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#Faktenfuchs: Stimmen Merz' Behauptungen über die Grünen?

Friedrich Merz hat die Agenda der Grünen scharf kommentiert. Wollen die Grünen wirklich Einwanderer "einladen" und "Gendersprache" erzwingen? Der #Faktenfuchs hat diese und andere Behauptungen geprüft.


Der Ton im Wahlkampf wird schärfer. Der CDU-Politiker Friedrich Merz hat die Grünen angegriffen - in einem Beitrag auf Focus Online, den Merz auch als Twitter-Thread veröffentlicht hat. Einige Grünen-Politiker reagierten daraufhin empört: "Friedrich #Merz lügt. Seine jüngsten Behauptungen sind bodenlos", entgegnete etwa die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Britta Haßelmann auf Twitter.

Der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, konterte in den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) am Samstag: "Das Ganze ist ziemlich an den Haaren herbeigezogen." Der BR24-Faktenfuchs hat die zentralen Behauptungen geprüft.

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Grundgesetzänderung für Klimaminister mit Vetorecht?

"Bereit, weil ihr es seid" lautet das Motto der Grünen im Bundestagswahlkampf 2021. In ihrem Wahlprogramm fordern sie etwa ein Klimaschutz-Sofortprogramm und mehr sozialen Ausgleich. In seinem Beitrag nimmt sich Friedrich Merz zunächst das von den Grünen vorgeschlagene Klimaschutz-Ministerium mit Veto-Recht gegen klimaschädliche Gesetze vor.

Der grüne "Klimaminister" habe die Befugnis, sämtliche Gesetzesvorhaben zu blockieren, die "nach seiner persönlichen Einschätzung" den Zielen des Klimaschutzes zuwiderliefen, schreibt Merz. Mit diesem Vorschlag würde die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers unterlaufen und die Ressortverantwortung der Bundesminister ausgehöhlt, behauptet Merz. "Das Grundgesetz müsste in einer zentralen Bestimmung grundlegend geändert werden."

Stimmt teilweise. Nach Vorstellung der Grünen soll das Klimaschutz-Ministerium ein Einspruchsrecht für alle Gesetzesvorhaben bekommen. Dieses Veto soll der Klimaminister - oder die Klimaministerin - aber nicht auf Basis persönlicher Einschätzungen einlegen, wie von Merz behauptet, sondern dann, wenn die Gesetzesvorhaben dem Pariser Klimaabkommen zuwiderlaufen.

Tatsächlich müsste für ein echtes Vetorecht aber wohl das Grundgesetz geändert werden, sagt der Staatsrechtler Ulrich Battis dem #Faktenfuchs im Telefon-Interview: "Rechtlich kann man klar sagen, dass ein Vetorecht eines Ministers gegen die Richtlinienkompetenz der Bundeskanzlerin und das Kabinettsprinzip verstößt." Dass das Vetorecht für den Klimaminister wirklich kommt, hält der Staatsrechtler aber für unwahrscheinlich. Für eine Grundgesetzänderung fehle die erforderliche Zweidrittelmehrheit, glaubt Battis. Außerdem sei in absehbarer Zeit eine Regierung aus zwei oder mehr Koalitionspartnern zu erwarten, gibt der Staatsrechtler zu bedenken. Einem Koalitionspartner ein Vetorecht einzuräumen, sei illusorisch, weil dann die Regierungskoalition brechen könnte.

Zwar gibt es seit langem ein Vetorecht des Finanzministers. Dieser muss über- und außerplanmäßigen Ausgaben zustimmen und kann ein Veto einlegen, wenn Mehrausgaben eines Ressorts weder unvorhergesehen noch "unabweisbar" sind. Doch das ist kein echtes Vetorecht, sagt Battis. Der Finanzminister könne Überausgaben eines Ressorts lediglich eine Sitzung lang aufhalten, dann jedoch müsse er sich dem Willen der Bundeskanzlerin oder des Bundeskanzlers beugen.


Laden die Grünen Einwanderer nach Deutschland ein?

Merz schreibt weiter, ein von den Grünen geplantes "Einwanderungsministerium" habe das "Ziel, möglichst viele Einwanderer unabhängig von ihrer Integrationsfähigkeit nach Deutschland einzuladen".

Irreführend. Richtig ist: Die Grünen wollen Themen rund um Gleichberechtigung und Teilhabe in einem eigenen Ministerium bündeln. "Dazu werden wir die Aufgaben zur Einwanderungsgesellschaft aus dem Innenministerium herauslösen", heißt es im Wahlprogramm der Grünen. Den konkreten Begriff "Einwanderungministerium" nennen die Grünen in ihrem Wahlprogramm nicht. Ziel des geplanten Ministeriums sei es etwa, Diskriminierung abzubauen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern.

Weiter fordern die Grünen in ihrem Wahlprogramm klare Regeln für Einbürgerungsprozesse: "Nach fünf Jahren Aufenthalt in Deutschland sollen alle einen Antrag auf Einbürgerung stellen können, auch für anerkannte Geflüchtete gilt ein beschleunigtes und vereinfachtes Einbürgerungsverfahren."

Auch in der Asylpolitik sehen die Grünen Änderungsbedarf: "Die in den vergangenen Jahren vorgenommenen Aushöhlungen des Aufenthalts- und Asylrechts wollen wir zurücknehmen. Wir wollen insbesondere den Schutz von Geflüchteten, die Menschenrechtsverletzungen erlebt haben oder schwer erkrankt sind, garantieren."

Weiter befassen sich die Grünen in ihrem Wahlprogramm im Absatz "Fachkräftemangel" mit dem Thema Einwanderung. Dort heißt es: "Einwanderung in unser Land erleichtern wir mit der Einführung einer Talentkarte und einer schnelleren Anerkennung ausländischer Bildungs- und Berufsabschlüsse, auch wechselseitig in der EU."

Beim Thema Alterssicherung heißt es im grünen Wahlprogramm außerdem: "Um das Rentenniveau zu sichern, wollen wir die Frauenerwerbstätigkeit unter anderem durch ein Recht auf Rückkehr in Vollzeit erhöhen, [und] ein echtes Einwanderungsgesetz schaffen".

Die Grünen wollen Einwanderung also erleichtern, sehen aber schulische und berufliche Qualifikationen als wichtige Bedingung dafür an. Außerdem betonen sie, dass Integration wichtig sei und schreiben im Wahlprogramm dazu: "Für das Zusammenleben sind die Werte des Grundgesetzes die Grundlage." Eine möglichst hohe Zahl von Einwanderern anzuziehen und diese - wie Merz schreibt - unabhängig von ihrer Integrationsfähigkeit einzuladen, davon ist nicht die Rede.


Zwang zur Gender-Sprache?

Weiter behauptet Merz in seinem Beitrag: "Gender-Sprache soll uns allen aufgezwungen [...] werden."

Falschbehauptung. Mit Gender-Sprache meint Merz wohl geschlechtergerechte Sprache - das wird gemeinhin darunter verstanden. Richtig ist: Die Nutzung des Gendersternchens haben die Grünen auf ihrem Parteitag im Jahr 2015 beschlossen. Um Menschen aller Geschlechter anzusprechen und einzuschließen, schreiben die Grünen im aktuellen Wahlprogramm also etwa von "Bürger*innen". Darüber hinaus wird geschlechtergerechte Sprache an keiner Stelle erwähnt.

Dass die Grünen diesen Sprachgebrauch verpflichtend einführen wollen, dafür gibt es zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Anhaltspunkte. "Niemand fordert ein Gebot einer inklusiven Sprache, auch nicht im Bundestag. Die Einzigen, die Sprachverbote fordern, sind die AfD und Politiker der CDU", sagte dazu vor kurzem Ulle Schauws, die Sprecherin für Frauen- und Queerpolitik der Grünen im Bundestag.


Welche Steuern und Abgaben planen die Grünen?

Außerdem behauptet Merz, die Grünen planten weitere Steuern und Abgaben, sollten sie ab Herbst regieren. Außerdem wirft er ihnen vor, nicht zu sagen, wie die Vorhaben "sozialverträglich" umgesetzt werden könnten.

Stimmt teilweise. Die Grünen wollen laut ihrem Wahlprogramm etwa den Spitzen- und Reichensteuersatz anheben: Ab einem zu versteuerndem Einkommen von 100.000 Euro bei Alleinstehenden bzw. 200.000 Euro bei Paaren soll der Steuersatz auf 45 Prozent steigen. Für Spitzenverdiener ab einem zu versteuernden Einkommen ab 250.000 Euro bzw. 500.000 Euro soll der Steuersatz auf 48 Prozent steigen. Diese Steuererhöhung betrifft laut den Grünen nur etwa zwei Prozent der Einkommensteuerpflichtigen.

Darüber hinaus wollen die Grünen nach Ende der Corona-Krise eine neue Vermögensteuer einführen. Diese soll ab Vermögen von mehr als zwei Millionen Euro pro Person greifen und jährlich ein Prozent betragen. Außerdem planen die Grünen die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Diese solle helfen, Spekulationen an den Finanzmärkten einzudämmen. "Damit wollen wir auch die Akteure auf den Kapitalmärkten angemessen an der Finanzierung des Gemeinwohls beteiligen", heißt es dazu im Wahlprogramm.

Desweiteren fordern die Grünen eine europäische Kerosinsteuer: "Bis diese in der EU umgesetzt ist, werden wir auf nationaler Ebene eine Kerosinsteuer für innerdeutsche Flüge einführen", heißt es im Wahlprogramm.

Die Grünen planen also tatsächlich höhere Steuern und teils neue Abgaben. Friedrich Merz schreibt aber nicht, wen diese betreffen würden. Denn die Grünen wollen auch den steuerlichen Grundfreibetrag anheben, um Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen entlasten. Forscher des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) bestätigen das: Sie haben für die Süddeutsche Zeitung berechnet, was zentrale Vorschläge der verschiedenen Parteien im Bereich Steuer-, Sozial- und Familienpolitik für den Geldbeutel der Bürger bedeuten würden.

Das Ergebnis: Vor allem Geringverdiener mit einem Jahresbruttoeinkommen von bis zu 20.000 Euro würden laut den Berechnungen von der Politik der Grünen profitieren. Nur Spitzenverdiener mit einem höheren Jahresbruttoeinkommen von mehr als 150.000 Euro müssten mehr zahlen als bisher.


Kann man im Saarland grün wählen?

Merz wirft den Grünen vor, sie seien "in einem ganzen Landesverband noch nicht einmal in der Lage, die eigenen Angelegenheiten so zu regeln, dass die Partei zur Bundestagswahl antreten kann."

Stimmt teilweise. Richtig ist: Der saarländische Landesverband von Bündnis 90/Die Grünen hat keine gültige Liste für die Bundestagswahl. Hintergrund ist ein schwerer Streit in der Landespartei um die Listenaufstellung. Daher können Wählerinnen und Wähler im Saarland ihre Zweitstimme nicht an die Grünen vergeben. Mit der Erststimme jedoch können die Wählerinnen und Wähler in ihrem jeweiligen Wahlkreis aber grüne Direktkandidaten wählen.

Merz schließt seine Kolumne mit der rhetorischen Frage: "Und diese Partei will die drittgrößte Industrienation der Welt regieren? Da kann es einem nur angst und bange werden." Dass Friedrich Merz Deutschland als drittgrößte Industrienation der Welt bezeichnet, ist zumindest unpräzise. Richtig ist: Deutschland belegt auf der Rangliste der größten Exportländer weltweit im Jahr 2020 den dritten Platz hinter China und den USA. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) belegt Deutschland in diesem Ranking 2020 nur Platz vier - hinter den USA, China und Japan.


Fazit:

Der Beitrag von Friedrich Merz enthält zwischen einigen richtigen Aussagen auch Falschbehauptungen, unpräzise Formulierungen und verzichtet stellenweise auf wichtige Kontextinformationen.

Es ist laut dem Staatsrechtler Ulrich Battis richtig, dass eine Grundgesetzänderung nötig wäre, um einen Klimaminister zu installieren, der gegen jedes andere Gesetz ein Veto aussprechen darf. Es stimmt aber nicht, dass ein Klimaminister nach seiner persönlichen Meinung entscheiden würde, er wäre laut den Grünen an internationale Abkommen wie das Pariser Klimaabkommen gebunden.

Merz' Behauptung, die Grünen würden möglichst viele Einwanderer "unabhängig von ihrer Integrationsfähigkeit nach Deutschland einladen" ist außerdem irreführend. Richtig ist: Die Grünen wollen Einwanderung erleichtern, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken und die Alterssicherung zu gewährleisten. Sie sehen aber schulische und berufliche Qualifikationen als wichtige Bedingung für Zuwanderung und betonen in ihrem Wahlprogramm, dass das Grundgesetz Grundlage des Zusammenlebens sein müsse.

Die Grünen gendern zwar selbst in ihrem Wahlprogramm mit Gendersternchen, fordern aber kein Gebot einer geschlechtergerechten Sprache. Dabei handelt es sich um eine Falschbehauptung von Merz.

Beim Thema Steuern und Abgaben fehlen in Merz' Beitrag Kontextinformationen: Es ist richtig, dass die Grünen neue Abgaben und teilweise die Erhöhung von Steuersätzen fordern. Diese sollen aber vor allem Spitzenverdiener betreffen.

Merz' Aussage zur Wahl im Saarland ist unpräzise: Zwar wurde die Landesliste der Grünen nicht zur Wahl zugelassen, die grünen Direktkandidaten stehen jedoch im Saarland zur Wahl.

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