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Klimaflüchtlinge: Dürre als Fluchtgrund?

Dürre, steigender Meeresspiegel und andere Klimaeffekte, für die wir mitverantwortlich sind, treiben Millionen Menschen in die Flucht. Jedoch haben Klimaflüchtlinge de facto keine Rechte. Eine Analyse

Flüchtlings wellen, Asylantenan sturm, oder Ausländer flut - das sind Begriffe, die in der Flüchtlingsdebatte am Tagesplan stehen. Jedoch ist diese Rhetorik sehr ungeschickt, wenn man bedenkt, dass diese Formulierungen für manche Menschen auch der Fluchtgrund sein können. Klimaflüchtlinge stellen eine andere, kaum abgrenzbare Flüchtlingsgruppe dar, der bisher kaum Aufmerksamkeit geschenkt wurde.


Selbstzuschreibung „Klimaflüchtling"?

Eines steht fest: eine einheitliche Definition, was ein Klimaflüchtling denn eigentlich ist, findet sich in keinem Wörterbuch. Stimmen aus der Sozialwissenschaft definieren sie in etwa als „Menschen, die durch falsche Klimapolitik unfreiwillig zur Migration gezwungen werden". Das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beschäftigt sich mit den Dimensionen des Begriffes: Als Erstes gilt es den Unterschied zwischen Klimawandel- und Umweltfaktoren zu klären, welche die Leute in die Flucht treiben können. Demnach verlassen Umweltflüchtlinge wegen Umweltzerstörungen und Klimaflüchtlingen wegen Klimawandel ihr Land. Hier stellt sich das erste Definitionsproblem: Was genau ist denn meine Umwelt? Und wie weit kann man Klimawandel ausdehnen und verstehen?

Auch wird die Dimension der Freiwilligkeit diskutiert: Experten scheinen sich uneinig, inwiefern eine eindeutige Fluchtursache definiert werden kann, denn die Spannweite von kleinflächigen Bränden, bis zum Ansteigen des Meeresspiegels ist breit. Besonders erschwert werde hierdurch die Abgrenzung zu anderen Fluchtgründen, so Sozialgeograph Carsten Felgentreff: „Es stellt sich die Frage, ob es reicht, sich selbst als Klimaflüchtling zu bezeichnen, oder ob es da eine Definition von außen benötigt".


Wetter, das in die Flucht schlägt

Laut den Sozialwissenschaftlern Boas und Biermann, verlassen Klimaflüchtlinge ihre Heimat aus drei Gründen, die in Bezug zu Klimawandel stehen: Anstieg des Meeresspiegels, extreme Wetterevents, und Dürre bzw. Wasserarmut. Erneut taucht die Frage auf, inwiefern man das von anderen Fluchtgründen wie Armut abgrenzen kann, die scheinbar mit Klimakatastrophen verschmelzen. „Man kann Gründe wie Dürre auch als Armutsflucht betrachten, da sie ja oft durch mangelnde Möglichkeiten zur Bewässerung entstehen. Fakt ist, dass es solche extremen Events immer gegeben hat und immer geben wird - man vergleiche es zum Beispiel mit der Heuschreckenplage in der Bibel. Aber buchhalterisch eine Grenze zu ziehen, welche Probleme gute und schlechte Fluchtgründe sind, das will ich moralisch nicht beurteilen müssen", sagt auch Experte Felgentreff.

Anschaulicher und verständlicher wird der Vorgang, wie es zu Klimaflucht kommen kann am Beispiel der Sahel Zone: Obwohl das Klima in dieser zentralafrikanischen Gegend generell eher trocken ist, verstärkt der Klimawandel diese Probleme nur noch mehr. Treibhausgase werden ausgestoßen, die zu Änderungen in den Regen- und Trockenperioden führen. Außerdem gäbe es laut einem Bericht des Ludwig-Boltzman Instituts für Menschenrechte vermehrt unvorhersehbare Wetter-Erscheinungen und neue Muster. Das Ganze wird durch die globale Ebene ergänzt, die das Schmelzen der Eiskappen und ähnliches inkludiert. Direkt sichtbar werden diese Einflüsse dort und in anderen Herkunftsgebieten wie Südostasien, aber auch Australien oder Neuseeland, zum Beispiel durch die Degradation - also Zerstörung - des Bodens.

Im Senegal, einem Land der Sahel Zone, leben 80 Prozent der Menschen von Landwirtschaft. Durch die Bodendegradation wird Fläche unbrauchbar, die sonst als Agrarland nutzbar wäre. Die Zerstörung kann unter anderem durch Rückgang der Biodiversität, Versalzung, oder Verunreinigung passieren. Die Wüste soll dort jedes Jahr bereits um bis zu 10 Kilometer zunehmen. Als Folge stehen weniger Ressourcen für das alltägliche Leben zur Verfügung, was in Kombination mit Extremwetterereignissen dazu führt, dass die betroffenen Selbstversorger an die Grenzen ihrer Resilienz-Kapazität stoßen: Die Fähigkeit, problemlos und ohne große Opfer zu bringen in einen Normalzustand zurückzufinden.


Eine verdurstete Herde ist rechtlich kein Fluchtgrund

Auch rechtlich ist eine Abgrenzung von Klimaflüchtlingen zu anderen Fluchtursachen kaum durchführbar. Es scheint als hätte diese Gruppe de facto keine (eigenen) Rechte. In einem Bericht über die Schnittpunkte von Menschenrechten und Klimawandel, kam auch der Human Rights Council zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis. Bei Binnenflüchtlingen aus Klimagründen gelten demnach weiterhin die gleichen Regeln wie für andere landesintern Vertriebene.

Bei grenzüberschreitender Migration scheint das Recht jedoch noch Lücken aufzuweisen. „In Deutschland ist es nicht relevant für das Asylrecht, wenn jemand sagt, dass er fliehen musste, weil seine Schafherde verdurstet ist. Solche Phänomene sind auch durch andere Regelungen nicht abgedeckt", so Felgentreff. Der ehemalige UNHCR Kommissär António Guterres erwähnte in einem Bericht sogar, dass die Terminologie und Bedeutung von Umwelt- oder Klimaflüchtlingen nicht auf internationaler (Flüchtlings-) Gesetzgebung basiert. Besonders die Namensgebung „Flüchtling" sei in dieser Hinsicht irreführend, da sie auf eine Handhabung nach der Regelung der Genfer Flüchtlingskonvention hinzielt, die hier aber so nicht praktikabel ist. Was bedeutet, dass ein Ansuchen auf Asyl und die Gewährung von subsidiärem Schutz für diese Gruppe erheblich erschwert wird. In Deutschland werden auch große Naturkatastrophen nicht als Asylgrund anerkannt.


Ein (nicht nur) politischer Teufelskreis
Politisch gesehen wirft diese Thematik gleich zwei Hindernisse auf: Nicht nur gilt es die ohnehin relevanten Fragen der heutigen Flüchtlings-Handhabung zu klären, sondern auch klimapolitisch stehen einige Sachen auf der Agenda. Betrachtet man das große Ganze fällt ein Teufelskreis auf: Die vorher erwähnte Bodendegradation führt zu einer geringeren CO2-Aufnahmekapazität des Bodens. Das bedeutet wiederum, dass das CO2 stattdessen in der Atmosphäre bleibt und als Treibhausgas den Klimawandel bekanntlich nur weiter vorantreibt. Unmittelbare Folge? Mehr (Klima-)Flüchtlinge.

Der Human Rights Council schlug vor, menschenrechtliche Ansätze international zu stärken, indem man auch Betroffene vor Ort informiert und miteinbezieht. Umgesetzt gehört dieser Lösungsansatz vor allem in der derzeitigen Klima(wandel)politik. Generell sollten die Regelungen aber nicht nur Länder im globalen Süden betreffen, also der ursprünglichen „Dritten Welt“, denn rein theoretisch sind auch europäische Länder von einem steigenden Meeresspiegel und ähnlichen Szenarien betroffen: „Es ist interessant, dass niemand Prognosen über, sagen wir, die westfriesischen Inseln anstellt. Gleichzeitig ist es aber auch logisch, da immer davon ausgegangen wird, dass es bei uns finanzielle Möglichkeiten gibt dagegenzuwirken“, so Sozialgeograf Felgentreff.


Prognosen aus den 90ern
Die Problematik der Abgrenzung und Linien-Setzung zieht sich wie ein roter Faden durch das Thema. Verwirrung herrscht auch bei der Frage, wie viele Menschen denn nun Klimaflüchtlinge seien. In allen Berichten zum Thema Klimaflüchtlinge, findet man Zahlen einer Studie aus den 1990ern. Laut FAZ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, Anm.) schwanken diese zwischen 50 und 350 Millionen Klimaflüchtlingen bis zum Jahr 2050. Norman Myers, der britischer Naturschützer, der diese Prognosen aufstellte, wurde seitdem ständig kritisiert; es wurde beispielsweise nicht unterschieden, ob jemand zwei oder zweitausend Kilometer gewandert sei.

Ist das ein Anlass um neue Zahlen zu sammeln? Carsten Felgentreff verweist auf andere, auch sehr interessante Forschungsergebnisse: „Wir wissen bisher, dass die Migrationen, vor allem bei Dürreevents, eher kleinräumig waren. Man hat vor mehr als zwanzig Jahren festgestellt, dass auch wenn von den Familien viel Geld zusammengelegt wurde, damit Einzelne nach Europa migrieren können, die Menschen eher kleinräumig wanderten. Meist ist es eher so, dass Frauen und Kinder zu Verwandten in Städte migrieren“.

Eine Zerrissenheit zeigt sich in dieser Debatte in vieler Hinsicht: Definitionen, die zu Rechtfertigungen führen sollen, bewirken oftmals das Gegenteil, also mehr Komplikationen. Auch äußert sich die Zwiespältigkeit und schlechte Regulierung bei der Umsetzung klimapolitischen Zielen beispielsweise im Landraub (oft illegale Aneignung von Land durch internationale Akteure Anm.). Denn dieser ist förderlich für die Umsiedlung, beziehungsweise Zwangsmigration, zahlreicher Menschen, die selbst ziemlich sicher sehr wenig zur Problematik beigetragen haben.


Ein trüber Ausblick?
Einige Initiativen arbeiten gegen diese Ungerechtigkeiten: Die UK Climate Change and Migration Coalition lässt Umweltflüchtlinge ihre Geschichten erzählen: „Die meisten Leute aus Kiribati wollen nicht in ein anderes Land ziehen, aber wir werden bald keine andere Wahl mehr haben. Aber es gibt da ein Problem: anders als mit unseren Nachbarn in Tuvalu sympathisiert kein Land politisch mit uns“, heißt es beispielsweise von Betroffenen auf der Pazifikinsel Kiribati.

Inselregionen leiden nicht nur unter vermehrten, durch Klimawandel induzierten, Naturkatastrophen wie stärkere Zyklone; auch langsamere Vorgänge wie Dürren, oder ein steigender Meeresspiegel betreffen diese besonders verwundbaren Regionen. Diese und weitere Geschichten dienen dazu, das Thema in die politischen Debatten einzubringen und dadurch in Klimapolitik und internationalem Recht zu sensibilisieren. Auch die UN-nahe, schweizerische Plattform Displacement Solutions arbeitet an einer Verbesserung der Lage. Geholfen wird nicht nur durch die Aufarbeitung des Rechts, sondern auch durch aktive Land-Beschaffung für die Klimaflüchtlinge vor Ort. Neue, sichere Wohnorte für alle, die durch klimatische Effekte ihre Heimat verloren haben, sollen gefunden werden. Die Diskussion zu Klimaflüchtlingen steht noch am Anfang. Jedoch scheint es, als ob zumindest mental bereits ein erster Schritt gegangen wurde, wie es laut Greenpeace vom EU-Parlamentarierin Jean Lambert zusammengefasst wird: „Indem man Klimaflüchtlinge anerkennt, erkennt man auch das Problem. Indem man das Problem erkennt, startet man damit Verantwortlichkeit zu übernehmen und Lösungsansätze zu suchen“.

Zusammenfassend erläutert Carsten Felgentreff die Problematik der ganzen Debatte: „Anstatt Mutmaßungen über den Stellenwert von Umwelt- oder Klimawandel bei der Entscheidung für Flucht oder Migration anzustellen und die dann zu bewerten, sollten wir unser Augenmerk mehr auf die umfassenden und sehr realen Verstöße gegen ihre Rechte richten, die ihnen auf ihrem Weg widerfahren“. Dass es dabei nicht immer auf den Fluchtgrund ankommt, sollte klar sein.



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