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Überfall wegen Kippa: "Ich dachte, in Berlin bin ich sicher"

Erst vergangene Woche hat der 21-jährige Adam A. seine Kippa geschenkt bekommen. Von einem jüdischen Freund. Mit dem Hinweis: Geh in Berlin nicht mit der Kippa auf die Straße, das könnte gefährlich sein. "Ich sagte ihm, dass das nicht stimmt, dass es hier sicher ist", erzählt der Israeli am Mittwoch der Berliner Morgenpost. Gerade im bürgerlichen Prenzlauer Berg, wo er seit einiger Zeit wohnt. Ein folgenschwerer Irrtum.

Die Tat, die sich am Dienstagabend im Ortsteil Prenzlauer Berg ereignete, ist in ihrer Brutalität schockierend. Ein Video, das sich rasend schnell im Internet verbreitete, zeigt, wie ein junger, dunkelhaariger Mann Adam A. immer wieder als "Yahudi" - arabisch für Jude - beschimpft und mit seinem Gürtel auf ihn einschlägt. Wer genau die Angreifer waren, darüber kann am Mittwoch nur spekuliert werden. Klar ist: Sie sprachen wohl arabisch untereinander, einer bezeichnete sich selbst als Palästinenser.

"Ich dachte, wenn er sieht, dass ich ihn filme, hört er auf"

Am Tag nach dem Angriff wirkt Adam A. aufgewühlt. Während des Gesprächs mit der Berliner Morgenpost im jüdischen Restaurant "Feinberg's" in Schöneberg klammern sich die Finger des jungen Israelis an seine Kippa. Doch er will in die Öffentlichkeit, will erzählen, was passiert ist. Die Geschichte geht so: Der junge Israeli geht gegen 20 Uhr mit einem Freund in der Raumerstraße in der Nähe des Helmholtzplatzes spazieren. Beide tragen eine Kippa, die kreisrunde Kopfbedeckung männlicher Juden.

"Es war ein Experiment, ich wollte sie tragen", sagt er. Plötzlich seien ihnen drei junge Männer gefolgt. "Auf Arabisch beschimpften sie uns als Juden, als Hurensöhne, als Schlampen", erinnert er sich. Als einer der drei Angreifer seinen Gürtel hervorzieht, rennt sein Kumpel davon. Adam A. aber holt sein Handy heraus. "Ich dachte, wenn er sieht, dass ich ihn filme, hört er auf." Doch der Angreifer macht weiter, erst ein Begleiter zieht ihn von seinem Opfer weg.

Viele Menschen waren am Dienstagabend auf der Straße, mindestens 50 waren ganz in der Nähe, sagt A. Fast alle blieben teilnahmslos, nur eine Frau schritt ein, schrie, dass jemand die Polizei rufen solle. Daraufhin rannten die drei Angreifer davon. Adam A. wollte sie noch verfolgen, wurde dann aber von einem der Männer mit einer Glasflasche angegriffen. Die Polizei bestätigte den Vorfall am Mittwoch.

Nicht der erste antisemitische Übergriff

Der Angriff auf Adam A. reiht sich ein in eine Reihe antisemitischer Übergriffe in Berlin. Im Dezember war ein 18 Jahre alter Abiturient an einem Gymnasium in Wedding massiv von Mitschülern arabischer Herkunft angefeindet worden. Auch das israelische Restaurant "Feinberg's", in dem A. sich am Mittwoch den Fragen der Presse stellte, war schon Ziel antisemitischer Übergriffe: Ebenfalls im Dezember verbreitete sich ein Video, das zeigt, wie ein älterer Mann Restaurantbesitzer Yorai Feinberg beschimpft. "In zehn Jahren lebst du nicht mehr", ruft er in dem Video. "Du kriegst deine Rechnung in fünf Jahren oder zehn Jahren - und deine ganze Familie und deine ganze Sippe hier!" Das Wort "Gaskammer" fällt.

Eine Freundin von Feinberg nahm die Hassrede mit dem Handy auf. Sie erklärte damals, dass es sich dabei nicht um einen Einzelfall handele: "Solche Angriffe passieren nunmehr fast täglich und sie werden immer intensiver. Die Täter verlieren ihre Scham, weil sie denken, sie könnten ihr wahres Gesicht hinter dem schönen Begriff der ,legitimen Israelkritik' verstecken." Bundesweit sorgte der Vorfall für Schlagzeilen.

"Seit damals haben wir viel Zuspruch bekommen, aber auch neue Hassbotschaften erhalten", sagt Feinberg der Morgenpost. Außerdem gab es neue antisemitische Attacken: So wurde sein Restaurant kürzlich mit Raketen beschossen. Auch seine Gäste wurden schon belästigt. Feinberg sagt, dass er trotzdem gern in Berlin wohne, diese Stadt liebe. Aber seit er vor sechs Jahren hierhergekommen ist, habe sich etwas verändert. "Wir entwickeln uns nach hinten", sagt er. Er fordert von der Politik, klarere Zeichen zu setzen.

"In den Schulen muss mehr Aufklärungsarbeit geleistet werden." Außerdem fordert er härtere Konsequenzen für Straftäter - für Menschen, die den Holocaust leugnen oder bei Demonstrationen Israel-Fahnen verbrennen. So wie es im Dezember am Brandenburger Tor geschah: Bei Protesten vor allem arabischer Gruppen gegen die Anerkennung von Jerusalem als Hauptstadt Israels durch die USA brannten israelische Flaggen.

Das neueste Opfer von Judenhass, Adam A., sitzt am Mittwoch mit einem Glas Wasser auf der Terrasse vor dem "Feinberg's". A. lebt seit drei Jahren in Deutschland, studiert an der Freien Universität Tiermedizin. Er stammt aus einer arabischen Familie, ist selbst kein Jude. Im israelischen Haifa ist er aber unter Juden groß geworden. "Ich hätte gedacht, Berlin ist sicher", sagt er. Er habe vorher einige Zeit in Rostock und Hannover gelebt, dort sei er ausländerfeindlich angegangen worden. Antisemitische Vorfälle habe er selbst bisher nie erlebt. Wenn er gefragt wird, ob sich die Situation für Juden in Deutschland geändert habe, seit er hier ist, sagt er: "Ja, ich glaube, die Situation für Juden ist schwieriger geworden in Deutschland."

Zahl der Straftaten steigt

Diese persönliche Einschätzung des jungen Israelis passt zu den neuesten Zahlen: Ebenfalls am Mittwoch wurde in Berlin der neue Antisemitismus-Report der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) veröffentlicht. Die Zahlen sind alarmierend: 2017 wurden in Berlin insgesamt 947 antisemitische Vorfälle erfasst. Das entspricht einem Zuwachs von mehr als 60 Prozent (2016: 590 Fälle). "Es handelt sich um die höchste Zahl von antisemitischen Vorfällen seit Beginn unserer Erfassung", teilt Projektleiter Benjamin Steinitz mit. RIAS erfasst auch Vorfälle, die keinen Straftatbestand darstellen.

"Fast 1000 bekannte Vorfälle. Das ist für uns Juden eine unerträgliche Situation und eine Entwicklung, die mir Sorgen macht", sagt der Berliner Gemeinderabbiner Yehuda Teichtal. Auf dem Weg zur Synagoge sei er schon beleidigt worden. Von Unbekannten, die ihm "Juden raus" zuraunten. Teichtal warnt eindringlich davor, lediglich von Einzelfällen zu sprechen. Immer wieder berichteten ihm Gemeindemitglieder von ähnlichen Vorfällen und ihrer Angst, jüdisches Leben offen zu zeigen. "Das ist genau der falsche Weg", sagt er. "Wenn wir anfangen, jüdisches Leben zu verstecken, haben die Antisemiten gewonnen."

Bereits im März hatte Teichtal in einem Brief an den Regierenden Bürgermeister Berlins, Michael Müller (SPD), von zunehmenden Problemen geschrieben. Damals wurde eine Zweitklässlerin in Tempelhof von Mitschülern bedroht. Müller hatte von einem "besorgniserregenden Vorfall" gesprochen, aber auch gesagt, dass "der hoffentlich nur ein Einzelfall ist und bleibt". Teichtal fordert die Politik nun erneut auf, klarer Position zu beziehen. "Man kann Antisemitismus nicht ignorieren. Dann wird es schlimmer."

Mehr Präventionsarbeit gefordert

Er fordert die Bildungsverwaltung auf, mehr für Prävention in Schulen zu tun, und spricht sich für härtere Strafen für Gewalttäter aus. "Antisemiten dürfen kein Bleiberecht bekommen." Müller verurteilte die Attacke auf A. am Mittwoch. "Antisemitismus gehört nicht zu Berlin", sagt der Regierende Bürgermeister. Er sei dankbar, dass jüdisches Leben wieder sichtbar in der Stadt ist: "Berlin ist die Stadt der Freiheit. Für diese streiten wir tagtäglich."

Die Jüdische Gemeinde ist trotz dieser Solidarität besorgt: "Antisemitismus findet wieder offener statt, ist gesellschaftstauglicher geworden als noch vor einiger Zeit", sagt Mike Samuel Delberg, Repräsentant der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.

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