Karl Urban

Freier Wissenschaftsjournalist, Tübingen

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Cassinis letztes Abenteuer am Saturn | NZZ

Eine Ära der Raumfahrt geht zu Ende: Nach dreizehn Jahren im Orbit um den Saturn und seine Monde soll die Raumsonde Cassini in der Atmosphäre des Planeten verglühen.

Cassini ist abgestürzt

Zwanzig Jahre war Cassini unterwegs, jetzt ist die Mission beendet: Die Saturnsonde ist am Freitag laut Nasa planmässig in der Atmosphäre des Planeten verglüht.

13 Jahre lang hat die 2,5 Tonnen schwere Sonde den Planeten, seine Ringe und seine zahlreichen Monde erforscht. Sie hat aufgeräumt mit den damals noch vorherrschenden Vorstellungen von starr gefrorenen Welten auf und um den sechsten Planeten. Denn Cassini entdeckte auf dem Saturn rätselhafte Stürme, unter der Oberfläche eines seiner Monde einen Ozean und in seinen Ringen wandernde Strukturen.

Nun ging die Sonde auf ihre letzte Reise. Diese führte Cassini in die Atmosphäre des Gasriesen selbst, wo das Raumschiff schliesslich verglühte.

Verglühen im Gasriesen

Dieses Ende geschah vor allem zum Schutz möglichen Lebens auf einem der Saturnmonde, das irgendwann mit irdischen Keimen an Bord der Raumsonde in Kontakt hätte kommen können, wenn diese ohne Treibstoff im Orbit verblieben wäre. Zugleich war das Inferno eine Chance für die Wissenschaft, setzte es doch eine Reihe waghalsiger Saturnumrundungen voraus, die Cassini ab April dieses Jahres insgesamt 22-mal durch die Lücke zwischen Ringen und Wolkenbändern tauchen liess, während die Flughöhe schrittweise sank.

Diese Manöver ermöglichten den Wissenschaftern beispiellose Einblicke in die dichtesten Bereiche der Saturnringe. Aus den dabei gesammelten Daten wollen sie ableiten, ob die Ringe ein vergleichsweise junges Phänomen sind oder ob sie so alt sind wie der Planet selber. Die Forscher erwarteten in der Lücke ausserdem unsichtbaren Staub, der die Sonde ausser Gefecht hätte setzen können. Aber Staub fand Cassini hier kaum: "Saturn überrascht uns weiterhin", sagt Projektmanager Earl Maize.

Noch in den achtziger Jahren war Saturn weitgehend unerforscht: Zwar waren die Pioneer- und Voyager-Sonden bei ersten Streifzügen am Saturn vorbeigeflogen. Pläne, dem Jupiter eine ganze Mission zu widmen, waren bereits weit gediehen - und eine grosse Mission zum Saturn erschien als nächster logischer Schritt. Doch der Weg dorthin erwies sich als steinig: Mehrmals wollten US-Politiker der Nasa entstandene Mehrkosten nicht bewilligen - aber die europäischen Partner machten Druck, denn bei ihnen lag die Landesonde Huygens bereits im Trockendock, das Beiboot der Mission. Schliesslich hob Cassini-Huygens im Oktober 1997 ab. Nach Schwungmanövern an Venus, Erde und Jupiter flog die Sonde im Juni 2004 ins Saturnsystem ein. Seither folgte sie einer ungewöhnlichen Flugbahn, die so wohl nur hier möglich ist: Mit seinen 62 bekannten Monden gibt es rund um den Saturn zahlreiche Ziele, die anzufliegen eigentlich enorme Treibstoffmengen benötigt hätte. Doch konnte Cassini an Titan, einem ungewöhnlich grossen Mond, immer wieder Schwung holen - und äusserst spritsparend neue Ziele ansteuern.

Entsprechend beeindruckend fällt Cassinis Bilanz aus: Nahaufnahmen von 20 Monden, die Entdeckung von 7 neuen Trabanten, Aufnahmen der Wolkenbänder am Saturnäquator und von Saturns Nordpol, wo ein sechseckiges Wolkenband um einen gewaltigen Wirbelsturm kreist.

Huygens' Touchdown auf Titan

Titan war als Studienobjekt für Cassini ebenso wichtig wie Saturn. Der Mond ist grösser als der kleinste Planet Merkur und von einer undurchsichtigen Atmosphäre umgeben. Diese Gashülle ist für einen Mond so fern von der Sonne ungewöhnlich - und sie forderte die Kreativität der Planetenforscher heraus: Um überhaupt etwas über Titans Oberfläche und mögliche Flüssigkeiten auf ihr zu erfahren, konstruierten sie die Landefähre Huygens. Als diese am Weihnachtstag 2004 von Cassini abdockte, wusste niemand, ob sie in einer Steinwüste oder eher in einem Meer aus Methan aufschlagen würde.

Das Ergebnis lag irgendwo dazwischen: Huygens' Bordkamera sah im Anflug ein an Flussbetten erinnerndes Netzwerk aus Taleinschnitten, stiess am Boden aber nur auf trockene Gerölle. Ein Jahr später sollte die Muttersonde bei einem nahen Vorbeiflug Methanseen rund um Titans Südpol nachweisen, dank einem Radar-Instrument und einem Infrarotspektrometer, die durch die Atmosphäre hindurchblicken können. Für Athena Coustenis vom Observatorium Paris, die sich seit zwei Jahrzehnten mit Titan befasst, ähnelt dieser Mond in gewisser Weise der Erde: Er habe Berge, Dünen, Flussbetten und Seen, sagt die Wissenschafterin, nur dass Titans minus 180 Grad Celsius kalte Oberfläche nicht von Wasser, sondern von flüssigem Methan gestaltet werde.

Die enorme Kälte ist es wohl, die Saturns Monde für unsere Augen dennoch zu fremden Welten macht. Auch die Forscher erwarteten so weit von der Sonne entfernt keine für uns behaglichen Temperaturen - doch wurden sie zumindest an einer Stelle überrascht: Der mit 500 Kilometern Durchmesser zweitkleinste Eismond Enceladus - äusserlich eine schneeweisse Kugel - müsste dem Abstand zur Sonne nach seit Jahrmilliarden durch und durch gefroren sein. Cassini aber fand bei den ersten Vorbeiflügen im Jahr 2005 gewaltige Fontänen aus Wasserdampf, die Tausende Kilometer hoch ins All emporschiessen. "Enceladus wurde dadurch eines der wichtigsten Ziele für uns", sagt Missionswissenschafterin Linda Spilker vom Jet Propulsion Lab der Nasa.

Ein Ozean unter dem Eispanzer

Insgesamt 24-mal besuchte Cassini Enceladus und durchflog die Fontänen. Die Instrumente wiesen in den Fontänen Salze, einfache Kohlenstoffverbindungen, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff nach - allesamt Stoffe, die auch zur Entstehung von Leben nötig wären. "Enceladus brachte uns lebensfreundliche Bedingungen sehr weit von der Sonne entfernt", sagt Athena Coustenis. Ob in dem Mond tatsächlich etwas lebt, konnten Cassinis Instrumente nicht überprüfen - aber sie konnten nachweisen, dass ein möglicher Lebensraum existiert: Mittels Schwerkraftmessungen fanden Forscher Hinweise auf einen gigantischen Wasserozean, der unter dem Eispanzer den gesamten Mond umspannt. Dieser Ozean ist rund 40 Kilometer tief - wohingegen die mittlere Tiefe des Pazifiks nur gegen 4 Kilometer misst.

Kurz vor dem Ende von Cassinis langer Mission liessen die Wissenschafter ihre Sonde noch einmal die wichtigsten Stationen Revue passieren: Cassini machte eine letzte Bildsequenz der Wasserdampffontänen auf dem Mond Enceladus. Am Montag kreuzte der grösste Saturnmond Titan das letzte Mal die Bahn der Sonde. Das allerletzte Bild der Kamera soll nach dem Willen der Forscher einen Propeller zeigen - eine jener zahlreichen Staubverwirbelungen in den Ringen, die erst durch Cassini entdeckt worden waren.

Die letzten Stunden

Dann, in den letzten drei Stunden vor dem Absturz, wurde auch die Kamera abgeschaltet - die Zeit hätte ohnehin nicht mehr ausgereicht, um noch Bilder zu übertragen. Nur noch wenige Instrumente massen, was der Sonde entgegenschlug auf dem Weg durch die äussersten Atmosphärenschichten des Saturns, die schliesslich Cassinis Hauptantenne gewaltsam dem Kontakt zur Erde entrissen.

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