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Auf- und Abwärmen: Dehnen ist nach dem Sport wichtiger als vorher

Fußball-Nationalspielerinnen beim Training (Archivbild 2011): Bei manchen Sportarten ist Dehnen davor kontraproduktiv


Schützt Dehnen vor dem Sport vor Muskelkater und Verletzungen? Oder macht es die Muskeln lahm? Und was bewirken Dehnübungen nach dem Training? Ein Überblick.



Sportwissenschaftler und Trainer hielten Dehnen lange Zeit für eine leistungssteigernde Allzweckwaffe. Es beuge Verletzungen vor und schütze vor Muskelkater, hieß es. Das Problem: Wissenschaftliche Studien belegen weder eindeutig einen Verletzungsschutz noch eine Verhinderung von Muskelkater.

"Es gibt Sportarten, bei denen das Dehnen vorher sogar kontraproduktiv sein kann", sagt Ingo Froböse, Professor am Institut für Bewegungstherapie und bewegungsorientierte Prävention und Rehabilitation der Deutschen Sporthochschule Köln. Etwa bei Fußball oder anderen Aktivitäten, bei denen Schnellkraft gefragt ist. Auch bei Maximalbelastungen wie Gewichtheben sieht Froböse den gedehnten Muskel eher geschwächt.

Egal ob Joggen, Fußball, Tennis oder Kraftsport: Wichtiger als sich vor dem Sport zu dehnen ist das Aufwärmen. Dazu genügt es meist, die sportarttypische Bewegung langsam und mit geringer Intensität auszuführen. "Wenn Sie also Joggen wollen, laufen Sie die ersten fünf Minuten einfach ruhiger. Das reicht schon als Verletzungsschutz", so Froböse.

Dehnen erhält die Beweglichkeit

Jürgen Freiwald, der den Arbeitsbereich Bewegungswissenschaft an der Universität Wuppertal leitet, sieht das etwas gelassener. Freizeitsportler, die sich nach dem Dehnen besser fühlen, sollten ruhig dehnen. "Mit Dehnen vor dem Sport büße ich zwei bis fünf Prozent meiner maximalen Leistung ein. Dieser Leistungsbereich ist für Freizeitsportler irrelevant." Gerade älteren Menschen und Stressgeplagten legt er das Dehnen ans Herz: "Dehnen kann beweglicher machen oder die Beweglichkeit erhalten."

Die Sportwissenschaftler bevorzugen beim Aufwärmen das flexible, dynamische Dehnen als Vorbereitung auf den Sport. Nach einem harten Arbeitstag sei aber auch das statische Dehnen, das sogenannte Stretching, sinnvoll, sagt Freiwald. Der Kopf steuert die Muskeln und die Muskeln den Kopf, was man bei Entspannungsübungen zum Beispiel beim Yoga spüren kann.

Nur für Leistungssportler, die auf die Maximalkraft angewiesen sind, und für Überbewegliche sieht Freiwald das Dehnen nach wie vor kritisch: "Bereits überbewegliche Sportler werden damit anfälliger für Verletzungen", erklärt er. Wer beim Gehen öfter umknickt und vielleicht noch leichte X-Beine hat, sollte nicht unbedingt dehnen.

Geschmeidiger Bewegungsapparat

Fürs Krafttraining empfiehlt Freiwald, zum Aufwärmen die Bewegung ohne Gewichte oder mit kleiner Last auszuführen. "Die Knorpel, die Muskelsehnen und die Sehnenmuskelübergänge machen meistens die Probleme, damit werden sie geschmeidig gemacht und sind dann gut vorbereitet."

Anders sieht es bei Sportarten aus, die eine maximale Beweglichkeit erfordern. Für Turnen, Hürdenlauf, Delfinschwimmen oder rhythmische Sportgymnastik halten die Sportwissenschaftler Dehnen im Rahmen des Aufwärmens für angebracht. Das gilt auch für Kampfsport wie Karate und Taekwondo und für Hürdenlauf oder Ballett.

Der Muskelkaterschutz durch Dehnen ist allerdings endgültig vom Tisch: "Es gibt keine gesicherten Untersuchungen, die einen präventiven Effekt des Dehnens gegen Intensität oder Dauer eines Muskelkaters belegen", sagt Hans-Joachim Appell Coriolano, Professor am Institut für Physiologie und Anatomie der Deutschen Sporthochschule Köln.

Dehnen verhindert nur kurzfristig einen Krampf

"Nach dem Sport sollte Dehnen die Muskelentspannung unterstützen. Während des Sports ist Dehnen dann gezielt sinnvoll, wenn sich ein Krampf ankündigt", sagt Appell. Das Dehnen verhindere in diesem Falle aber nur kurzfristig den Krampf. Langfristig verbessert Dehnen vor allem die Beweglichkeit der Gelenke und ihrer umgebenden Strukturen. Es kann kurzfristig dazu beitragen, muskuläre Dysbalancen zu beheben, indem es verkürzte Muskeln in die Länge zieht und ihre Spannung reduziert. Und es hilft Stressgeplagten, lockerer zu werden und zu entspannen.

Freiwald zufolge nehmen neuere Forschungen nicht mehr so sehr die Muskulatur selbst in den Fokus - sondern vielmehr das Bindegewebe in der Muskulatur sowie deren Umhüllung, die sogenannten Faszien. "Mit der Aufklärung der Funktionen der Faszien, die über die Gelenke von Kopf bis Fuß hinwegziehen, werden wir in Zukunft viele Rätsel lösen können, die dem Dehnen nach wie vor anhaften", sagt Freiwald.

Doch ob man nun Muskeln oder Faszien dehnt: "Beim Dehnen gilt wie im gesamten Leben: nicht über die Schmerzgrenze gehen", so Appell, und Froböse sagt: "Nachher dehnen ist wichtiger als vorher."

Bei Muskelkater nur leicht dehnen.

Karin Willen, dpa
  
TIPPS ZUM DEHNEN
Vor dem Dehnen sportspezifisch locker aufwärmen.

Auch das Dehnprogramm muss der Sportart angepasst sein, also etwa beim Tennis in erster Linie die Oberkörper- und Armmuskulatur dehnen.

Immer auch den Gegenspieler des jeweiligen Muskels dehnen.

Im Sport eher dynamisch-federnd dehnen und ruhig dabei atmen, nach dem Sport auch statisch, also die Dehnung etwa 20 Sekunden halten.

Es darf dabei ziehen, aber nicht schmerzen.

Bei Muskelkater nur leicht dehnen.


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