"Randständig, das bin ich", sagte Charlotte Perriand mal über sich selbst. Eine Biografie erzählt jetzt das Leben der französischen Designerin - Zeit, sie und ihre Kreationen neu zu entdecken.
"Wir besticken hier keine Kissen." So sollen die allerersten Worte des großen französischen Architekturmaestros Le Corbusier gelautet haben, als er Charlotte Perriand an seinem Schreibtisch gegenübersaß. Kurz darauf arbeitete die junge Französin trotzdem für ihn. Und wie! In welchem Umfang Perriand tatsächlich für so manchen Le-Corbusier-Entwurf mit- oder hauptverantwortlich war, auch darüber spekuliert die Autorin Laure Adler in "Charlotte Perriand. Ihr Leben als moderne und unabhängige Frau".
Obwohl das Werk der französischen Gestalterin (1903-1999) schon zu Lebzeiten immer wieder in großen Ausstellungen und wichtigen Möbelsalons zu sehen war und es zentnerschwere Architektur- und Designbände gibt, die sich allein ihrer Arbeit widmen, gilt sie vielen noch immer als die Frau, die irgendwie mal was für Le Corbusier gemacht hat. Die französische Autorin Laure Adler, die unter anderem Biografien von Marguerite Duras und Hannah Arendt geschrieben hat, will dies nun ändern.
Adler erzählt anekdotisch, im stetigen Fluss, mit nur wenigen thematischen statt chronologischen Kapiteln. Wer nicht ganz so bewandert ist mit Charlotte Perriand, könnte zwischendurch den Überblick verlieren: Ein Thema führt hier zum anderen: Perriands Erziehung zur unabhängigen Frau, vorgelebt von der eigenen Mutter, die Zeit bei Corbu, wie der berühmte Architekt bald nur noch genannt wird, Erinnerungen an die Geburt ihrer Tochter Pernette, Reisen nach Asien, Bergtouren, die heute als Extremsport gelten dürften, politische Ansichten und Auffassungen über das Leben im Allgemeinen. Die Begeisterung der Autorin für ihre Protagonistin ist ansteckend, das schwärmerische Timbre wenngleich vielleicht nicht jedermanns Geschmack.
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Mehr Informationen dazu hierImmer wieder eingestreut werden Perriands Überlegungen zur eigenen Verortung, die eine Ahnung vermitteln, warum sie bis heute so schwierig zu fassen ist: "Wenn man mich fragen würde, was ich bin, wüsste ich nicht, was ich antworten soll... eine Künstlerin vielleicht, aber davon verstehe ich nichts. Nein, ich bin keine Architektin, aber ich bin darin ausgebildet. Designerin - nein, weil ich immer von einer bestimmten Umgebung ausgehe, ich erschaffe keinen Gegenstand um seiner selbst willen, ich schaffe nur, was ich brauche. Randständig, das bin ich."
Viele Zitate hat die Autorin aus persönlichen Gesprächen mit ihrer Protagonistin oder deren Tochter, die Perriands Nachlassverwalterin ist, mitgenommen. Der Leserhythmus passt zur beschwingten Atemlosigkeit, die Adler bei ihrer Protagonistin diagnostiziert. So wird das Buch eher zu einer leichtfüßigen Erzählung, aus der man jederzeit aus- und wieder einsteigen kann, denn zur klassischen Biografie.
Zudem bietet es viele ganzseitige Bilder, die den Einstieg in Perriands Leben einfach machen: die Designerin, Künstlerin und Architektin mit ihrem kurzen Garçon-Haarschnitt, fast immer aus voller Kehle lachend, etwa zwischen Arbeitskollegen oder auf Deck des Schiffs, das sie in den Fünfzigerjahren nach Asien bringt.
Perriand reiste gern und ausgiebig, durchs damalige Indochina, Japan, ins kommunistische Moskau, aber immer wieder auch in die französischen Berge, wo sie das selbst gemachte Mobiliar armer Bauernfamilien fotografierte, weil sie es so wunderschön und perfekt fand. Bilder ihrer Entwürfe belegen, wie umfassend die Französin aus dem Leben um sich herum schöpfte, um dann für andere Menschen zu gestalten: von der berühmten Stahlrohrliege, längst ein Designklassiker, bis zum Kindergarten der Heilsarmee. Immer wieder hat sie fürs kleine Budget entworfen. Die Symbiose aus Mensch und Natur angestrebt. Die offene Küche eingeführt, um die Hausfrau aus ihrer Unsichtbarkeit als Heimchen am Herd zu befreien. Noch mit 90 Jahren, so berichtet es Adler, nahm sich die Französin die gründliche Umgestaltung ihres neuen Apartments vor.
Gleichzeitig war sie völlig desinteressiert am Rückblick und daran, sich selbst für bereits Getanes auf die Schulter zu klopfen. Diese Eigenart, die Perriand so fortwährend Ideen umsetzen ließ, verhinderte vermutlich gleichzeitig, dass sie für ebendiese Ideen ähnlich berühmt wurde wie andere Zeitgenossen: "Mit Abscheu" entdeckt Charlotte Perriand in jungen Jahren den "Snobismus des Erfolgs", und daran änderte sich bis in ihr Alter wenig. Lieber machte sie weiter.
Wichtiger als das eigene Ego war außerdem, dass die Entwürfe den Alltag der Menschen nicht allein verschönerten, sondern verbesserten. Wie viele ihrer Zeit glaubte Charlotte Perriand an die Utopie vom "neuen Menschen", auch durch die Gestaltung einer freundlichen Lebensumgebung. Die Arbeit im Kollektiv gefiel ihr. Deshalb bestand sie vielfach nicht darauf, als Urheberin genannt zu werden.
Persönliches Naturell, Überzeugung oder doch auch gesellschaftlich antrainiertes, weibliches Understatement? Vielleicht von allem ein wenig. Laure Adlers Buch liest sich wie ein Plädoyer für die atemlose, ansteckend fröhliche Perriand und ihre Kreationen. Es lohnt sich, beide (neu) zu entdecken.
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