Reportage
Ferien-auf-der-weissen-Insel
Von Sand, Salz und Eseln auf der französischen Atlantikinsel Ile de Ré
Die Franzosen nennen sie „Ré la Blanche“, „Ré die Weiße“. Nicht zu Unrecht. In den großen Salzgärten im Westen der Ile de Ré glitzert jede Menge Salz in der Sonne. Die Sandstrände an der langen Inselsüdflanke sind so hell, dass sie fast blenden vor dem tiefen Atlantikblau. Und hinter den bunten Stockrosen, die vor jedem zweiten Heim blühen, strahlen die weißen Häuschen nur so in der Sonne.
Die Deutschen vergleichen die Ile de Ré gern mit Sylt. Warum nur? Die weiße Insel ist ebenso schlank und ähnlich lang wie ihr nordfriesisches Pendant. Vor beiden Inseln werden Austern gezüchtet, beide sind durch eine lange Brücke mit dem Festland verbunden, und auf beiden versteht man gut zu speisen. Das war es aber auch schon mit den Gemeinsamkeiten. In den zehn Dörfern auf der Ile de Ré gibt ländliches Feriengefühl den Takt an, nirgends geschäftig-urbanes Leben wie in Westerland, auch keine pompösen Hotels und Schickimicki. Stattdessen Insel-Landleben mit gemütlichen Wochenmärkten, auf denen neben Gemüse, Käse, oder Inselbier auch Queller, frischer Fisch und Austern zu finden sind.
Das Eiland der Pariser Aussteiger
Im Hauptdorf Saint-Martin verstecken sich zwei Luxushotels ganz unprätentiös hinter historischen Mauern. Boutiquen locken mit Schiffsmodellen, Schwärmen geschnitzter Fische, Plüschtiereseln, bunten Eimern mit Schippchen und maritimer Mode. Brocanterien bieten sich zum Stöbern an. Und hinter der Ladentheke entpuppt sich so mancher als ausgestiegener Hauptstädter, wie der Wein- und Olivenölhändler Pascal Lemoyan. „Ich hatte das Leben als Supermarktmanager satt und lebe jetzt glücklich hier, wo ich als Kind die Ferien verbracht habe.“ Das hat Tradition auf der Ile de Ré. Schon der Gründer des Pariser Kaufhauses Samaritaine, Ernest Cognacq, ließ sich im 19. Jahrhundert auf der Insel nieder.
Seine Villa ist heute das Inselmuseum und steht zwischen jahrhundertealten Kaufmanns- und Reederhäusern. Ein paar Schritte weiter reihen sich zu beiden Seiten der Kaimauer von Saint-Martin Cafés und Restaurants zwischen die schicken Geschäfte. Man sitzt hier an einem der kleinen Bistro-Tische, vor sich den typischen Apéritif Pineau der Region Poitou-Charentes, und schaut den Booten und Yachten beim Schaukeln zu. Je nach Tidenhub entweder auf Augenhöhe oder bei Ebbe sieben Meter tiefer fast unmittelbar auf dem Schlick. Aus den gepflegten Kübeln vor den weißen Sandsteinhäusern geben Blumen zarten Duft in die Meeresluft ab.
Einst legten hier die Dampfschiffe mit den ersten Urlaubern vom Festland an. Im Gegenzug gingen die Insulaner an Bord, um das Land jenseits des Meeres kennenzulernen. Heute fahren Urlauber und Insulaner mit dem Auto über die fast drei Kilometer lange Brücke. Ansonsten spielt das Auto kaum eine Rolle auf der Ile de Ré. Man fährt Rad, das es überall zu mieten gibt. Mehr als 100 Kilometer misst das Netz an Radwegen, die direkt am Meer entlang führen, sich durch Pinien- und Kiefernwälder, dann wieder durch idyllische Dörfer oder einzigartige Sumpflandschaften winden.
Doch der erste Besuch gehört den Eseln auf dem Gelände der Festung in Saint-Martin. Der einst wichtige strategische Wachtposten vor der Küste von La Rochelle ist einen Fußweg vom Hafen entfernt. Hier haben die Esel Hosen an. Karierte oder gestreifte. Mit den Beinkleidern aus alten Küchentüchern schützten die Bauern einst ihre Arbeitstiere in den Salzgärten vor Infektionen durch Mückenstiche. Längst kommen die Produzenten des feinen Fleur de Sel im Westen hinter Loix ohne Esel aus. Die gar nicht so störrischen Vierbeiner kutschieren jetzt willig die Touristen zu der alten Festung, der kein geringerer als Vauban, der Baumeister des Sonnenkönigs, 1685 ihre Sternform gab.
Zottige Esel geben Milch für Seife
So zottig sind die Esel nirgends sonst. Dass sie aber die Milch für die vielerorts erhältliche Seife geben, ist nichts anderes als eine Marketingmasche. Im 18. Jahrhundert mag es noch so gewesen sein. Aber heute können gerade mal vier Eselinnen der seltenen und extrem zotteligen Rasse Baudets du Poitou gemolken werden, die zu den 25 noch auf der Insel lebenden Zotteltieren gehören. Ihr Besitzer Regis Léau vom Park Babette lässt Kinder im Sommer gelegentlich auf ihnen reiten. Auch wenn die wohlriechenden handgemachten Savons au Lait d’Anesse höchstens acht Prozent Eselsmilch enthalten dürfen, weil das Waschstück sonst zu fettig würde, sprengt die Masse des Angebots bei weitem die Euterkraft der vier Eselinnen. Doch Huguette Landry von der Manufaktur Savonnerie de Ré behauptet steif und fest, in ihrer Seife sei die Milch der zottigen Inselesel.
Anders verhält es sich mit den Frühkartoffeln. Sie tragen als einzige die kontrollierte Herkunftsbezeichnung „AOC“ und sind ab Mai in blauen Holzkisten in Frankreichs Delikatessenläden zu finden. Die kleinen Luxuskartoffeln der Kooperative „Maraichère“ schmecken dank des sandigen Bodens und des Meeresklimas besonders zart und süß und sind deshalb bei Gourmets sehr begehrt.
Bei den Austern läuft die Nachbarinsel Oléron der Ile de Ré allerdings den Rang ab, was die Masse und vielleicht auch die Qualität angeht. Dass sich dort die Körbe aber nur noch vor wenigen der pittoresken bunten Fischerhütten stapeln, ist eine andere Geschichte. Austernzucht lohnt sich heute nur in großem Maßstab, Kleinbauern können davon nicht mehr leben. Doch ganz gleich ob auf der Insel Ré oder Oléron: Einen Teller frischer Austern mit Baguette und einem Glas Wein bekommt man fast an jeder Ecke ab sechs Euro. Auch das ist eben anders als auf Sylt. Karin Willen
Information: Atout France, Französisches Fremdenverkehrsamt, Postfach 100128, 60001 Frankfurt,www.franceguide.com,
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Einsame Strände, idyllische Dörfer, hübsche Boutiquen und Bistros: Die im Atlantik vor La Rochelle gelegene Ile de Ré erinnert manche an Sylt - und ist doch anders.
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