"Alles ist mühsam, alles ist hoffnungslos. Ich bin so müde", wiederholt eine monotone Stimme in Elisabeths Ohr. Die 64-Jährige sitzt in einer Kabine des niedersächsischen Landesmuseums, die nur spärlich beleuchtet ist, und starrt den langen, schmalen Gang entlang. Der zwölf Kilo schwere Bleimantel zieht ihre Schultern hinunter. So sollen sich also Depressionen anfühlen.
Die Ausstellung "Grenzen erleben", die noch bis zum Dienstag (11. November 2014) in Hannover zu sehen ist, will mit dieser Aktion ein Bewusstsein für Menschen mit psychischen Erkrankungen schaffen. Nachgestellte Alltagssituationen in zwei Räumen des Museums sollen verdeutlichen, wie an Depression und Schizophrenie erkrankte Personen das Leben wahrnehmen. Anlass dafür ist der fünfte Todestag des Fußball-Torwarts und Nationalspielers Robert Enke, der sich 2009 nach schweren Depressionen das Leben nahm.
"Alles ist sinnlos. Ich bin so traurig", wiederholt die triste Stimme aus den Kopfhörer. Die Blume auf dem Schreibtisch vor Elisabeth ist welk. Minuten der Trostlosigkeit vergehen, dann soll sie ihr glücklichstes Erlebnis der vergangenen Wochen notieren. "Das war gar nicht so leicht", kommentiert Elisabeth. Was es bei ihr genau war, will sie aber lieber für sich behalten.
Hohe Dunkelziffer bei DepressionTraurigkeit, Antriebslosigkeit und Interessenverlust, aber auch Schlaflosigkeit und Appetitstörungen können nach Angaben von Fachleuten Zeichen für eine Depression sein. In Deutschland leiden rund vier Millionen Menschen daran, das sind fünf Prozent der Bevölkerung. Die Dunkelziffer liege wegen des vielfältigen Krankheitsbildes und der entsprechend schwierigen Diagnose jedoch wahrscheinlich höher.
Die Besucherin Marina irrt derweil im Landesmuseum durch einen kleinen, nachgebauten Supermarkt. Sie soll bestimmte Produkte wie Streichhölzer besorgen, die auf ihrer Einkaufsliste stehen. Doch über ihre Kopfhörer hört sie wirre Satzfetzen, und die Waren in den Regalen sind unsortiert. Die Situation soll verdeutlichen, wie an einer Schizophrenie erkrankte Menschen den Alltag erleben. "Ich hätte mir die Ohrenstöpsel am liebsten aus dem Ohr gerissen", sagt die 56-jährige Marina hinterher. "Erschreckend, wie schnell man aus der Bahn geworfen wird."
Betroffenenzahl bei Schizophrenie niedrigAls Symptome für Schizophrenie gelten nach Angaben von Experten vor allem Realitätsverlust und Wahnvorstellungen. Im Gegensatz zur Volkskrankheit Depression ist in Deutschland nur ein viertel Prozent der Menschen von dieser psychischen Krankheit betroffen. Das sind 25 unter 10.000.
Auf der Suche nach den Streichhölzern steht Marina verloren im Supermarkt. Ein junger Mann im weißen Kittel und mit Sonnenbrille steht dicht neben ihr und starrt sie an. Marina bekommt hektische rote Flecken im Gesicht, will weitergehen, doch der vom Museum engagierte Schauspieler steht ihr im Weg. Dann beginnt er die Waren aus ihrem Einkaufswagen wieder ins Regal zu räumen oder auszutauschen.
Hilflos blickt sich Martina zu den anderen Teilnehmern um. "Dass ich die Streichhölzer nicht gefunden habe, hat mich wahnsinnig gemacht. Ich konnte ja nicht ahnen, dass es die gar nicht gab."
An ihn selbst erinnert die Erinnerungsausstellung "Robert gedenken - unser Freund und Torwart" in der Nachbarschft. Dort werden persönliche Gegenstände Enkes präsentiert. Sie sollten Enkes Zwiespalt zwischen einem erfolgreichem Sportler und einem verletzlichen Menschen verdeutlichen, sagt Museumssprecher Dennis von Wildenradt. Der Besucher kann Trikots und Pokale, aber auch Fotos oder die Kulturtasche des Sportlers sehen. In einer Vitrine sind auch einige Kondolenzbriefe an seine Frau Teresa Enke von vor fünf Jahren ausgestellt. Viele Exponate sind zusätzlich in einer virtuellen Ausstellung der Robert-Enke-Stiftung im Internet zu finden.