„Berlin, die Modemetropole" - davon träumt die Berliner Politik. Ihr wisst schon - Wowi. Und ich? Meine intensive Zeit im Modebusiness ist etwas her. Fotograf, Mode, eigenes Magazin. Klischee - aber wahr. Letztes Jahr war ich noch genervt von denen, die demonstrativ ihre Bändchen zur Schau trugen und ihre Tüten durch die U-Bahn schleppten. Je nach Linie wusste man genau, zu welcher Messe sie fahren. Aber 2014. Nüscht. Keiner da. Vielleicht lag es ja an den Tüten. Gibt anscheinend keine mehr.
Bei meiner ersten „Fashion Week" vor vier Jahren musste ich zwischen Shows zum Auto gehen, um die „Goody Bags" zu lagern, die Tüten mit den Geschenken, mit denen sich Modemarken einschleimen wollten. Freunden und Freunde von Freunden erschien ich wie ein Messias und verteilte alles, was ich nicht brauchte oder doppelt hatte. Das Sponsoring war großzügig - anscheinend sahen zahlreiche Marketingleute Potenzial wirklich das passende Publikum zu finden. Zwei Jahre darauf gab es auf der Show des gleichen Labels in den gleichen großen Tüten nur noch Flyer. Bedrucktes nutzloses Papier. Eingepackt in anderem bedruckten nutzlosen Papier. Das ist an Bösartigkeit kaum zu überbieten - wo man es doch endlich in die „Front Row" geschafft hat!
Nutzloses Papier, Karneval statt StreetstyleBerlin sieht sich als der Ort für die Messen, auf denen viele Geschäfte gucken und ordern - die „Premium", die „Bright", die „Bread & Butter" und all die anderen Nebenschauplätze. Von Jahr zu Jahr wurden die Hostessen und Verkäufer unmotivierter. Betrat man im „Goldenen Zeitalter" den Messestand eines Herstellers, kamen sofort zwei freundlich grinsende Menschen auf einen zu und tasteten dich mit dem Scanner ab. Mit jedem Pieps ihres Gerätes wusste man, dass man für ein oder zwei Häppchen und ein gesponsertes Getränk seine Seele an einen weiteren Newsletter verkauft hatte. Presse wurde zu dieser Zeit noch wie ein Übel behandelt, was zu ertragen ist: mehr oder weniger freundlich wurde der Schreiberling zur Seite geschoben, damit die Einkäufer Platz haben. Drei Zyklen später war das Messevolk schon redseliger. „Man kommt nur noch her, weil man muss. Geordert wird hier nichts." Ob ich ein Bier will? - Ja, ich wollte.
Ein anderes Gradmesser für die Popularität der „Fashion Week" sind jene, die ein bisschen Aufmerksamkeit erhaschen wollen. Die mit echt guten „Streetstyles" vor dem Zelt stehen und über die in den Blogs geschrieben wird. Die da oder die da. Dann diejenigen, die ein halbes Jahr überlegen was sie in der Woche anziehen, damit sie oft genug abgelichtet werden - um ihre fünfzehn Minuten Ruhm zu bekommen. Vielleicht auch sechzehn. 2014 kommt dann eine im Katzenkostüm an und stiehlt allen die Show. Noch Fragen?
Das Beste sind wohl für viele die Partys. Da treffen sich dann alle und machen sich gegenseitig die Taschen voll. Wie toll alles ist und war und wen man alles getroffen hat. Man selbst trägt die Kleidung eines befreundeten Berliner Jungdesigners. Der kann leider heute nicht hier sein, weil er eine blöde Schicht im Späti verpasst bekommen hat. Dafür trägt er morgen auf der Party, für die er mittels Beziehungen noch Gästeliste bekommen hat, deine Sachen. Toll so ein Netzwerk!
Natürlich berichtet das TV von der „Fashion Week": „Die Kessler-Zwillinge eröffnen die Show." Gemeint ist nicht das Dschungelcamp. „Der Tagesspiegel" will ebenfalls einen Verfall erkannt haben - überall hängen nur „Germanys Next Topmodel"-Menschen herum. Die waren aber auch schon immer da. Aber was zu denken gibt: Nicht mal mehr B-Prominenz lässt sich blicken. Das wird auch wohl so bleiben. Nächstes Jahr soll die „Fashion Week" zum Teil für alle geöffnet werden. Das ist wie Harakiri. Nur weniger ehrenvoll.
(Der Autor war Gründer und Chefredakteur bei dem Indie-Fashionmagazin „Querbinder" / Foto: © www.frankjohannes.com )