Marko Feingold, Präsident der israelitischen Kultusgemeinde, erhielt von einem der mutmaßlichen Stolperstein-Beschmierer einen Entschuldigungsbrief und besuchte ihn im Gefängnis.
Karin Portenkirchner
Bei nationalsozialistischer Wiederbetätigung drohen in "leichten Fällen" ein bis zehn Jahre Haft. Dazu zählten 2013 die Schmierereien im Salzburger Stadtgebiet, die Beschädigung der jüdischen Synagoge sowie die Schändung der Stolpersteine, die an vom NS-Regime Ermordete erinnern. Viele dieser Tatbestände konnten zwei Männern im Alter von 20 und 21 Jahren zugeordnet werden. Der Jüngere sitzt seit Oktober 2013 in Untersuchungshaft, Anfang Dezember wurde auch sein Komplize festgenommen. Beim Verhör zeigte sich dieser 21-Jährige in mehr als 130 Fällen geständig und bezeichnete sich selbst als "Antisemit" und "Nationalsozialist".
Und dann kam der Brief. Er war an Marko Feingold gerichtet, den Präsidenten der israelitischen Kultusgemeinde Salzburg. Darin entschuldigte sich der 21-Jährige mutmaßliche Täter - vor allem für die Beschädigung der jüdischen Synagoge - und bot Wiedergutmachung in jeglicher Form an.
Feingold kündigte daraufhin öffentlich an, den Häftling im Gefängnis besuchen zu wollen. Ein 100-jähriger jüdischer Holocaust-Überlebender will einen mutmaßlichen Rechtsextremen in der Untersuchungshaft besuchen - noch dazu in Begleitung einer Journalistin. Ob dafür wohl eine Genehmigung erteilt wird?
Ein Anruf in der Justizanstalt Salzburg genügt. Innerhalb weniger Stunden willigen alle ein: der Häftling, der Staatsanwalt, das Justizministerium.
Am Morgen des Besuchs führt der Weg ins Landesgericht. Zum Staatsanwalt geht es mit dem Lift, in den Besucher-Bereich der Justizanstalt führen nur Treppen. Marko Feingold ist gut zu Fuß. Seine Tasche mit Fotos und einem Buch darf er mit in den Besuchsraum nehmen. Auch die zeitliche Beschränkung ist ausnahmsweise aufgehoben.
Wie tritt nun ein Mensch auf, der Hassparolen gesprayt und Stolpersteine beschmiert haben soll? Überraschend harmlos. Nervös. Marko Feingold ergreift die Initiative: "Ich brauche Ihnen Ihren Brief nicht vorzulesen", beginnt er, "haben Sie den selbst geschrieben?" - Der junge Mann nickt und schluckt trocken. Feingold fährt fort: "Ich wollte Ihnen ins Gesicht schauen: Ist das ein Trick der Rechtsanwälte? ,Spielst a Waserl, kriegst ein Jahr weniger?'" Feingold hat die Fotos der Beschmierungen mitgebracht - "Ihre gesammelten Werke", sagt er. Und: "Das ist eine Sauerei gewesen." Wieder nickt der Mann. Er spricht während des gesamten Besuches nur wenige Sätze. Das Gefängnis habe ihn "umgedreht". "Wie ist das Essen", erkundigt sich Feingold, "kann man davon leben? Im KZ konnte man nicht davon leben", konfrontiert er den 21-Jährigen.
Vier Konzentrationslager hat Marko Feingold überlebt. Von seinem Gesprächspartner trennen ihn fast 80 Jahre. "Niemand, der diese Zeit erlebt hat, kann sich danach sehnen." Der 21-Jährige erwidert: "Meine Einstellung hat sich im Gefängnis sehr gewandelt." - "Ich hoffe", bemerkt Feingold.
Er versucht, während des gesamten Gesprächs, dem Häftling einen Punkt klarzumachen: die Unsinnigkeit dieser Taten. "Salzburg ist eine Fremdenverkehrsstadt. Schluss mit den Schmierereien, das bringt nichts. Das schadet dem Ansehen Salzburgs und dem Volksvermögen. Das Saubermachen zahlen die Steuerzahler."
Der 100-Jährige spricht den Häftling auch auf seine Freunde an. "Freunde sind das schon lang nicht mehr", entgegnet der 21-Jährige bitter. In einem handgeschriebenen Brief, der zur Veröffentlichung gedacht sei, steht: "Keiner meiner sogenannten ,Kameraden' hat mir geholfen, ich hab viele meiner besten Freunde verloren und meine Beziehung gefährdet."
Feingold beendet das Treffen nach einer guten Stunde: "Ich hatte nicht das Gefühl, einem Antisemiten und Nationalsozialisten gegenüberzusitzen", resümiert er und verabschiedet sich - um 14 Uhr wartet die nächste Schulklasse in der Synagoge auf seinen Vortrag.
Daten & Fakten:
56 Stolpersteine beschmiert
Das Personenkomitee Stolpersteine hat mit Unterstützung der Stadt Salzburg im Jahr 2007 das international beachtete Projekt Stolpersteine des deutschen Künstlers Gunter Demnig nach Salzburg gebracht. Zurzeit sind in der Stadt Salzburg 217 Stolpersteine verlegt. Die ersten zwölf Messingquader wurden am 22. August 2007 verlegt.
Im Vorjahr ermittelte das Landesamt für Verfassungsschutz, nachdem insgesamt 56 dieser Stolpersteine mit schwarzer Farbe beschmiert worden waren. Die Polizei konnte zwei Hauptverdächtige (20 und 21 Jahre alt) aus Salzburg ausforschen. Die Beschuldigten sitzen in Untersuchungshaft, vier Komplizen wurden auf freiem Fuß angezeigt. Zuletzt waren das Mahnmal auf dem Kommunalfriedhof und die Davidsterne vor der Synagoge beschmiert worden. Von dem bzw. den Tätern fehlt aber noch jede Spur.
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