Atmo: Segeltuch flattert im Wind, Möwen kreischen
Wer ein Segelschiff ausrüstet, braucht Proviant, genügend Trinkwasser und eine gute Sonnencreme. Auch beim Segeln mit einem Satelliten im All ist die richtige Vorbereitung alles.
O-Ton 1: Bruce Betts [00:02:07]
As much of the spacecraft as we could we tested on the ground. And we did some ground deployment tests. But until you do it in space you are just not sure. And of course your mission completely fails if your sail does not deploy when that is a solar sail mission.
Sie hätten alles am Boden getestet, was ging, erzählt der Chefingenieur der Planetary Society, Bruce Betts. Sie hätten versucht, ihr Weltraumsegel einmal zu entfalten, in einer großen Halle. Aber was es dann in Schwerelosigkeit tun würde, das wisse man nicht. Und eine Segelmission ohne entfaltetes Segel, das wäre ein völliger Fehlschlag.
Atmo: Start Falcon Heavy
Bruce Betts ist verantwortlich für Lightsail-2. Die Mission stammt nicht von der NASA, sondern wurde mit Spendengeldern finanziert. LightSail-2 ist ein CubeSat, also ein recht kleiner Satellit, etwa groß wie drei Packungen Milch. Im Juni 2019 war er mit einer Falcon Heavy-Rakete gestartet worden, gemeinsam mit anderen experimentellen Satelliten. Nach dem Start musste LightSail-2 vier Meter lange Ausleger ausfahren. Der Satellit sollte dann auf dieses Skelett eine Folie aus einem Kunststoff aufspannen, metallisch glänzend wie Alufolie, aber vielfach dünner, und 32 Quadratmeter groß.
O-Ton 2: Roman Kezerashvili [00:04:15]
The idea have been formulated almost 100 years ago. And only in 2010 the first solar sail have been launched. In other words you see until the idea becomes the reality it takes time.
Die Idee für Sonnensegel ist beinahe 100 Jahre alt, erzählt Roman Kezerashvili von der City University in New York. Und sie klang schon immer verlockend: zu Planeten oder Asteroiden zu gelangen ohne zusätzlichen Treibstoff. Einmal im All entfaltet, drücken allein die Lichtteilchen der Sonne, die Photonen, auf die dünne Folie. Deren Impuls ist gering, wirkt aber beständig auf das Segel – im Fall von Lightsail-2 ist der Impuls gerade so groß wie die Gewichtskraft einer Büroklammer. Und das reicht.
Aber es auch noch gibt viele Fragen zu klären.
O-Ton 3: Roman Kezerashvili [00:04:43]
This is the study of material degradation. This is the study of the development of the system. Because you see the foil should be very thin. The thinner it is the better the performance.
Wie verhält sich das Material und das ganze System im All? Je dünner die Folie, umso besser ihre Leistung – aber sie kann auch leichter Schaden nehmen. Solche Fragen treiben die gerade einmal 60 Ingenieure und Forscher um, die sich weltweit mit dem Thema auskennen. Sie alle glauben daran, die Raumfahrt fundamental verändern zu können. Auch Jeanette Heiligers von der Technischen Universität im niederländischen Delft; ihr Spezialgebiet ist die Bahnmechanik segelgetriebener Raumfahrzeuge.
O-Ton 4: Jeanette Heiligers 01:33
In the case of a solar sail you can constantly offset a little bit of gravity from the Earth or the sun so you can create entirely new orbits above or behind or below the sun or [you can get into] Earth orbits that you cannot fly without using this kind of propulsion.
Übersetzerin:
„Wir können mit einem Sonnensegel beständig der Schwerkraft der Erde oder der Sonne entgegenwirken und dadurch völlig neue Umlaufbahnen erreichen. Zum Beispiel oberhalb der Sonne oder oberhalb der Erde, also an den Polen. Das ist ohne einen Segelantrieb gar nicht möglich.“
Satelliten, die immer am gleichen Punkt am Himmel stehen, sogenannte geostationäre Satelliten, sind derzeit nur direkt über dem Äquator möglich. Die Regionen um die Pole kann man mit Satelliten dagegen nur wiederholt überfliegen. Deshalb ist es dort fast unmöglich, eine ständige Internetverbindung aufzubauen. Auch Klimaforscher wünschen sich über den Polen schwebende Satelliten. Sie könnten damit Daten zum Klimawandel dieser Regionen erfassen.
Und Roman Kezerashvili geht gedanklich noch einen Schritt weiter.
O-Ton 5: Roman Kezerashvili 08:04
If you open the solar sail very close to the sun it is our calculation we have shown that we can reach three hundred kilometers per second. This is one thousandth of this speed of light.
Übersetzer:
Wenn Sie ein Segel sehr nah an der Sonne öffnen, könnten wir unseren Berechnungen zufolge eine Geschwindigkeit von 300 Kilometern pro Sekunde erreichen. Das ist immerhin ein Tausendstel der Lichtgeschwindigkeit.
Sehr schwere Sonden ins äußere Sonnensystem werden dadurch denkbar, vielleicht sogar Flüge zu den nächsten Sternen innerhalb weniger Jahrzehnte. Doch bis das klappt, dürfte noch einige Zeit vergehen. Das zeigt ein Blick auf die erste geplante segelnde Mission der NASA. Der Near-Earth Asteroid Scout soll nächstes Jahr zu einem erdnahen Asteroiden aufbrechen. Er arbeitet mit einer Segelfolie, die mit 86 Quadratmetern relativ klein ist. Auf diese Weise müsste, das ist die Hoffnung, das Entfalten der Segel im All zuverlässig klappen. Das heißt aber auch: Die Sonde selbst muss winzig sein, sagt die leitende Ingenieurin Tiffany Lockett.
O-Ton 6: Tiffany Lockett [00:00:33]
We are trying to do a big interplanetary mission in a size of a shoe box. So you have to have a radio communication systems your science instrumentation and your propulsion and you have to fit it into a small volume and only weigh about 14 kilograms.
Übersetzerin:
„Wir versuchen, eine große interplanetare Mission auf die Größe eines Schuhkartons zu verkleinern. Darin braucht man ein Kommunikationssystem, wissenschaftliche Instrumente, den Antrieb – und das alles in einer Box, die nur 14 Kilogramm wiegt.“
Die führende Nation für Segelflüge im All ist Japan. Das Land ließ schon vor zehn Jahren eine segelnde Raumsonde monatelang um die Sonne kreisen. Der Leiter der Mission damals, Osamu Mori, will Sonnensegel in Zukunft zusätzlich mit Solarzellen bestücken. Er will, dass eine solche Sonde dank ihrer Segel also nicht nur vom Sonnenlicht angeschoben wird, sondern gleichzeitig elektrischen Strom erzeugen kann. Am weit entfernten Jupiter drückt das Sonnenlicht nur noch schwach auf das Segel – und elektrischer Strom kann hier ein zusätzliches Antriebssystem in Form eines Ionentriebwerks befeuern.
O-Ton 7: Osamu Mori [00:02:21]
With this concept we propose our landing or sample return mission to directly explore a Jupiter trojan asteroid using solar power spacecraft OKEANOS.
Übersetzer:
Wir haben vorgeschlagen, mit so einem Antrieb einen Asteroiden am Jupiter anzufliegen, dort Proben zu nehmen und die zur Erde zurückzubringen.
Eine solche Sample Return-Mission zu einem exotischen Asteroiden wäre mit einem chemischen Antrieb technisch unmöglich. Dank der Sonnensegel wird sie denkbar. Nur einfach würde sie nicht werden: Das Segel der japanischen OKEANOS-Mission müsste 1600 Quadratmeter groß sein, mit entsprechend großen Risiken, dieses im All sauber zu entfalten. Auch wegen unklarer Kosten entschied sich Japans Raumfahrtagentur kürzlich, das Vorhaben vorerst nicht zu fördern.
Atmo: Möwen, Wellen
Der Traum, mit Segeln die bislang unerreichbaren Weiten des Planetensystems zu ergründen, ist also immer noch fern. Immerhin werden hier bei uns mit der Mission von LightSail-2 nun aber die ersten zaghaften Schritte gegangen: Seit acht Monaten kreist der kleine Satellit nun um die Erde. Die Forscher sind zufrieden: Sie haben bewiesen, dass der Druck des Sonnenlichts ausreicht, um die Umlaufbahn eines Satelliten zu verändern. Und LightSail-2 trug eine Kamera mit sich, um das Entfalten der Segel zu überwachen und mögliche Probleme zu erkennen.
O-Ton 8: Bruce Betts 03:01
They see the Earth, the blackness of space on the other side. But then there is the sail too. And each camera picture captures two of the triangular silver sails that are hanging in front of the earth.
Übersetzer: (getragen gesprochen)
Unsere Kameras sehen die Erde und die Dunkelheit des Alls auf der einen Seite. Und jedes Bild zeigt zwei der dreieckigen, silbernen Segel, die da vor der Erde hängen.
Im August 2020 soll das Segel von LightSail-2 seine letzte Aufgabe erfüllen: Es soll zeigen, dass sich ein altersschwacher Satellit schnell und kontrolliert entsorgen lässt, wenn sein Segel ihn in der dünnen oberen Erdatmosphäre so abbremst, dass er verglüht.
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