung wird nicht nur für das Grundgehalt der bereits arbeitenden Ärzte gefordert, sondern auch für das KPJ. Florian Schlader erklärt, dass durch die Verlängerung des KPJ ein Nebenerwerb kaum möglich sei und die Lebenserhaltungskosten während dem KPJ durch Umzüge oder sogar Doppel-Mieten oft noch zusätzlich steigen.


Wanted: Jungärzte

In anderen Ländern, wie etwa in Deutschland und der Schweiz, gibt es Angebote mit einer stets vorhandenen Aufwandsentschädigung und höheren Einstiegsgehältern. Der Umzug ins Nachbarland wird zusätzlich noch durch andere Faktoren zur schmackhaften Alternative. So erzählt Benjamin H., dass es dort möglich sei, gleich nach dem Studium seinen Facharzt anzufangen. In Österreich hingegen muss man als Voraussetzung für die Facharzt-Ausbildungsstelle zuerst den Turnus machen, eine in der Regel dreijährige Ausbildungszeit zum Allgemeinmediziner. Das bedeutet aber für Personen, die schon wissen, auf welches Fach sie sich spezialisieren wollen, nur noch eine Verlängerung des Studiums. Um in die Forschung gehen zu können, müssen die Absolventen zuerst noch einen dreijährigen PHD machen, während die deutschen Studenten schon neben dem Studium ihre Doktorarbeit schreiben können.


Lebensqualität muss dagegen halten

Die Motivation, trotzdem in Österreich zu bleiben? Das sei vor allem die Lebensqualität: „In Innsbruck gibt es auch ein einmaliges Forschungsnetzwerk, da der kleine Campus den Vorteil hat, dass man die Wege zwischen Klinik und Labor schnell überbrücken kann.", so Benjamin. Er ist quasi ein Ausnahmefall und als deutscher Student in Österreich, nicht wie 80% seiner deutschen Mitstudenten wieder in sein Heimatland zurückgegangen.

Das neue KPJ habe natürlich auch Vorteile: Bei längeren Aufenthalten auf einer Station könne man beispielsweise mehr ins Team integriert werden, sagt Florian Schlader: „Klar brauche ich die Ressourcen von anderen Mitarbeitern, ihre Arbeitszeit, aber es geht darum, dass ich gesehen werde als das, was ich bin: Einer der noch lernt, noch nicht alles kann, aber trotzdem ein wertvoller Mitarbeiter", sagt Florian Schlader. Die neue Form könne laut ihm also prinzipiell ein gutes Ergebnis erzielen, wenn an der Ausführung noch gearbeitet wird.

Derweil appellieren die Ärzte an die politisch Verantwortlichen, in deren Händen die leistungsorientierte, finanzielle Entlohnung und Anerkennung liegt. „Wertschätzung: Das heißt Achtung gegenüber dem Beruf und der Verantwortung, die wir tragen, und nicht nur in finanzieller Hinsicht", sagt die Innsbrucker Oberärztin.

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