Julian Weber

Freier Journalist, Heidelberg

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Heidelberg: Tagung zur Christenverfolgung im Orient

Michael Rabo (l.) zeigt Prof. Werner Arnold die Ausstellung "Der Völkermord von 1915 an den Aramäern ...". Foto: Rothe

Von mehr als einem Dutzend Staaten werden die Aktionen als Völkermord gewertet - Christenverfolgung "heute bereits wieder Realität"

Im Jahr 1915 wurden auf dem Gebiet der heutigen Türkei Hunderttausende Menschen getötet. Auch 100 Jahre später werden Christen im Vorderen Orient immer noch verfolgt. Im Gedenken an die Gräueltaten veranstaltet die Universität am Wochenende eine Tagung zum Thema "Verfolgt und Vertrieben: Christen im Vorderen Orient 1915 - 2015". Die renommierten Wissenschaftler aus Europa, Syrien und dem Libanon wollen sich auch mit der aktuellen Situation von Christen im Vorderen Orient befassen.

"Die Ereignisse von damals sind vor dem Hintergrund der kriegerischen Konflikte im Nahen Osten aktueller denn je. Gerade erleben wir wieder, wie Christen dort massiv unterdrückt, verfolgt und aus ihrer Heimat vertrieben werden", sagte Professor Werner Arnold. Er leitet die Abteilung für Semitistik des Seminars für Sprachen und Kulturen des Vorderen Orients der Universität Heidelberg. 

Die Verfolgung von Christen wirkt sich auch auf die Konferenz aus. Am Samstag hätte der Metropolit der syrisch-orthodoxen Erzdiözese Homs und Hama als Augenzeuge über den Terror des "Islamischen Staates" (IS) berichten sollen. Weil in seiner Diözese eine Stadt vom IS angegriffen wurde, musste er allerdings Anfang der Woche wieder zurück nach Syrien reisen. "Der Erzbischof hat mir erzählt, dass das, was vor 100 Jahren geschehen ist, in seiner Diözese bereits wieder Realität ist", berichtet der Vorsitzende des Bundesverbandes der Aramäer in Deutschland, Daniyel Demi.

"Mit dem im Osmanischen Reich verübten Völkermord 1915 wurden die blühenden Kulturen der Aramäer und der Armenier im Vorderen Orient ausgelöscht", so Arnold. Begründet worden seien die Deportationen und Tötungen im Schatten des Ersten Weltkriegs damit, dass die Armenier an der Seite des Kriegsgegners Russland stünden. Somit galten alle Christen als Verräter.

Zu Beginn des Ersten Weltkrieges waren etwa ein Drittel der 13 Millionen Einwohner des Osmanischen Reichs Christen. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge kamen bis zu 1,5 Millionen Armenier und 350 000 Griechen ums Leben. Von den 750 000 Aramäern lebte nach 1915 nur noch etwa ein Drittel in Mesopotamien. Auch 100 Jahre später bergen die Gräueltaten ein großes Konfliktpotenzial. Von mehr als einem Dutzend Staaten werden die Aktionen als Völkermord gewertet. Der Rechtsnachfolger des Osmanischen Reichs, die heutige Türkei, widerspricht diesen Ansichten aber vehement.

Das Jahr 1915 trägt auf Aramäisch die Bezeichnung "Sayfo". Das bedeutet so viel wie "Jahr des Schwertes". "Der Begriff Sayfo ist für uns sehr wichtig, da er sowohl den Völkermord als auch die Identität der Aramäer widerspiegelt", erklärt Michael Rabo. Der 24-jährige Lehramtsstudent ist Vorsitzender des Vereins "Kreis Aramäischer Studierender Heidelberg". Heute leben etwa 250 000 Aramäer in europäischen Staaten, davon circa 100 000 in Deutschland. Der Verein hat nicht nur die Tagung und die Gedenkfeiern mit vorbereitet, sondern auch eine Ausstellung zu dem Thema erstellt. Sie ist bis Ende nächster Woche im Foyer der Neuen Universität zu sehen.

Die öffentliche Tagung findet am kommenden Samstag, 7. November, im Hörsaal 10 der Neuen Universität statt. Ab 9 Uhr beschäftigen sich die Wissenschaftler mit dem Völkermord an den Christen im Osmanischen Reich 1915, der aramäischen Sprache und der Lage der orientalischen Christen heute. Um 19 Uhr findet in der Alten Aula der Universität eine Gedenkfeier statt. Ein ökumenischer Gottesdienst in der Peterskirche bildet am Sonntagmorgen um 10 Uhr den Abschluss der Gedenkfeier.

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