Die Künstlerin Latifa Echakhch (*1974) ist bekannt für ihre ortsspezifischen Installationen. In der Mainzer Kunsthalle hat sie nun den Freiheitsbaum der Mainzer Republik zum Ausgangspunkt ihrer Arbeit genommen. Ein Gespräch über symbolträchtige Gewächse, biografische Zuschreibungen und die befreiende Wirkung des Ausstellungsraums.
Frau Echakhch, Sie nehmen gern Gefühlszustände und Materialien zum Ausgangspunkt Ihrer Installationen. Wie sind Sie zum „Freiheitsbaum“ gekommen, den Sie jetzt in Mainz zitieren?
Eigentlich ganz naiv: Es war Herbst, die Blätter fielen auf den Boden…so kam ich bald auf das Thema Baum. Ursprünglich dachte ich an eine Eiche, aber dann sollte es doch ein bisschen kontextueller und auch ortsspezifischer werden. Beim Googeln, ganz banal, bin ich dann auf die Mainzer Republik gestoßen, und wie die wiederum mit der Französischen Revolution verbunden war. Diese Geschichte war mir völlig neu.
Die Mainzer Republik, das erste bürgerlich-demokratische Staatswesen auf deutschem Boden, hatte von März bis Juli 1793 Bestand, der Freiheitsbaum war ihr Symbol. Wie genau haben Sie sich am historischen Vorbild orientiert?
Recht genau, es gibt viele historische Zeichnungen. Die Schwarzpappel war sehr beliebt, weil sie ein sehr effektiver Baum ist – leicht zu pflanzen, sie wird schnell groß, aber nur vertikal. Und dann die Ornamente, die Bänder, die um die jungen Gewächse herumgewickelt werden. Manchmal sah der Baum nur noch wie ein überdekorierter Zweig aus. Ich mag diese Idee des jungen, dünnen Bäumchens, das die Hoffnung einer sehr großen Zukunft in sich trägt, die dann plötzlich wieder ins Nichts verschwindet (lacht).
Als ich die Ausstellung besucht habe, war gerade eine Besuchergruppe vor Ort: Viel Begeisterung, aber niemand sprach vom Niedergang der Mainzer Republik, sondern vom Maibaum, der ja ganz ähnlich ausschaut. Wie wichtig ist Ihnen dieser spezifische Kontext?
Wir dürfen nicht vergessen, dass wir es mit einer beliebten Form zu tun haben: Die farbenfrohen Bänder, die auch im Modedesign aufgegriffen werden oder im Karneval, die Geschichte vom Maibaum...und dann der Baum selbst, der unter Aspekten wie globale Erwärmung, Natur vs. Kultur betrachtet werden kann. Ein paar Anhaltspunkte gebe ich mit, aber kontrollieren kann und möchte ich nicht, was Ausstellungsbesucher davon mitnehmen. Jeder hat einen anderen Zugang. In den 80er Jahren hätte man vielleicht ans Waldsterben gedacht…Das macht die Form eines Objekts aus: sein historischer Kontext ändert sich immer wieder. Ich habe die Bäume dekoriert, nun lasse ich sie vor sich hin trocknen, gebe ihnen einen Titel. Für mich ist das genug Kontext.
Apropos Objekt: Oft scheint Ihre Kunst darauf zu verweisen, wie sehr das, was wir gern „Kultur“ nennen, vor allem mit unserem Verhältnis zu den Dingen und Gegenständen zu tun hat…
Genau, diese Erfahrung hat mich tief geprägt: Diese Merkwürdigkeit zu fühlen, die bestimmte unbekannte Gesten, Ereignisse oder Objekte in einem auslösen. Es hängt stark zusammen mit dem Moment, in dem ich mit drei, vier Jahren in Frankreich ankam. Meine Familie kam aus einem Dorf in Marokko, ich war ein richtiges Dorfmädchen. All die Dinge in den Geschäften, in der Schule, in der Stadt, das war so fremd für mich…
In Texten über Ihre Kunst wird sehr oft auf Ihre Einwanderungsgeschichte verwiesen. Und natürlich lassen sich immer biografische Brücken schlagen – aber die Frage ist, ob das, was für die Kunstproduktion eine Rolle spielen mag, auch im Sprechen darüber immer wieder eine spielen muss. Wie stehen Sie dazu?
Ich bewahre mir dieses beschriebene Gefühl der Distanz. Und es stimmt, dass ich das für meine Kunst nutze. Wenn jemand meine Arbeiten unter diesem Aspekt wahrnimmt, ist das in Ordnung. Aber wenn ich selbst in diese mystische Box der Migrantin gepackt werden soll, dann ist das nicht mehr ganz so einfach. Ich bin weder wirklich marokkanisch noch französisch. Meine Arabischkenntnisse sind nicht besonders ausgeprägt. Manchmal werde ich als “Mischung aus zwei Kulturen” beschrieben, aber auch das stimmt nicht. Ich habe wirklich nichts eigentlich (lacht).
Klingt nach einem guten Ausgangspunkt, ist aber vermutlich für viele Menschen schwer zu begreifen, oder?
Ich erinnere mich gut an meine erste Einzelausstellung, auf der ich gefragt wurde, warum ich denn soo gut Französisch spreche. Und welches Thema möchten fremde Menschen immer noch am liebsten mit mir besprechen? Urlaub in Marokko! „Oh, ich liebe dein Land!“ Dabei kennen es die meisten besser als ich. Ich möchte gern einmal länger hin, denn die spezifisch marokkanischen Dinge, die Wasserbecher der Straßenverkäufer, das alles zieht mich sehr an. Die Frage von Identität interessiert mich allerdings nicht mehr. Als ich jünger war, habe ich eher damit gehadert. Heute mag ich es, dass meine Heimat nur mein Haus ist, nicht ein Land. Heimatliche Gefühle verbinde ich vielleicht noch mit Landschaften…
In der Ausstellung schaffen Sie begehbare Kunst-Landschaften, die an unterschiedlichen Orten in verschiedenen Versionen existieren. Wie die Tintenbilder mit Laubboden – in Mainz haben Sie Blätter der Schwarzpappel zum Vorbild genommen, in London der Magnolie…
Die Magnolie ist für mich der perfekte London-Baum, überall in den Parks sieht man sie– nebenbei symbolisiert sie eine Mischung aus Orient und Okzident, fast schon ein post-koloniales Symbol (lacht). Ihre Blüte ist sehr schön und hält nur für ganz kurze Zeit an.
Sie beschäftigen sich gern mit botanischen Zusammenhängen. Bisher gibt es allerdings noch keine Kunst unter freiem Himmel von Ihnen. Ergab sich noch keine Gelegenheit, oder schätzen Sie einfach den „White Cube“?
Ich liebe den Ausstellungsraum wirklich! Ich bin da sehr akademisch: Er gibt einen ganz konkreten Rahmen vor, wie das Format eines Buchs, das Medium der Musik. Innerhalb dieses Formats habe ich die totale Freiheit.
Es gibt ja auch ohne diese Beschränkungen genügend Fragen, mit denen man sich herumschlagen kann...
Viele Menschen teilen
die Vorstellung, dass alles, was im White Cube zu sehen ist, Kunst ist. Das
gefällt mir! Wenn ich draußen ausstelle, dann hängt da eine ganze Reihe an
Fragen dran: Ist das hier Kunst, Design, Landschaftsgestaltung? Architektur?
Welcher Part zählt zum Werk? Es ist viel mehr Kontext nötig, um all diese
Fragen zu klären. Im White Cube kann man gleich auf den Punkt kommen.