1 Abo und 1 Abonnent
Artikel

Work-Life-Blending: Arbeits- und Privatleben verschmelzen

Die Verschmelzung von Arbeit und Freizeit.

Volker steht um sechs Uhr morgens auf. Er schmiert sich seine Butterbrote, packt seine Arbeitstasche und macht sich auf den Weg. Um acht Uhr beginnt seine Schicht, um fünf Uhr endet sie wieder. Dazwischen hat er Mittagspause. Fünf Tage die Woche geht das so. Nach Feierabend isst er mit seiner Familie zu Abend, am Wochenende besucht er die Fußballspiele seines Sohnes. So war es noch die Generation unserer Großeltern gewohnt. Arbeit war Arbeit und Freizeit war Freizeit - beides strikt voneinander getrennt. Diese Arbeitsweise ist heute kaum noch anzutreffen, die Nine-to-Five-Mentalität überholt. Keine Seltenheit ist mehr, dass Arbeitnehmer auch am Wochenende ihre E-Mails checken und für Kunden zur Verfügung stehen oder ihre Arbeit mit nach Hause nehmen. Moderne Technik und flexible Arbeitszeitmodelle machen es möglich von überall zu arbeiten. Doch damit verschmelzen die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben. Work-Life-Blending nennt sich das Ganze. Was das eigentlich bedeutet...


Work-Life-Blending: Die Grenzen sind verschwunden

In einem Artikel auf Forbes.com beschreibt Rosh Ashkenas wie er und seine Kollegen sich auch während des Urlaubs zu einem Conference-Call verabredet haben. Jeder von ihnen war mit seiner Familie verreist und hat den Termin trotzdem wahrgenommen. Sie sind nicht einmal auf die Idee gekommen, den Call zu verschieben. Vom Chef oder von Kollegen im Urlaub oder am Wochenende gestört zu werden? Noch vor ein paar Jahrzehnten unvorstellbar. Heute fast schon Normalität.

Mit folgender Aussage bringt Ashkenas diese Veränderung auf den Punkt:

"The reality for many of us these days is that our professional lives bleed into our personal lives." Eine Arbeitsmarktstudie vom Kölner Markt- und Organisationsforschungsinstituts YouGov zeichnet ein ähnliches Bild. Das Institut befragte 744 berufstätige Akademiker nach ihren Arbeitsgewohnheiten.Heraus kam: Rund 22 Prozent der Befragten gaben an, circa einmal im Monat an Wochenenden oder Feiertagen für ihren Arbeitgeber tätig zu sein. Weitere 20 Prozent arbeiten sogar mindestens einen Tag an jedem Wochenende. Die Hälfte der Arbeitnehmer beantworte auch Telefonate und E-Mails während der Freizeit. Fast jeder Achte tue dies sogar täglich.


Das erstaunliche an den Ergebnissen ist, dass die meisten Arbeitnehmer dies jedoch nicht auf Anweisung des Chefs tun, sondern freiwillig. War der Begriff "Work-Life-Balance" bereits vor der Studie umstritten, zeigt die Studie, dass dieser nicht mehr der Arbeitsrealität entspricht. Stattdessen wird nun von "Work-Life-Blending" gesprochen. Statt nach einem ausgeglichenen Verhältnis von Arbeit auf der einen und Freizeit auf der anderen Seite zu suchen, geht es nun um eine Verschmelzung. Das neue Ziel: Ein fließender Übergang von Arbeits- und Privatleben.


Fluch oder Segen für Arbeitnehmer?

Bleibt die Frage: Wie ist diese Entwicklung zu bewerten? Gewünscht ist ein Arbeitsmodell, bei dem sich die Arbeit an den Bedürfnissen des Einzelnen ausrichtet. Kurz: Die vieldiskutierte Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Der Generation Y wird gerne nachgesagt, dass sie sich genau das wünsche und großen Wert darauf lege. Home Office- Regelungen, Vertrauensarbeitszeiten, die Möglichkeit Urlaub zu nehmen, so viel und so oft man möchte - das alles soll die Motivation und Produktivität der Arbeitnehmer steigern.

Der Gestaltungsraum wird zwar größer, doch auch der Druck und die Erwartungen steigen. Einerseits gibt es keine Stempeluhr mehr, andererseits weiß jeder Arbeitnehmer, was er zu leisten hat. Der Autor und Comedian Ditmar Wischmeyer erklärt das Konzept des "Work-Life-Blending" in seiner Sendung " Wischmeyers Schwarzbuch" humorvoll und lässt dabei anklingen, dass wir alle durch die Verschmelzung zu Meistern der Selbstausbeutung werden.


Doch was passiert, wenn nicht mehr zwischen Arbeit und Freizeit unterschieden werden kann?


Die dauerhafte Erreichbarkeit kann zur Belastung werden. Laut einer Umfrage für die Krankenkasse IKK fühlt sich jeder dritte Arbeitnehmer im Job überlastet. Sich erholen und abschalten können nur noch die wenigsten. Früher oder später leidet die Gesundheit. Auch die Ergebnisse der YouGov-Studie zeigen, dass zwar der Beruf Einzug ins Privatleben hält, jedoch private Angelegenheiten nur selten während der Arbeitszeit erledigt werden. Für Rosh Ashkenas wird eine Verschmelzung von Arbeits- und Privatleben erst möglich, wenn wir selbst unser Denken ändern. Wer akzeptiert, dass eine Trennung nicht umsetzbar ist, könnte auch aufhören, sich schuldig zu fühlen, wenn er sich während der Arbeit zweit für Privates nimmt. Die neue Arbeitsweise fordere mehr Flexibilität von jedem Einzelnen.


Deswegen zum Abschluss drei Tipps, wie es Ihnen leichter fällt, flexibel zu sein:


  • Stellen Sie sich Ihren Ängsten. Vor allem den irrationalen und üben Sie eine positive Haltung dazu: Was kann schon schlimmstenfalls passieren? Wie haben andere solche Situationen gemeistert? Oder noch besser: Wie haben Sie selbst schon in der Vergangenheit Veränderungen und Umbrüche überwunden? Erinnern Sie sich an Ihre Erfolge und stärken Sie so Ihr Selbstbewusstsein. Und seien Sie nicht allzu kritisch mit sich selbst. Auch Perfektionismus blockiert Sie an der Stelle nur.
  • Erinnern Sie sich an kleinere Wendepunkte von früher. Waren die alle durchweg schlecht?Oder gab es auch Gutes daran? Hat es Sie im Leben weitergebracht? Sind Sie daran gewachsen? Je mehr Sie erkennen, dass Veränderungen keine Bedrohungen sein müssen, desto flexibler werden Sie.
  • Geben Sie Ihren Gefühlen nicht so viel Gewicht. Ein ungutes Bauchgefühl, so eine Ahnung, dass es ganz furchtbar werden könnte - all das bewahrheitet sich selten und dient eher einer Vorwärtsverteidigung: Wenn es dann wirklich einmal knüppeldick kommt, wird man nicht überrascht oder kann sich sogar rühmen: "Ich hab's doch gesagt!" Die Kehrseite: Kommt es doch nicht so schlimm, gilt man als Schwarzseher und notorischer Pessimist und hat vor allem viel Nerven, Energie und Lebensfreude eingebüßt. Bevor Sie solche Verschwörungstheorien äußern, fragen Sie sich selbstkritisch, ob das nur Gefühle sind oder ob es dafür auch rationale Belege gibt. 
Zum Original