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Das Ufo von Utrecht: Gerrit Rietveld und De Stijl - SPIEGEL ONLINE Stil

Die Prins Hendriklaan wäre eine wie etliche andere Straßen in Utrecht. Stünde da nicht dieses Eckhaus, das kolossal heraussticht aus dem Einheitsbackstein der holländischen Reihenhäuschen: rechteckige, ineinander verschachtelte Platten und bunte Streben vor den großen Fenstern. Eine Art dreidimensionaler Mondrian, hineingeworfen ins Herz der niederländischen Großstadt.


Die Assoziation kommt nicht von ungefähr: Was Piet Mondrians Werk für die Bildende Kunst ist, sind Gerrit Rietvelds Entwürfe für Design und Architektur. Sein Rietveld-Schröder-Haus in Utrecht ist ein Aushängeschild der Künstlergruppe De Stijl, deren Gründung vor hundert Jahren gerade in den Niederlanden gefeiert wird.


1917 formulierte der niederländische Schriftsteller, Künstler und Architekt Theo van Doesburg mit der ersten Ausgabe seiner Zeitschrift "De Stijl" das, was später ein loser Verbund von Gleichgesinnten aufgreifen sollte: Eine Kunst, die keine Erzählungen und Interpretationen nötig hatte, weil sie allen begreifbar ist. Eine Art Gesamtkunstwerk inklusive Design und Architektur, das schließlich so vollendet wahr und richtig sei, dass es das Leben der Menschen nachhaltig zum Guten verändern sollte.


Van Doesburgs Kunstideal entstand in einer Zeit der großen Enttäuschungen und Erschütterungen - der Erste Weltkrieg war noch nicht vorbei -, aber auch in einer Zeit der großen Ideen. Die Vorstellung, dass Kunst und Design die Welt retten könnten, schien der Avantgarde durchaus plausibel. Sie glaubte ganz an die Kraft der Geometrie. Ästhetik und Design waren für sie kein Selbstzweck, alles machte praktisch Sinn. Es war die gleiche Philosophie, die auch das Bauhaus in Deutschland leitete.


Im Rietveld-Schröder-Haus beschränkt sich das Experimentelle nicht nur auf die äußere Formensprache. Die Merkwürdigkeiten gehen innen weiter: So gibt es einen roten Knopf, der nach Betätigung eine geheime Treppe offenbart, die sonst platzsparend hinter einer Wand verstaut bleibt. Eine analoge Variante der mitdenkenden Wohnumgebung, in der alles ganz mechanisch funktioniert: Wände lassen sich verschieben, so dass der Wohnraum jederzeit dynamisch angepasst werden kann.


Das 1924 erbaute Haus zeigt sich als eine Art Anti-Kubus, der die geschlossenen Linien früherer Bauwerke durchbricht. Die Grenze zwischen Innenraum und Außenhaut wird durch große Fensterflächen und Bauelemente aufgelöst, die das Hausinnere nicht wie üblich in abgeschlossenen Zwiebelschichten umhüllen, sondern durchgehend von außen nach innen führen. Typisch für De Stijl sind auch die Primärfarben: Blau, Gelb und Rot, Schwarz und Weiß geben den sich potentiell veränderbaren Räumen Struktur.


Rietveld zelebriert Ecken und Kanten


Seinen radikalen Haus-Entwurf vollendete Rietveld mit der Bewohnerin. Truus Schröder-Schräder, Socialité und Freundin der Avantgarde-Künstler, war mit ihren sehr spezifischen Vorstellungen maßgeblich an der Entwicklung beteiligt. Natürlich ging es ihr nicht darum, einen architektonischen Spielplatz für Erwachsene, ein kinetisches Abenteuer-Designerhaus zu bewohnen: Alle Gimmicks erfüllen einen Zweck und Sinn - so wie es jede einzelne Linie, jedes Rechteck sollten. Wie Rietveld selbst erklärte: "Es war immer mein Hauptziel, einem noch ungeformten Raum eine eigene Bedeutung zu geben."


Das Haus ist voll mit Rietveld-Design, berühmten Möbelstücken wie dem Rot-Blauen Lehnstuhl oder dem Stapelschrank. So schlicht die Ausgangsmaterialien und -formen sind, so spektakulär zeigt sich deren Zusammenspiel: Nichts fügt sich still und bescheiden in den Raum ein, stattdessen zelebriert Rietveld Ecken und Kanten. Es gibt kein reines Dekor. Jede Strebe am Stuhl bleibt sichtbar. Nichts wird versteckt, alles selbstbewusst nach außen getragen und durch farbige Flächen noch betont.


Im Vergleich zu den Stuhlklassikern der Midcentury-Designikonen erscheint beispielsweise der Rietveld-Stuhl immer noch sperrig, er ließe sich nicht so leicht in eine gängigere Massensprache übersetzen. Nicht wenige De-Stijl-Entwürfe sträuben sich mit Widerborstigkeit gegen die Transformation zum reinen Designobjekt. Es fällt einigermaßen schwer, sich eine massentauglich abgewandelte Kopie des Lehnstuhls oder des Stapelschranks im Möbelhauskatalog vorzustellen, wo heute hemmungslos von Designklassikern abgekupfert wird. So bleibt für Freunde von Rietvelds Design bis heute nur der Griff zur Re-Edition - für 2515 Euro das Stück.


Rietveld hat sich zwar nie vollständig mit De Stijl assoziiert. Sein Bau in Utrecht ist dennoch deren bekanntestes architektonisches Aushängeschild - und längst Unesco-Weltkulturerbe. Das eine, dezidierte De-Stijl-Haus gibt es ohnehin nicht. Welche Ideenschule ist schon jemals vollständig in der Realität aufgegangen? "Kunst ist nicht ein Sein, sondern ein Werden" lautet denn auch eines der bekanntesten Zitate van Doesburgs.


Für Interessierte:


Dutch Design Week, Eindhoven, 21. bis 29. Oktober 2017 Mondriaan & De Stijl, Dauerausstellung, Gemeentemuseum Den Haag Rietveld Schröder Huis, Utrecht, Besichtigung nach Voranmeldung möglich.

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