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Vom Krieg in die Berufsschule

Mehr als die Hälfte der Flüchtlinge in Deutschland ist jünger als 25 Jahre. Dass sie Berufe erlernen ist wichtig für Gesellschaft und Wirtschaft. Doch welche Branchen suchen Azubis und welche Schwierigkeiten haben die Flüchtlinge und ihre Ausbildungsbetriebe? Münchener Flüchtlinge erzählen von ihrem Weg.

Drei Jahre nachdem er aus Bagdad geflohen ist, dreht Mohammad Kaaby Lockenwickler ins Haar einer Kopfpuppe. Zuhause im Irak arbeitete er im Salon seines Bruders, seit September macht der 19-Jährige eine Friseurausbildung in der J.7 hair lounge in München. Friseurmeister Carlos Barroca ist sehr zufrieden mit seiner Arbeit: „Mo ist sehr geschickt und fingerfertig.“ Die Ausbildung macht ihm Spaß, sagt Mohammed, aber er hat Geldprobleme. 450 Euro verdient er im ersten Lehrjahr, doch einen Großteil davon muss er für Miete, Essen und MVV ausgeben. Gerade einmal 100 Euro Taschengeld bleiben ihm für Kleidung oder Freizeitaktivitäten.

Geflohen vor Krieg und Verfolgung, gelockt von der Hoffnung auf ein besseres Leben: wie Mohammad 2013 sind im vergangenen Jahr rund 1,1 Millionen Menschen nach Deutschland gekommen. Mehr als die Hälfte von ihnen ist jünger als 25 Jahre. Der Staat sorgt für ein Dach über dem Kopf und gibt ihnen Geld für Essen und sonstige Dinge des täglichen Bedarfs – insgesamt kostet das etwa 1000 Euro pro Flüchtling und Monat. Daher sollen sie möglichst schnell integriert werden, und das gelingt am besten in der Schule oder an der Arbeitsstelle. Dort kommen die Geflüchteten in Kontakt mit Einheimischen, lernen Deutsch und verdienen eigenes Geld.

Deutsche Sprache, schwere Sprache

Das Schwierigste an seiner Ausbildung sei die deutsche Sprache, erzählt Mohammad. „Am Anfang versteht man nicht, was die Leute sagen.“ Einmal pinselte er den ganzen Haaransatz einer Kundin mit Farbe ein, anstatt nur die Strähnen nachzufärben. „Zum Glück haben wir das Missverständnis rechtzeitig bemerkt und die Farbe sofort ausgewaschen“, sagt Friseurmeister Carlos Barroca und lacht. Zusätzlich zur Berufsschule und zum Sprachkurs übt Mohammad nun alle zwei Wochen mit Kollegen die Fachbegriffe, die er als Friseur braucht. „Unsere Kunden wollen beraten werden - der Friseurberuf lebt von der Sprache“, erklärt Barroca.

„Bei der Theorie und den Fachbegriffen hapert es bei den meisten“, weiß auch Rüdiger Hofbauer von der Handwerkskammer München. Hofbauer begleitet Azubis wie Mohammad Kaaby, gibt Tipps und berät die Betriebe. Vielen Auszubildenden könnte eine Verlängerung der Ausbildungszeit helfen, glaubt er. „Aber das kostet Geld und Zeit und man muss gut überlegen, was man jungen Flüchtlingen zugesteht und Deutschen nicht.“

Gabriel Felbermayr vom IFO-Institut München glaubt, dass sich die Investition in Sprachkurse und Ausbildung der Flüchtlinge lohnt: „Ja, die Einwanderung der 1,1 Millionen Menschen wird uns etwas kosten - aber jetzt nicht in Bildung und Integration zu investieren wäre langfristig noch viel teurer.“ Felbermayr ist Experte für Außenwirtschaft und forscht zu Migranten auf dem deutschen Arbeitsmarkt.

Vom Kindersoldat zum Restaurantfachmann

Michael Abbey aus Sierra Leone hat seine Ausbildung schon abgeschlossen. Der 25-jährige arbeitet als Restaurantfachmann im Restaurant Münchner Stubn. Als Kindersoldat kämpfte er im Bürgerkrieg in Sierra Leone, jetzt zapft er Bier und serviert Obazda und Knödel. 2008 kam er mit dem Flugzeug nach Deutschland. Im Hotel Cristal in München machte er erst ein Praktikum und dann eine Ausbildung zur Fachkraft im Gastgewerbe.

Hotels und Gaststätten sind offen für junge Flüchtlinge, weiß auch Thomas Neumann von der Industrie- und Handelskammer Bayern. „Da gibt es internationale Gäste, unterschiedliche Sprachen sind gefragt und viele Flüchtlinge sprechen ein passables Englisch.“ Nach einem Jahr Arbeitserfahrung ermutigte Hotel- Chefin Kathrin Wickenhäuser Michael Abbey noch die Anschlussausbildung zum Restaurantfachmann darauf zu setzen. Obwohl er die Hälfte der Zeit in der Berufsschule war, bezahlte sie ihn voll. „Vom Ausbildungsgehalt hätte er sonst in München gar nicht leben können“, erzählt sie. Seit Ende der Ausbildung hat Michael Abbey einen festen Job, verdient sein eigenes Geld. Langfristig planen kann er trotzdem nicht. „Ich kämpfe immer noch für eine unbefristete Bleibegenehmigung“, erzählt er. Bisher muss er alle sechs Monate zur Ausländerbehörde.

Im Praktikum lernt man sich kennen

Eine Berufsausbildung machen und eigenes Geld verdienen, das will auch Allieu Jalloh (20) aus Sierra Leone. „In Deutschland braucht man für die meisten Jobs eine Ausbildung“, weiß er. 2014 kam er nach Deutschland, seit März 2015 besucht er die Berufsschule Dachau. Gemeinsam mit 20 anderen Flüchtlingen übt er Deutsch und Rechnen und bereitet sich auf seinen Hauptschulabschluss im Sommer vor. Sein Traum: ein Ausbildungsplatz im IT-Bereich. In Sierra Leone half er einem Freund, der als Netzwerkadministrator arbeitete, seitdem ist Allieu begeistert von der Arbeit mit Computern. Im Praktikum beim IT-Dienstleister e-solve bastelte er Power Point-Präsentationen und las sich in HTML ein. „Praktika sind die beste Gelegenheit für beide Seiten, sich kennenzulernen“, sagt Rüdiger Hofbauer von der Handwerkskammer. Chefin Tanja Rothammer war begeistert von Allieus selbständigen Arbeit und Motivation. Doch für viele IT-Berufe braucht man die mittlere Reife und für 2016 hat e-solve schon alle Ausbildungsplätze besetzt. Allieu macht daher schon das nächste Praktikum, er hofft noch für dieses Jahr einen Ausbildungsplatz zu finden. Zehn Bewerbungen hat er schon geschrieben, noch wartet er auf Antwort.

Bessere Chancen für einen Ausbildungsplatz haben Flüchtlinge in Berufen, die Nachwuchs suchen, so zum Beispiel Bäcker, Metzger – und Friseure. Der Asylantrag von Friseurlehrling Mohammad Kaaby läuft noch, aber wenn alles klappt, will er gerne in Deutschland bleiben. Sein Meister unterstützt ihn: „Wir suchen händeringend Nachwuchs,“ erzählt Carlos Barocca. Er stelle gerne Leute ein, die er selbst ausgebildet habe, weil er wisse, was die können. Woher seine Azubis kommen sei ihm dabei egal.