Niemand hatte etwas gesagt, aber eines will Michael gleich bei der ersten Begegnung klarstellen: „Chinesen essen keine Hunde. Das tun nur die Koreaner. Und auch nur schwarze Hunde im Winter, weil deren Fleisch wärmt." Wir nicken höflich und witzeln hinter seinem Rücken: „Es ist ja warm, also kein Anlass für eine Hundemahlzeit". Wie der sympathische Hongkongchinese in seinen Dreißigern nur auf das Thema kommt? Erst später erfahren wir, dass er während seines Studiums in England so manches (Vor-) Urteil über China und Hongkong aufgeschnappt hat, das er nun gern in Luft auflösen möchte.
Michael Poon ist Filmemacher, der auch Fremde durch seine Stadt führt, damit er die hohe Miete in der Stadt mit den exorbitanten Grundstückspreisen aufbringen kann. Aber er macht das gern, wie er versichert. Den Vornamen hat er von dem katholischen Priester, der ihn taufte, Familie und Freunde reden ihn allerdings mit dem chinesischen Namen an, den ihm seine Eltern gaben: „Zwei Namen hat hier jeder, die chinesischen sind für Nichtasiaten zu schwer auszusprechen". Auch zwei Identitäten? Zumindest eine sehr flexible. Konfessionell fühlt sich Michael jedenfalls wie viele in Hongkong durchaus nicht gebunden. Er bekreuzigt sich in der Kirche genauso wie er sich im Tempel verbeugt, wenn er seine Gäste dorthin führt. Denn Michael ist modern, und das heißt in Hongkong: in der konfuzianisch-taoistischen Tradition verwurzelt, nach der neuesten Mode gekleidet und mit modernster Technik ausgestattet. Das Orakel befragt er über ein App auf seinem Handy. „Das ist billiger, als den Wahrsager zu konsultieren und ebenso erfolgversprechend."
Schlange stehen vorm GourmetrestaurantWährend er die kleine deutsche Gruppe durch Shopping Malls und Märkte, Tempel und Teehäuser in den Hochhausschluchten der Bankenmetropole am südchinesischen Meer schleust, will er zeigen, dass in Hongkong Gourmettempel und einfache Garküche ein- und dasselbe sein können – und weit entfernt von dem kulinarischen Angebot, das man beim Chinesen in Europa serviert bekommt. Doch das bedeutet erst einmal Schlange stehen vor einem unscheinbaren Dim Sum Restaurant in Kowloon.
Die Briten haben ihren chinesischen Einwohnern das Feinschmecken zwischen 1843 und 1997 nicht austreiben können. Wo die Gerichte gut zubereitet werden und preiswert sind, ist es rappelvoll in der chinesischen Sonderverwaltungszone. Und so steht man ungerührt stundenlang an, isst zügig und mit sichtlichem Appetit, um dann rasch aufzustehen und seinen Bestellzettel an der Kasse abzugeben.
Auf den bereit gestellten Hockern vor der Tür können nur wenige sitzen und schon mal den Bestellzettel ausfüllen, der Rest trifft stehend seine Wahl unter etwa 50 Positionen. „Keine Haifischflossensuppe", das ist unsere Bedingung, weil wir wissen, dass die Tiere dafür grausam zu Tode kommen. Michael lächelt verständnisvoll und kreuzt routiniert verschiedene Kästchen an. Wortlos streckt die Bedienung ihre Hand nach dem Zettel aus, als sie uns einen Tisch zuweist. Ohne Lächeln, ohne Blickkontakt. Und schon folgen Schlag auf Schlag eine große Kanne Grüntee, Tellerchen, Schüsselchen, Stäbchen und Teebecher. Michel gießt viel Tee in das größere Schüsselchen und spült darin seelenruhig die Stäbchen und das restliche Geschirr nach. Keiner schaut überrascht, nur wir Langnasen. „Diese Sorte einfacher Gaststätten ist zwar mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet, und das Essen ist hygienisch einwandfrei, aber das Geschirr nicht immer unbedingt", erklärt er und schickt die Bemerkung hinterher: „Grüner Tee tötet Bakterien".
Die, die das Herz berührenDie „Teewaschschüssel" verschwindet, als die ersten Bambuskörbchen auf den Tisch kommen. Ganz chinesischer Gastgeber teilt Michael die frischen, gedämpften Teigtaschen auf unsere Teller und beugt sich dann über seine. Er tunkt das mundgerechte große maultaschenähnliche Stück in Sojasauce und lässt es dann mit sichtbarem Behagen im Mund verschwinden. Ungeschickt tun wir es ihm nach.
Was da in den glänzenden Teigtäschchen ist, deren feinwürziger Dampf in die Nase steigt? „Nur das, wovor Europäer sich nicht ekeln: Schweinefleisch, Shrimps, Hühnerfleisch mit Erdnüssen, Gemüse mit Pilzstreifen und Pastetchen". Beliebte Delikatessen wie Entenfüße oder Hahnenkamm hat er fürsorglich weggelassen. Jedenfalls sind es kantonesisch gedämpfte Varianten, denn das ist in Hongkong die regionale Küche. Woanders werden Dim Sum auch gebraten.
Immer wieder stellt die Bedienung neue Körbchen auf den Tisch. Die Formen und Inhalte ändern sich, der feine Teig aus gedämpftem Weizenmehl mit Stärke bleibt der gleiche. Keine Zutat schmeckt vor, jedes Häppchen hat sein eigenes, subtiles Aroma und die letzten enthalten eine köstliche, süße Bohnenpaste. „Die, die das Herz berühren", heißt Dim Sum übersetzt. Auch wir schmecken den zarten Täschchen andächtig und schwärmerisch hinterher. Da kann es drum herum noch so kantinenmäßig hektisch und laut zugehen.
Im Nu sind alle Bastkörbchen geleert. Michael nimmt den Zettel, rechnet die Kosten aus und triumphiert: „Unter 10 Euro pro Nase für ein komplettes Gourmetmenü. Und solche Sternegaststätten gibt es auch für Nudeln und Congee!" Das Tim Ho Wan ist der Preisbrecher unter den besternten Dim Sum Restaurants. Die weltweit günstigste besternte Mahlzeit, Wantan-Nudeln, kostet im Nudel-Shop Ho To Tai in Yuen Long (New Territories) umgerechnet sogar nur 1,60 Euro und schmeckt ebenfalls vorzüglich. Doch bei Congee, Reissuppe, die auch in der traditionellen chinesischen Medizin eingesetzt wird, sind nicht alle einer Meinung. Man braucht schon besonders feine Geschmacksnerven und keine Abneigung gegen Babybrei-Mundgefühl, um den fein mit Gewürzen abgestimmten flüssigen Brei nicht fade zu finden.
Nach den Ausflügen in die preiswerte Spitzengastronomie im Betonmoloch steht die nächste Lektion auf Michaels Lehrplan gegen vorgestanzte Sichtweisen: Hongkong ist grün! Auf dem Victoria Peak, der für seine Aussicht auf die Lichter der Skyline berühmt ist, führt er uns auf befestigten Pfaden halb um den Bergdschungel herum. Doch das wirkliche Naturidyll finden wir in Lantau, einer der großen der 262 Inseln der Metropole an der Mündung des Perlflusses, an der auch der internationale Flughafen Chek Lap Kok aufgeschüttet wurde. Mit der Seilbahn geht es über sattglänzendes Grün auf den Ngong Ping. Nur ein paar Schritte vom gut besuchten Po Lin Kloster und einem gigantischen sitzenden Buddha entfernt, liegt still der Weisheitspfad mit seinen religiösen Sprüchen auf Holzkolumnen. Dahinter tun sich Wege mit Weitblick aufs Meer auf, auf denen man keinem Menschen begegnet. Hier sieht es aus wie auf Schweizer Almen und da, nicht einmal eine Wanderstunde entfernt, wuchert dann wieder subtropisches Grün.
Und die nächste Überraschung ist nur eine kurze, gerade mal ein paar Cent billige Busfahrt entfernt. Wir fahren ans andere Ende von Lantau ins Fischerdörfchen Tai O. Hier klappern die Fischer vor ihren Stelzenhäusern wie die Vorfahren mit Mahjong-Steinen und schreien sich dabei im Eifer des Spiels fast an. Keine Hochhäuser, keine Hektik. An der Straße werden Stockfisch und Fischpaste verkauft, die Kleidung der Männer erinnert an Mao-Uniformen. Ein winziges Museum zeigt, wie hier seit alters gefischt und gekocht wurde. Und kleine Boote knattern voll mit Körben und Bambusstangen in die Mangroven. Nur ein paar Werber für Bootsfahrten zu den rosa Delfinen und noch nicht einmal eine Handvoll Cafés zeigen an, dass man sich hier auf den Tourismus eingestellt hat. Ein Café serviert sogar Expresso.
Die südchinesische Sonderverwaltungszone auf einen BlickHongkong setzt sich aus Hongkong Island und den New Territories mit der Halbinsel Kowloon sowie 262 vorgelagerten Inseln zusammen.
Kulinarik: Hongkong ist nach Tokio und Paris die Stadt, deren Restaurants die meisten Michelin-Sterne erhalten haben. Im nahegelegenen Macau kommen noch weitere Sterne dazu. Internationalen Rekord hält die südchinesische Stadt mit den preiswertesten Sterne-Restaurants. Die weltweit günstigste besternte Mahlzeit Wantan-Nudeln, kostet im Nudel-Shop Ho To Tai in Yuen Long (New Territories) umgerechnet 1,60 Euro. Zu den ausgezeichneten Küchen gehören kantonesische, Sizuan, Dim Sum, Nudeln und Congee, aber auch japanische, indische und Fusionsküchen, in Macau auch die portugiesische Küche. Die Restaurants sind zu finden im neuen Michelinführer Hong Kong Macau oder unter www.viamichelin.de/web/Restaurants.
Einkaufen: Shopping Malls, Designer-Outlets und etliche Themenstraßen machen die chinesische Hafen- und Bankenstadt zum Einkaufs-Dorado. Anhaltspunkt für gute Qualität gibt das offizielle Qualitätsprüfungslabel „QTS". Auch für preiswerte Jugendmode gilt Hongkong als das Shoppingparadies. Günstig, gut und hip ist etwa die Kleidung der Marken Uniclo oder G2000. Auf den Märkten handelt man und sollte die Ware kritisch prüfen.
Maßschneidern: Innerhalb von drei Tagen kann man sich in Hongkong einen Anzug für etwa 200 Euro schneidern lassen, ein Hemd kostet 30 Euro. Als gute Adresse gilt zum Beispiel Sam's Taylor an der Nathan Road in Kowloon um die Ecke des Designerhotels The Mira.
Wandern: Siebzig Prozent des Hongkonger Areals sind Grünflächen, vierzig Prozent davon Naturparks. Wander- und Radwege führen in Bambushaine oder subtropische Wälder und auf Berge. Etwa 200 der vorgelagerten Inseln warten mit einsamen Stränden und unberührter Natur auf.
Weitere Informationen: Hong Kong Tourism Board, Humboldtstraße 94, 60318 Frankfurt am Main, Telefon 069 959 1290, Email frawwo@hktb.com Zum Original