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Offenbach: Kunst und Küche

Foto: Monika Müller

Von Katharina Cichosch


Im vietnamesischen Restaurant „Tri Am" werden sogar die Rechnungen kalligrafiert. Und viele Gäste kommen nach dem ersten Besuch gerne wieder.

Im „Tri Am" ticken die Uhren ein wenig anders. Hinter der beigefarbenen Fassade mit ihrem wild bewachsenen Leuchtschild und dem großen, hölzernen Schriftzug beginnt die Welt von Dung Ngo Tan. Und die ist vor allem eine der schönen Künste: Kalligrafie und Lyrik gehören hier ebenso dazu wie die gute vietnamesische Küche.


Mehr als ein Dutzend Gedichte von Schriftstellern wie Kurt Tucholsky oder Mascha Kaléko entdeckt man auf Wänden und Tischen. Aufgeschrieben, besser: aufgemalt, hat sie Dung Ngo Tan in schönster Kunstschrift. Die Rechnungen? Werden kalligrafiert! Wenn der Hausherr mit dem langen Kinnbart besonders gut aufgelegt ist, gibt es seine Lieblingslyrik auch als kleinen Vortrag: „Besonders junge Leute sind dann manchmal ein wenig, nun ja, verlegen," erklärt er süffisant. „Dabei trage ich gerne Gedichte vor, wenn ich denke, hier stoße ich auf ein offenes Ohr."


Seit über 21 Jahren verbindet der Wahl- Offenbach er seine Leidenschaften auf unkonventionelle Weise. Viele Gäste kommen nach dem ersten Besuch gerne wieder. Einige nehmen auch einmal eine längere Anreise auf sich, um hier zwischen Bastmatten und Bambusdach bei vegetarischem Curry, einer Sommerrolle oder vietnamesischem Hühnchen die Zeit zu vergessen. Die Innenausstattung, ein zauberhaftes Konglomerat aus Winkeln und Ecken, kleinen Ebenen und eingezogenen Dächern, hat Dung Ngo Tan höchstpersönlich angefertigt. Damit kann er sich neben Kalligrafie und Lyrik einer weiteren Leidenschaft widmen: Ursprünglich wollte der junge Dung Architektur studieren, später wurde dann ein Studium an der Braunschweiger Hochschule für Bildende Künste daraus, Schwerpunkt Bildhauerei.


Der Neugier wegen

Nach Deutschland zog es ihn noch ein paar Jahre zuvor, 1968. Der Neugier wegen, aber auch, um dem Krieg in Vietnam zu entkommen. Seine erste Station lag ausgerechnet in Staufen, „diesem schnuckeligen, geschichtsträchtigen Ort". Hier soll Goethes Schwarzmagier Dr. Faustus leibhaftig gelebt und gewirkt haben. Eine tolle Geschichte, findet der gebürtige Vietnamese, und genau der richtige Ort, um sich in dieses für ihn so fremde Land mit seiner ungewöhnlichen Sprache zu verlieben. Gerade 19 Jahre ist er damals alt, regelmäßig geht er ins Goethe-Institut, und er verschlingt die Literatur, die es hier zu lesen gibt: Hermann Hesse, Heinrich Heine, all das sollte er bald auswendig kennen. Heute nennt er die Dichter und Dramatiker seine „Onkel und Tanten": liebgewonnene Familienmitglieder, die ihn über die Jahre begleitet haben.


Von Staufen im Breisgau geht es nach Göttingen über Braunschweig und schließlich nach Frankfurt. Die Kunst wirft nicht viel ab. Über Umwege schafft es Dung Ngo Tan in die Gastronomie, bewirtschaftet zusammen mit Bekannten ein Restaurant im Frankfurter Ostend, das „Der grüne Bambus" heißt. Mit dem „Tri Am" hat der inzwischen verheiratete und glückliche Vater quasi die Familienzusammenführung geschafft. Hier kann er Gastgeber sein, „die Brücke zwischen Küche und Gast schlagen", wie er das nennt, und all seine Leidenschaften, die deutsche Sprache und die vietnamesische Lebensweise, an einem Ort vereinen. Seine Frau kreiert gemeinsam mit einem langjährigen Mitarbeiter die Gerichte. Die Tochter hilft, neben dem Architekturstudium, regelmäßig aus, und die Onkel und Tanten blicken gütig auf das Geschehen. Manchmal beflügeln sie den Hausherren auch zu eigenen Bonmots: „Vom Ungeschlüpften bis zum Ausgereiften ist alles dabei", erklärt er, als das Hühnchen mit Cashewkernen und hauchdünnem Omelett-Deckel auf den Tisch kommt, „am besten als eine Einheit zu genießen."


Das Restaurant „Tri Am", Bieberer Straße 84, hat dienstags bis freitags von 12 bis 14.30 und 18 bis 23 Uhr, samstags von 18 bis 23 Uhr geöffnet. Montag ist Ruhetag. Kontakt: tri-am.com, Reservierung Tel. 069/880535

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