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Natur und Kultur im Reichswald

Eine Wanderung mit Dietrich Cerff, Biologe und Leiter der Nabu Naturschutzstation in Nütterden.

Kleve. Eine Wanderung durch das Naturschutzgebiet Geldenberg. Überreste aus längst vergangener Zeit und eine breite Tiervielfalt erwarten Wanderer

Der Klever Reichswald ist kein Wald wie jeder andere. Mit einer Fläche von rund 5000 Hektar, was in etwa 7000 Fußballfeldern entspricht, ist er eines der größten zusammenhängenden Waldgebiete Nordrhein-Westfalens. Darin versteckt und auch unter den Einheimischen nur den wenigsten bekannt liegt das Naturschutzgebiet Geldenberg. Für Wanderer und Naturfreunde ein Kleinod - ganz besonders die Naturwaldzelle, wo die Natur ganz sich selbst überlassen bleibt. Auf einer Route von rund sechs Kilometern können Besucher die Besonderheiten des Gebiets erkunden. Dietrich Cerff, Biologe und Leiter der Nabu Naturschutzstation in Nütterden, gibt Tipps und erzählt von den sehenswertesten Stellen. Der Startpunkt der Tour ist ein kleiner Wanderparkplatz direkt an der B504 (Kranenburger Straße), die durch den Reichswald führt. Direkt am Eingang in den Wald weist Cerff auf die Infotafel hin. Hierauf kann man das regelmäßige Wegenetz des Waldes, ähnlich einem Schachbrettmuster, sehen. Ein erster Hinweis dafür, wie sehr der Reichswald von Menschen geprägt wurde.


Von Menschenhand geprägt

Das Gebiet ist in 178 rechteckige Abteilungen, sogenannte „Jagen" eingeteilt. Als Markierung findet man die jeweilige Nummer am Wegesrand. Die von Ost nach West verlaufenden Wege, auch Gestelle genannt, sind mit Großbuchstaben von A bis K versehen. Beide Kennzeichnungen dienen der Orientierung im Wald. Das erste Wegstück wird auf Gestell D zurückgelegt. Bereits nach wenigen Minuten stößt man auf die erste Sehenswürdigkeit. Dietrich Cerff weist auf einen zickzackförmigen Graben auf der rechten Seite. „Das ist ein ehemaliger Schützengraben aus dem zweiten Weltkrieg. Die Form bot Schutz vor Granatsplittern", sagt der Naturschützer.


Der Reichswald hat eine bewegte Geschichte. Im Mittelalter, damals noch unter dem Namen Ketelwald, lieferten sich die Monarchen erbitterte Kämpfe um das Gebiet. Adelige jagten im Wald zum Vergnügen. Landwirte ließen ihre Schweine und Pferde dort weiden. Holzkohle für die Industrie wurde in Kohlemeilern gefertigt. Am Geldenberg sind noch alte Meilerplätze erkennbar. 1945 war der Reichswald Schauplatz einer 14-tägigen Schlacht. Große Teile des Waldes wurden dabei zerstört, erzählt Dietrich Cerff.


Nach dem Krieg habe man den Wald mit Kiefern wieder aufgeforstet. Nach wie vor sei die Kiefer die häufigste Baumart des Reichswaldes. „Aus Naturschutzsicht bevorzugen wir Laub- oder Mischwälder. Laubbäume sind weniger anfällig für Krankheiten, besser für das Grundwasser und anpassungsfähiger an das Wetter", erklärt der Biologe. Seit gut 40 Jahren werden Laubbäume gepflanzt - Waldumbau laute das Stichwort. Wunderbar beobachten lässt sich diese Entwicklung an der Kyrillfläche (Kyrill war ein Sturmtief 2007). „Die Kiefern hatten den Windgeschwindigkeiten wenig entgegen zu setzen", erinnert sich Cerff. Nun werden dort Buchen gepflanzt, um den Wald widerstandsfähiger zu machen. Auf eine weitere Gefahr von reinen Nadelwäldern macht der alte Feuerwachturm (Station 2 der Route) aufmerksam. Bei jungen Kiefern komme es schnell zu Waldbränden, so Cerff. Lange Zeit sei der Wachturm an heißen Sommertagen deswegen besetzt gewesen.


Natur pur

Doch der eigentliche Höhepunkt der Wanderung ist die Naturwaldzelle. Seit 1971 ruht dort jegliche Holznutzung. Der Wald darf wachsen wie er will. „Hier können die Bäume auch mal 200 Jahre und älter werden", freut sich der Naturschützer. Abgestorbene Bäume bleiben liegen und schaffen so Lebensraum für allerlei Tiere. „Es ist, als würde die Kühlschranktür aufgehen. Insekten und Pilze können sich am Totholz ansiedeln", sagt Cerff. Diese bieten dann Nahrung beispielsweise für Spechte, deren rhythmisches Klopfen in der Naturwaldzelle zu hören ist. Viele verschiedene Spechtarten wie der Bunt- oder Schwarzspecht sind hier zu Hause. Für den aufmerksamen Wanderer gibt es einiges zu entdecken: Habichte und Bussarde im Flug, Spuren von Wildschweinen, Rothirschen, Dachse, Fledermäuse und über 500 Totholzkäferarten. „Immer, wenn ich hier wandere, geht mir das Herz auf", schwärmt der Naturschützer.

Karolina Warkentin

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