Kaum ein Säugetier konnte sich auf der Erde so gut etablieren wie der Mensch. Schlüsselprozesse, durch die wir uns an eine sich ständig ändernde Umwelt anpassen können, sind Sexualität und sexuelle Selektion. Elisabeth Oberzaucher erforscht menschliches Verhalten an ebendieser Schnittstelle von Umweltanpassung und der dadurch erforderlichen, richtigen Partnerwahl. Unlängst wurde ihr der Ig-Nobelpreis ( „ig" für Englisch improbable, was so viel heißt wie unwahrscheinlich, Anm.) verliehen: Ein Preis, der wissenschaftliche Arbeiten ehrt, die auf den ersten Blick lustig wirken, jedoch durchaus sinnvoll sind und die Wissenschaft massentauglicher machen sollen. Ihre Leidenschaft für simple, etwas kuriose Wissensvermittlung bewies sie auch im Interview:
mokant.at: Inwiefern wird diese Auswahl getroffen, um dann evolutionär einen Vorteil zu haben?
Oberzaucher: Zurückgehen tut das ganze ja auf die Frage, wieso wir überhaupt Sexualität haben und uns nicht ungeschlechtlich fortpflanzen, was ja durchaus auch eine Möglichkeit wäre. Es gibt hierzu eine evolutionäre Überlegung von Leigh Van Valen, die sogenannte Red Queen Hypothese. Sie heißt so in Anlehnung an eine Szene aus „ Alice hinter den Spiegeln" ( Fortsetzung von Alice im Wunderland, Anm.). Alice will Königin werden und muss dafür mit der Herzkönigin um die Wette laufen. Weil sie aber immer auf der Stelle stehen bleibt, erklärt ihr die Herzkönigin schlussendlich, dass man bei ihnen doppelt so schnell laufen müsse, um vom Fleck zu kommen. Das ist im Prinzip das Gleichnis für ein Wettrennen, das wir langlebigen, vielzelligen Organismen dauernd gegen unsere Umwelt laufen, die sich unvorhersehbar verändert. Das große Problem, das auch Darwin so noch nicht erkannt hat, ist, dass nichts stabil ist. Als Organismus ist Variabilität die einzige Antwort zu reagieren. Für uns sind Mikroorganismen inklusive Krankheitserreger die Hauptquelle für Veränderungen, an die wir uns anpassen müssen. Wenn man sich wie Bakterien alle halben Stunden und nicht wie wir alle zwanzig Jahre fortpflänzt, verändert man sich natürlich auch schneller. Wir mussten etwas finden, um die Variabilität zu beschleunigen und das ist die sexuelle Fortpflanzung.
mokant.at: Und den passenden Vorteil gegenüber Mikroorganismen erschnuppern wir uns sozusagen?
Oberzaucher: Ja. Die Grundidee ist, dass wir dem
Immunsystem unserer Nachkommen etwas beibringen, das unser eigenes noch
nicht kann. Dementsprechend ist es auch nicht so, dass wir sagen können
„gleich und gleich gesellt sich gern“, oder „Gegensätze ziehen sich an“,
sondern die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen.
mokant.at: Inwiefern?
Oberzaucher: „Gegensätze ziehen sich an“ ist praktisch das Argument der Red Queen Hypothese
und des Wettlaufs mit Viren und Bakterien. Allerdings gibt es viele
Argumente für ein „gleich und gleich gesellt sich gern“, allem voran die
Alltagstauglichkeit. Ähnlichkeit ist etwas, das eine Beziehung leichter
lebbar macht.
mokant.at: Hier überwiegen also soziologische Faktoren?
Oberzaucher: Genau. Man könnte sagen, die
genetisch-biologische Argumentation geht in Richtung Unähnlichkeit und
die psychologisch-soziologische tendiert eher Richtung Ähnlichkeit. Das
ist natürlich auch im Hinblick aktueller Ereignisse eine sehr schöne
Geschichte, weil die Biologie ein extrem mächtiges Argument für
Variabilität und Offenheit bleibt!
mokant.at: Wenn man davon ausgeht, dass es für die
Fitness besser ist, das Gengut so variabel wie möglich zu halten, wieso
hat sich Polygamie nicht durchgesetzt?
Oberzaucher: Das stimmt gar nicht, dass die Polygamie
sich nicht durchgesetzt hat. Das ist nur unsere komische, westliche
Sicht. Im Kulturen-Vergleich sieht man, dass Polygynie, also das
klassische Harem-System von einem Mann und mehreren Frauen, das
vorherrschende Muster ist. Zweitens ist selbst in der westlichen Welt
das Bild der Monogamie nur haltbar, wenn man nicht genau hinschaut. Der
Großteil der Menschen, die bei uns leben, hat nicht nur einen
Sexualpartner im Leben. Meist ist es eher eine sogenannte sequentielle
Monogamie, also ein Aufeinanderfolgen mehrerer monogamer Beziehungen.
Außerdem gibt es durchaus auch versteckte polygyne oder promiske
Tendenzen, wo die Exklusivität nicht ganz gegeben ist.
mokant.at: Wäre es theoretisch evolutionär von Vorteil, polygam zu leben?
Oberzaucher: Wir lernen aus Tiermodellen, dass da
Faktoren wie Ressourcenverteilung und Ressourcendichte in einem Habitat
eine große Rolle spielen. Das wiederum bestimmt dann, wie sich die
Weibchen im Raum verteilen und davon hängt dann ab, wie sich die
Männchen um die Weibchen verteilen. Wir können auch bei Menschen einen
Zusammenhang zwischen den ökologischen Rahmenbedingungen und dem
Heiratssystem beobachten. Wenn wir eher karge Lebensräume haben, sprich
Arktis oder das Hochland von Tibet, finden wir Tendenzen zur Monogamie
oder sogar zur Polyandrie (eine Frau hat mehrere Männer, Anm.).
Gerade in Tibet scheint die Polyandrie die beste Lösung zu sein, weil
die Männer zusammenhelfen, um die Familie ausreichend versorgen zu
können.
mokant.at: Könnte die Tendenz zur Monogamie auch
damit zusammenhängen, dass die Gruppegröße bei einer polygamen
Lebensweise durch Geschlechtskrankheiten wieder reguliert werden würde?
Oberzaucher: Polygamie ist nicht gleich Promiskuität.
Das klassische, polygame Harem-System, in dem der Sexualverkehr auf
diesen Harem beschränkt ist, fördert nicht unbedingt die Verbreitung von
Geschlechtskrankheiten. Promiskuität tut das schon und das ist
eigentlich genau was passiert, wenn das Ganze versteckt abläuft. Unter
Umständen bleibt die Ansteckung dann unerkannt und das ist natürlich
gefährlich.
mokant.at: Gibt es bei der Partnerwahl unterschiedliche Strategien bei Männern und Frauen?
Oberzaucher: Grundsätzlich muss man sagen, dass uns
mehr verbindet als uns trennt. Im Endeffekt ist es bei Männern und
Frauen so, dass als wichtigste Eigenschaften eines Partners an den
ersten drei Stellen die gleichen Sachen stehen: Nett, sozial verträglich
und gesund. Erst an vierter Stelle kommt es zu Differenzen, die in
Zusammenhang mit Fortpflanzungsmöglichkeiten stehen. Bei Frauen sind das
Dinge, die mit Status zu tun haben: Sie legen mehr Wert auf
Intelligenz, auf Einkommen, die Position etc. Man darf das aber nicht
missverstehen und sagen, Männern ist egal ob ihre Frau intelligent ist
oder nicht. Es ist ihnen nur nicht ganz so wichtig wie Frauen. Bei
Männern steht an vierter Stelle Attraktivität und Jugendlichkeit, also
Dinge, die mit Fruchtbarkeit assoziiert werden. Frauen wiederum finden
es aber natürlich auch nicht irrelevant, ob ihr Mann attraktiv ist oder
nicht (lacht).
mokant.at: Sagen wir, die Partnerwahl ist
erfolgreich abgeschlossen und es kommt zu Nachwuchs. Die besondere
Bindung einer Mutter an ihr Kind ist ja bekannt. Wie sieht das aber bei
Vätern aus?
Oberzaucher: Die weibliche Seite hat zwar ein höheres,
biologisches Minimalinvestment, aber das heißt nicht, dass das immer so
bleibt. Väterliches Investment kann nämlich sinnvoll sein, da die
Nachkommen manchmal erst so überleben. Durch väterliches Investment
steigen auch die Fortpflanzungschancen des eigenen Nachwuchses, weil
selbst bei Männern in der westlichen Welt der sozioökonomische Status
mit dem Fortpflanzungserfolg zusammenhängt. Je höher der Status, desto
mehr Nachkommen. Wenn man das im Hinterkopf behält, dann gibt es ein
starkes biologisches Argument für väterliches Investment, vor allem in
Söhne. Damit gebe ich meine Gene nicht nur an die nächste, sondern bis
in die übernächste Generation weiter.
mokant.at: Gibt es hier zwischen Mutter-Kind und Vater-Kind auch hormonell ähnliche Vorgänge?
Oberzaucher: Es gibt das Oxytocin, ein Hormon, das von
Frauen vor allem während dem Stillen ausgeschüttet wird- eine
Initialbindung zwischen Mutter und Kind. Oxytocin und Endorphine, also
körpereigene Glückshormone, werden auch beim Austausch von Liebkosungen
ausgeschüttet und hier unterscheiden sich Männer und Frauen nicht mehr
so stark. Die Bindung Vater-Kind ist schon etwas loser, was ja auch auf
die Vaterschafts-Unsicherheit zurückzuführen ist. Er kann immer nur zu
einem gewissem Grad sicher sein, dass er der Vater ist.
mokant.at: Gibt es in Sachen Sexualität auch so
etwas wie ein evolutionäres Erbe, also etwas das uns im Wege steht, was
vielleicht früher von Vorteil gewesen wäre?
Oberzaucher: Jein. Wenn sie sich vorstellen, dass sich
viele Menschen heutzutage gar nicht mehr von Mensch zu Mensch, sondern
beispielsweise im Internet kennenlernen, kann das schon ein Nachteil
sein. Die Reihenfolge ist durcheinander gewürfelt ist, weil zuerst
verbal kommuniziert wird und es eigentlich sehr lange dauert, bis die
Leute aneinander schnuppern können. Die Hemmschwelle miteinander in
Interaktion zu treten mag zwar im Internet geringer sein, aber auf der
anderen Seite ist auch die Anzahl der Enttäuschungen größer, wenn man
sich dann trifft.
mokant.at: Weil eine „biologische Regulation“ fehlt?
Oberzaucher: Gar nicht unbedingt eine Regulation,
sondern weil die Kommunikation virtuell sehr beschnitten ist. Wir haben
noch viel mehr Möglichkeiten zu kommunizieren als rein verbal, weswegen
die Online-Gesprächsführung so wahnsinnig ineffizient ist. Wenn wir
unser ganzes Repertoire zur Verfügung haben, also von Geruch, über
Mimik, bis zu Gestik ist das viel einfacher. So können wir dann auch
sämtliche Signale gegenverrechnen und dadurch auch leichter Unwahrheiten
aufdecken.
Oberzaucher: Da spekulieren wir jetzt in die Zukunft, aber ich würde annehmen, dass direkte Kommunikation bald wieder mehr geschätzt wird. Das Facebook-Freunde oft keine richtigen Freunde sind, ist mittlerweile jedem bewusst. Problematisch ist eher die Zeit, die durch eine Online-Inszenierung für face-to-face Interaktionen fehlt. Ich bin aber keine Kulturpessismistin, sondern glaube, dass wir in kürzester Zeit eine Methode finden werden um beides zu machen: Uns digital selbst darstellen, aber auch unsere direkten Interaktionen pflegen. Ich denke man kann sich auf die Natur des Menschen und auf gewisse Bedürfnisse immer verlassen, denn die werden sich so schnell nicht ändern.