Hamburg - 1,2 Milliarden Menschen leben in Indien. Obwohl nach Angaben der Weltbank knapp die Hälfte von ihnen mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen müssen, machen gleichfalls mehr als 200 Millionen sehr wohlhabende Mittelklassekonsumenten und schätzungsweise 30 Millionen reiche Elite-Inder das Land zu einem interessanten Markt für Import- und Exportgeschäfte.
Die westliche Welt hat dies erkannt. Indien zieht seit Jahren verstärkt die Aufmerksamkeit auf sich. Das Wirtschaftswachstum lag zuletzt bei rund 7 Prozent. In der zwölftgrößten Volkswirtschaft der Welt liegen enorme Chancen – und laut Experten wacht der Riese Indien trotz des rasanten Wachstums gerade erst auf.
Doch wer in Indien Erfolg im Geschäftsleben haben will, braucht harte Nerven. "Um Missverständnisse zu vermeiden, sollte man sich unbedingt mit den kulturellen Unterschieden beschäftigen", rät Manisha Bhatia, der bei der Deutsch-Indischen Handelskammer in Mumbai die Geschäftsfelder Zusammenarbeit und Geschäftsentwicklung betreut.
Die Kommunikation verläuft nicht nur wegen der 400 Regionalsprachen und Idiome anders. Inder haben auch vom Leben und von Geschäftsbeziehungen andere Vorstellungen. Die Business-Regeln sind mit jenen in Deutschland nicht zu vergleichen. Nicht zuletzt deswegen setzen immer mehr Manager bereits bei ihrer Ausbildung auf den Kulturschock und erwerben beispielsweise ihren Master of Business Administration (MBA) in einer indischen MBA-Schmiede. "Indien ist in seiner Gegensätzlichkeit faszinierend und anders", erinnert sich der Unternehmensberater Christian Fricke, der einen Teil seines Studiums in Indien verbracht hat. "Wer im Berufsleben wirklich einer anderen Kultur begegnen möchte, der sollte nach Indien gehen."
Die E-Mail-Ignorier-Nation
Auf einen Kulturunterschied werden deutsche Geschäftspartner bereits bei der Kontaktaufnahme stoßen. Wer Indern eine E-Mail schreibt, zweifelt ganz schnell daran, dass in Indien überhaupt ein funktionierendes Internet existiert. Denn: Er wird in 99 Prozent aller Fälle keine Antwort erhalten.
Das ging mir mehrfach so, als ich für eine große deutsche Wirtschaftszeitung über Trends in Indien recherchierte. Egal ob ich mich bei meiner Recherche an einen Professor wandte oder einen Wirtschaftsboss anschrieb – ich erhielt keine Antwort. So geht es täglich Deutschen, die mit Indern in Kontakt treten wollen.
Dirk Matter, Leiter der Deutsch-Indischen Handelskammer in Düsseldorf, kann davon ein Lied singen. "Viele Deutsche scheitern beim ersten Schritt", sagt der Indienexperte. Der Grund: Ein Gros der Inder ist extrem beziehungsorientiert. Wer denkt, er könne Adresslisten aufkaufen und einen Geschäftskontakt aufbauen, der irrt. "Es ist meist völlig egal, ob man einem Inder etwas verkaufen möchte oder sogar etwas von ihm kaufen will", sagt Matter und verweist auf einen mittelständischen Maschinenbauer aus Deutschland mit immerhin 2500 Beschäftigten. "Der wollte kürzlich von einem indischen Zulieferbetrieb viele Teile in einer beachtlichen Größenordnung einkaufen", erläutert er. "Von 20 per E-Mail angeschriebenen Zulieferern hat sich keiner gemeldet." Obwohl die indischen Unternehmen ein gutes Geschäft hätten machen können, haben sie nicht geantwortet.