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Auf der Schwäbischen Bäderstraße

Auf der Schwäbischen Bäderstraße
Wo Fische die Füße pflegen
und der Wald wackelt
40 Jahre ist es jetzt her, dass acht Städte zwischen Bodensee, Schwäbischer Alb und Allgäu gemeinsam vor die Presse traten, um sich als Schwäbische Bäderstraße in den Kreis der deutschen Ferienstraßen einzuordnen. Sie hatten sich in mehr als zehn Jahren aus einer lose verbundenen Interessengemeinschaft gegen den Fluglärm am Himmel über ihren Heilbädern und Kurorten zu einer Marketinggemeinschaft zusammengerauft. Keiner sollte zu kurz kommen, jeder sein eigenes Profil entwickeln. Es hat allein Jahre gedauert, sich auf das gemeinsame Logo mit barockem Zwiebelturm in Braun und einer Welle in Blau zu einigen. Doch das ist Schnee von gestern. Heute führt eine 180 Kilometer lange Route durch die abwechslungsreiche Natur- und Kulturlandschaft zwischen Bayern und Baden-Württemberg, die besonders Wohnmobilreisende und Radfahrer zu schätzen wissen.
Die Route verbindet mittlerweile neun Städte mit sieben Thermen, die sich der gesunden Erholung in der Natur verschrieben haben. So lassen Bad Buchau, Bad Waldsee und Wurzach ihre Gäste zum Beispiel in heilungsfördernden Moorbädern schwitzen. Bad Grönenbach, Bad Waldsee, Bad Wörishofen und Überlingen machen ihre Gäste vor allem fit mit Kneippschen Gesundheitspraktiken. Und in Überlingen, Bad Wörishofen und Bad Grönenbach steht Fasten als Gesundheitsbooster auf dem Programm. Wir haben uns umgeschaut und uns dabei in Bad Saulgau und Bad Buchau überraschen lassen.

Bad Saulgau im Landkreis Sigmaringen stellt seit 30 Jahren die natürliche Vielfalt in den Mittelpunkt. Freie städtische Anlagen sind so bepflanzt, dass sich viele heimische Tierarten davon ernähren können. An den Schulen sorgen Schmetterlingsgarten und Blumenwiese mit Bienenkästen für tierisches Leben und kindliche Anschauung. Herzstück ist ein etwa 60 Hektar großer NaturThemenPark. „Artenreichtum statt Einheitsgrün“ nennt der Umweltbeauftragte der Stadt, Thomas Lehenherr, das ökologische Konzept, das dahinter steht.
Am InfoPunkt in der Nähe der Sonnenhof-Therme beginnen Erkundungstouren, Naturveranstaltungen und Führungen. Guides geben an den Wochenenden zwischen April und September in der ehemaligen Waldhütte Infomaterial, Kescher und Forscherrucksäcke für verschiedene Expeditionen in die heimische Natur aus. Eine Vogelstimmtafel lädt hier zum Erkennen der verschiedenen Vogelrufe ein, eine Baumstammsammlung gibt Auskunft über die verschiedenen heimischen Arten, und in einem Lesesteinhaufen lassen sich Insekten, Eidechsen und kleine Säugetiere entdecken.

Die 4,6 Kilometer Große Runde durch das weitgehend renaturierte Gebiet führt mit 12 interaktiven Erlebnisstationen durch verschiedene Biotope. Erst Obsthaine und saftige Wiesen, dann ein wasserdurchzogener Mischwald mit Beobachtungsstationen und Waldspielplätzen. Biberburgen zeigen, dass das Konzept der Biodiversität aufgegangen ist. Die emsigen Nager haben inzwischen die Feuchtflächen um mehrere Hektar vergrößert. Für Lehenherr ein Erfolg der Renaturierung, der sich auch an der Wiederansiedlung von Eisvogel, Wasserralle und seltenen Libellenarten zeigt, die auf der Roten Liste stehen. Mehrere Spechtarten meißeln und trommeln heute wieder weithin hörbar an die Bäume, seltene Singvogelarten sind ebenfalls den NaturThemenPark eingezogen.
Wie wichtige das Zusammenspiel von stehenden und fließenden Gewässern für Wald und Klima sind, erschließt sich auf dem 3,5 Kilometer langen Themen- und Erlebnisweg Wasser mit Matschplatz für Kinder. Hier führen Stege über die Feuchtwiesen und Gewässer und lassen das natürliche Treiben ungestört beobachten.
Zum ökologischen Konzept der Stadt gehört auch die Rückgabe des abgebadeten Thermalwassers der Sonnenhof-Therme an die Natur, nachdem es gereinigt wurde. Dass darin auch Platz für nicht-heimische Tiere ist, damit hatte ja niemand gerechnet. Aber heute ist gerade das die Sensation des Heilbades: Der Kurteich ist Deutschlands erster und einziger „Freiluft-Fisch-Spa“.
Zwischen Therme und Kurpark knabbern Putzerfische fleißig an jedem Fuß, der in den Kurteich gesteckt wird. Umsonst, das ganze Jahr über und ganz hygienisch, denn das Wasser fließt nur durch und wird dann in den NaturThemenPark weitergeleitet. Dort gelangt es in Bäche, Seen und Moore. Die Gewässer und Moorekönnen über Holzstege und befestigte Wege erkundet werden, vorbei an Biberbauten, urigen Matsch- und Waldspielplätzen und begleitet von Vogelkonzerten.
Die kleinen Schwarmfische hüten sich allerdings, mit dem Lauf des Wassers zu schwimmen. Das wird dann nämlich durch die umgebende Luft zunehmend kälter. Zu kalt für sie. Wie Saugbarbe und Co. überhaupt in einen deutschen Kurteich kommen? Das wüsste Lehenherr auch gern. Eigentlich war der Teich hinter der Therme ja nur gedacht als idyllische Zwischenstation des gebrauchten und gereinigten Heilwassers auf dem Rückweg in den Naturkreislauf. Eine kostengünstige und ökologische Lösung eben.
Doch plötzlich befanden sich die Fische vor acht Jahren zwischen Findlingen, Seerosen und Algen. Lehenherr vermutet, ein Bürger ist seines Aquariums überdrüssig geworden und hat dessen Inhalt einfach in den Kurteich „entsorgt“. Den kleinen Schwarmfischen hat der Umzug offenbar nicht geschadet; sie vermehrten sich unter diesen Lebensbedingungen im warmen Wasser gut.
Das Resultat: Manchmal ist kein Stein mehr frei am Rand des Teiches zwischen Therme und Wald. So beliebt ist der kostenlose Fisch-Spa in dem Heilbad. Dass der Teich kein therapeutisches Angebot der Therme ist und nicht überwacht wird, stört hier niemanden. Und diese Pediküre tut auch nicht weh. Denn Zähne haben die Fische aus der Familie der Karpfen nicht. Die Fische stupsen die Füße mehrfach schnell hintereinander an. Das lockert die abgestorbenen Hautschüppchen, die sie dann schnell einsaugen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: tadellos gepflegt Füße ohne schrundig wirkende Hornhaut und gut durchblutet.
Der Teich erfüllt derweil weiterhin seine Funktion als erste Abkühlstation des heißen schwefligen Heilwassers. Das wärmeentziehende Abfließen in den nahen Wald hat sogar noch eine weitere Kuriosität ausgelöst. Im Winter bevölkern auch Frösche das vergleichsweise immer noch warme Bächlein im Wald. Die Temperatur verhindert, dass sie in die Kältestarre fallen. Auch die Amphibien finden im Winter genügend Nahrung. Ihnen genügen jene Insekten, die selbst im Winter noch kreuchen und fleuchen.

Einer Viertelstunde mit dem Auto, und wir stehen vor der nächsten Kuriosität: dem Wackelwald hinter dem Kurpark von Bad Buchau. Er gehört zum Naturschutzgebiet Federsee und liegt im Federseemoor, dem größten Moor in Südwest-Deutschland. Dort schwingt der Boden, wenn man in den Knien federt − und lässt die Seele gleich mitschwingen. Besonders nach Regenfällen. Doch keine Angst! Niemand sinkt ein, und die wackelnden Bäume stürzen auch nicht um. Manche Gäste sagen, sie fühlten sich, als gingen sie über ein Wasserbett, andere wähnen sich auf einer Puddinghaut wandern.
„Die 20 bis 30 Zentimeter dicke Wurzelschicht der Bäume unter der Oberfläche bildet ein tragfähiges Geflecht und sorgt dafür, dass man nicht versinkt“, erklärt Katharina Kobe vom NABU-Naturschutzzentrum Federsee das seltene Naturphänomen. „Diese Vegetationsschicht entspricht sozusagen der Puddinghaut. Und der sechs bis acht Meter dicke weiche und feuchte Moorboden darunter ist sozusagen der Pudding, der wackelt.“ Warum – das hat mit der natürlichen Entwicklung nach der letzten Eiszeit und dem späteren menschlichen Eingriff zu tun. Vor 15.000 Jahren war das Gebiet noch Teil des 30 Quadratkilometer großen Federsees. Dieser flache eiszeitliche Schmelzwasserstausee verlandete mit der Zeit. Es entwickelten sich ausgedehnte Moorflächen. Im 18. Jahrhundert umfasste der See noch zehn Quadratkilometer. Zwei künstliche Absenkungen des Seespiegels vor gut 200 Jahren verkleinerten die Seefläche auf ihre heutige Größe von etwa 1,4 Quadratkilometer.
Mehr als 450 Hektar des zwischenzeitlich landwirtschaftlich genutzten Bodens im Federseegebiet ist heute wiedervernässt, neue Projekte sollen noch mehr Moorflächen zurückholen. Denn heute wissen wir, dass Moore extrem viel Kohlenstoff binden und damit die Klimaerwärmung mildern. Das Gebiet des Wackelwaldes selber diente einige Zeit als künstlich aufgestauter Eisweiher, aus dem sich eine Brauerei mit Eisblöcken für ihren Kühlkeller bediente. Irgendwann war das aber genauso wenig lukrativ wie die anschließende Aufforstung des Gebietes mit Fichten. Es wurde sich selbst überlassen. Jetzt wuchsen Arten ein, die gut mit nassen Bodenbedingungen zurechtkommen. Es entstand ein Mischwald mit Moorbirken und –kiefern, Ebereschen und verschiedenen Weidenarten – und eben Fichten, die sich den Bedingungen anpassen konnten: der Wackelwald.
Betritt man ihn beherzt, federt in den Knien oder springt in die Höhe, bewegt sich die Oberfläche, und die Wurzeln übertragen die Schwingung auf die Bäume, die dann mitwackeln. Der NABU hat im Wackelwald einen 600 Meter langen Naturerlebnispfad mit Sitzgelegenheiten, Bankgruppen mit Tischen, Entspannungsliegen, Aussichtsturm und Aussichtskanzel eingerichtet und führt dort auch interessierte Gruppen.
Den Rest des verlandeten Federsees können Touristen sich über den 1,5 Kilometer langen Federseesteg erschließen. Er führt über artenreiche Streuwiesen und einen dichten Schilfgürtel und endet auf der wasserumspielten Besucherplattform im See. In der Abend- und Morgendämmerung fangen Fotografen hier stimmungsvolle Bilder ein, tagsüber ist vom Aussichtsturm das Federseebecken zu sehen, bei klarer Sicht schimmert im Süden sogar die Kette der Alpengipfel. Gerade im Frühling zwitschern die Vögel auf den Wiesen und im Schilfrohr um die Wette. Was sich da jetzt so melodisch entäußert, erklären NABU-Experten gern bei ihren Führungen und machen auch mit den Highlights der Pflanzenwelt vertraut.
Das NABU-Naturschutzzentrum liegt in der Nähe des Wackelwaldes gleich an Anfang des Federseestegs, an dem auch das einzigartige Federseemuseum liegt. In dem Pfahlbau aus Holz und Glas erzählen Exponate von 15.000 Jahren Leben am See. Denn die oberschwäbische Moorlandschaft konservierte Dinge wie Werkzeuge oder frühe Wagenräder und ist deshalb eine der archäologisch fundreichsten Gebiete Europas. Das beginnt bei den eiszeitlichen Rentierjägern an der nahe gelegenen Schussenquelle über Jäger und Sammler der mittleren Steinzeit, steinzeitliche Dörfer und die spätbronzezeitliche Wasserburg Buchau bis zu den Pfahlbauten der Kelten im 7. Jahrhundert vor Christus.
Im Freigelände des Museum zeigen rekonstruierte Zelte und Hütten den Alltag von der Steinzeit bis in die keltische Epoche. Und der 9,5 Kilometer lange archäologische Lehrpfad führt Radfahrer und Wanderer über elf Stationen zu den Originalfundstellen im südlichen Ried. Vorbei an teilrekonstruierten bronzezeitlichen Siedlungen und Informationstafeln zur Natur- und Kulturgeschichte dieses archäologischen Hotspots in Europa.

Karin Willen

Informationen:

Tourist-Information Bad Saulgau
Lindenstrasse 7, 88348 Bad Saulgau, Tel.: 07581/20090, willkommen@bad-saulgau.de, https://www.bad-saulgau.de/tourismus/entdecken/index.php, www.stadtgruen-naturnah.de/teilnehmende/bad-saulgau/

Nabu-Naturschutzzentrum Federsee
Federseeweg 6, 88422 Bad Buchau, Tel.: 07582/1566, info@NABU-Federsee.de, www.NABU-Federsee.de

Federseemuseum Bad Buchau
August Gröber Platz, 88422 Bad Buchau, Tel.: 07582/8350, info@federseemuseum.de, www-federseemuseum.de

Schwäbische Bäderstraße
Marktplatz 5, 87730 Bad Grönenbach, Tel.: 08334/60531, info@schwaebische-baederstrasse.de, www.schwaebische-baederstrasse.de