ZEIT ONLINE: Herr Hartmann, Sie erforschen die Elite. Aber wer zählt denn überhaupt dazu?
Michael Hartmann: Die Kern-Elite in Deutschland umfasst rund 1.000 Personen. Das sind alle die, die gesellschaftliche Entwicklungen über ihr Amt oder ihr Eigentum maßgeblich beeinflussen können: Minister, Staatssekretäre, Richter am Bundesverfassungsgericht, Spitzenmanager, Großunternehmer, aber auch Herausgeber und Chefredakteure von Zeitungen und Zeitschriften oder die Wissenschaftler an der Spitze der großen Wissenschaftsorganisationen.
ZEIT ONLINE: Welche Faktoren entscheiden darüber, ob jemand den Aufstieg nach ganz oben schafft?
Michael Hartmann: Zunächst: Wer in die Elite will, muss an die Universität. Über 90 Prozent der deutschen Eliten haben heute einen Hochschulabschluss. Aber sobald der Hochschulabschluss in der Tasche ist, zählt vor allem der richtige Stallgeruch. In der Soziologie nennen wir das Habitus: Das Wissen um die versteckten Regeln und Mechanismen an der Spitze, um das, was dort en vogue ist, ein breiter bildungsbürgerlicher Horizont, souveränes Auftreten. Das bevorzugt Kinder aus dem Bürger- und Großbürgertum.
ZEIT ONLINE: Kann man sich dieses Verhalten nicht antrainieren?
Michael Hartmann: Das ist ziemlich schwierig. Welche Kleidung angesagt ist und wie Hummer gegessen wird, kann noch vergleichsweise schnell einstudiert werden. Aber der breite bildungsbürgerliche Horizont, der Kindern aus dem Bürger- und Großbürgertum über Jahre vermittelt wird, ist nur mühsam aufzuholen. Ganz zu schweigen von der Selbstverständlichkeit, mit der gerade Kinder aus dem Großbürgertum agieren. Das ist ein zentrales Unterscheidungsmerkmal zu Arbeiterkindern. Wer aus dem Großbürgertum stammt, kann und weiß auch nicht alles, was in Spitzenpositionen wichtig ist. Aber er kann souverän mit Defiziten umgehen.
ZEIT ONLINE: Gibt es Eliten, in denen der Habitus nicht so viel zählt?
Michael Hartmann: Die politischen Eliten sind besonders durchlässig. Dort stammen etwa 50 Prozent der Spitzenkräfte aus dem Bürger- oder Großbürgertum. In Justiz und Verwaltung liegt der Anteil bei knapp zwei Drittel, in der Wirtschaft bei rund 80 Prozent. In den Eliten aus Wissenschaft und Medien sind es um die 60 Prozent.
ZEIT ONLINE: Haben diese Leute eigentlich alle teure Privatunis besucht?
Michael Hartmann: Privatuniversitäten spielen bei der Elitenbildung in Deutschland beinahe keine Rolle. Und ihre Bedeutung wird sich aufgrund der Exzellenzinitiative noch weiter verringern. Die neuen Elite-Universitäten wie Heidelberg, München oder Aachen haben eine Tradition und Reputation, die die Privaten nie aufholen werden. Und durch die Exzellenzinitiative haben sie nun außerdem die finanziellen Mittel, um sich von Privaten noch deutlicher abzusetzen.
ZEIT ONLINE: Elite-Universitäten stehen jedem offen. Schafft die Exzellenzinitiative also mehr Chancengleichheit?
Michael Hartmann: Nein, die Exzellenzinitiative wird die Elitenbildung in Deutschland noch ein Stück ungerechter machen. Eliten in Deutschland werden in Zukunft vorwiegend über diese Universitäten rekrutiert werden. Und der internationale Vergleich zeigt, dass solche Leuchtturm-Hochschulen in erster Linie die locken und fördern, die wohlhabende und erfolgreiche Eltern haben, Kinder aus dem Bürger- und Großbürgertum. Herkunft und nicht Leistung ist ausschlaggebend für die Aufnahme.
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