(23.03.15) Adrenalinschub gefällig? Gleich am Tag nach der Ankunft im amerikanischen Bundesstaat North Carolina stehen drei Runden auf dem Charlotte Motor Speedway auf dem Programm. Getunte Motoren dröhnen, und die flüchtigen Bestandteile des Benzins kriechen in die Nase, während wir uns in Schutzanzüge zwängen und von den Technikern der Richard Pretty Driving Experience einen Helm übergestülpt bekommen.
Ungelenk wie Raumfahrer auf dem Mond staksen wir an die grellbunten Auto. Jeder klettert durchs Fenster auf die harte Schale des Beifahrersitzes. Türen gibt es nicht in den Rennwagen, die aussehen wie Halbstarkenautos und auf denen so gut wie keine Werbefläche mehr frei geblieben ist. Ein kurzes Nicken und Vorstellen, anschnallen und schon geht es los.
Mit lautem Aufheulen beantwortet der Wagen den Gasfuß des Fahrers, doch auch schon vorher konnte man das eigene Wort kaum verstehen. Die Geschwindigkeit drückt die Passagiere in die Sitze. Dabei schränken allein die Gurte den Bewegungsradius gewaltig ein. Gut, dass der Asphalt eben ist und der Kopf im Helm fixiert, die harte Federung rüttelt einen so schon ganz ordentlich durch.
Der Fahrer nimmt ein solches Tempo auf, dass sich die bunten Sitze der Tribüne zu einem multifarbenen Band formen. In den steilen Kurven flieht der Wagen fast an den hohen Rennbahnrand. Doch alle Fahrer bleiben manierlich. Keiner überholt den anderen, die Gäste sollen bloß mal in drei Runden auf 266 Kilometer pro Stunde gebracht werden. Wie oft der Fahrer das macht am Tag?" Acht Stunden". Und das ist nicht langweilig? "Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen."
Von glitzernden Bankentürmen
zu historischen Wohnhäusern
Die Wege von den glitzernden Bankentürmen zu historischen Wohnhäusern sind auch nicht weiter als in Frankfurt von der Alten Oper nach Alt-Sachsenhausen. Sie führen ins Viertel Fourth Ward über das kurvenreiche Pflaster eines Friedhofs, in dem auch einige Sklaven ihre bescheidene letzte Ruhe gefunden haben und vorbei an einer Kirche mit Tiffany-Fenstern.
Die Stadt, die am Schnittpunkt zweier Routen der Sioux-Indianer gegründet wurde, beherbergt in Fourth Ward einige Backsteinbauten und Holzhäuser im Queen Anne Style. Erker, Ecktürme, asymmetrische Hausfronten sowie tief liegende Hauseingänge mit breiten Vordächern prangen in sorgfältig gepflegten Gärten, als wäre die Zeit in diesem Viertel im 19. Jahrhundert stehen geblieben.
Der Goldrausch verlagerte sich jedoch bald westwärts, wo ergiebigere Schürfgründe gefunden wurden. Charlotte prosperierte trotzdem. Mehr noch als von dem damit entstandenen Bergbau, der Baumwollindustrie und dem Eisenbahnbau in jüngster Zeit als Finanz und Handelszentrum. An der Straßenkreuzung Trade und Tryon, dort wo sich einst die Indianerwege kreuzten, symbolisieren vier Statuen an den vier Ecken den Reichtum: Eine der Statuen steht für den Handel, eine für die Zukunft, eine fürs Verkehrswesen und eine für die Industrie. Noch ein paar Ecken weiter, und die Segway-Tour endet vor den neuen NASCAR Hall of Fame, der Ruhmeshalle für den Motorsport.
Es ist Zeit, das legendäre Südstaaten-Barbecue zu testen, das die Weißen von den Indianern gelernt haben sollen. Zu dem Fleisch vom offenen Feuer gibt es zahlreiche Soßen, gebackene rote Bohnen, das nahrhafte Südstaatenmaisbrot und Wein von lokalen Winzern. Denn um Charlotte herum wohnen nicht nur die meisten Rennfahrer, hier bauen auch etliche Winzer ihre Trauben an, die allerdings nur auf den lokalen Markt kommen.
INFO
Charlotte und NASCAR
Am Anfang war der Schmuggel. In den entlegenen Appalachen konnte man es einfach nicht lassen, Alkohol während der Prohibition von 1919 bis 1933 zu destillieren. Doch das Teufelszeug musste diskret und schnell an den Mann gebracht werden. Die Stunde heimlich "frisierter" Autos war gekommen, die schnell einer Polizeikontrolle entwischen konnten: Stock Cars, umgebaute Serienmodelle. Wie wild rasten die getunten Autos nachts auf unbeleuchteten schmalen und Kurvenreichen Bergstraßen und Feldwegen.
Bald erwachte die Konkurrenz unter den abenteuerlichen Fahrern. Wer hatte den schnellsten Wagen? Wilde Fahrten über einsame Straßen brachten so manchen verwegenen Sieger hervor in North Carolina und eine Idee: ein offizielles Rennen auf abgesperrtem Terrain. Mit Siegerehrung und einem Preis, der in den Anfängen noch in einer Flasche Rum, einem Kanister Motoröl oder anderen Naturalien bestand. Die ersten offiziellen Tourenwagen rasten im März 1936 über den Daytona Beach Road Course in Florida. Als Fünfter fuhr Bill France durchs Ziel, der elf Jahre später den amerikanischen Motorsportverband NASCAR gründete. Die NASCAR-Wettbewerbe sind heute für Amerikaner das, was Formel-1-Rennen für europäische Motorsportfreunde sind. Und Charlotte ist eines ihrer Zentren.
Der Charlotte Motor Speedway in Concord nördlich von Charlotte gilt als Heimatstrecke von NASCAR, dessen meisten Teams im Umkreis von 50 Meilen leben. Allen voran die Rennfahrerdynastien Earnhardt und Petty. Auf dem riesigen Gelände kommen zu dem 1959 gebauten Oval mehrere kleine Ovale, ein Straßenkurs, vier Bahnen für Dragster-Rennen und ein "Dirt Track" für Offroadrennen hinzu.
Weitere Informationen: Fremdenverkehrsbüro North Carolina, http://de.visitNC.com
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