Julian Dorn

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Tote Neugeborene: Die Anklage lautet auf Mord

Die Anruferin in der Notrufzentrale sprach von „Babyleichen": Als am 13. November 2015 der Notarzt zu dem grauen Haus an der Jakob-Degen-Straße in der nordbayerischen Stadt Wallenfels ausrückte, stellten sich die Einsatzkräfte schon auf das Schlimmste ein - doch die Befürchtungen wurden noch übertroffen.

In einer Abstellkammer fanden sie die sterblichen Überreste von acht Säuglingen, eingewickelt in Plastiktüten und Tücher, stark verwest. Eine misstrauisch gewordene Nachbarin hatte die Toten entdeckt und die Rettungskräfte alarmiert. Die Kindsmutter, die 45 Jahre alte Andrea G., wurde noch am selben Abend in einer Pension in Kronach festgenommen. Sie gestand, „einige Kinder" lebend zur Welt gebracht und dann getötet zu haben.

Fast fünf Monate nach dem Fund der toten Kinder erhebt die Staatsanwaltschaft Coburg nun Anklage gegen die Mutter wegen vierfachen Mordes. „Bei vier der Säuglinge konnte nicht geklärt werden, ob sie tatsächlich lebten und auch lebensfähig gewesen sind", sagt der Coburger Staatsanwalt Christian Pfab.

„Wollten Leben uneingeschränkt fortführen"

Ihr Ehemann Hans G., der auch der Vater der toten Säuglinge ist, wurde wegen Beihilfe zum Mord angeklagt, „allerdings ohne an den Tathandlungen selbst beteiligt gewesen zu sein". Beide sollen aus niederen Beweggründen gehandelt haben. „Sie wollten ihr Leben uneingeschränkt von anderen Kindern fortführen", sagt Staatsanwalt Pfab. Die Frau sitzt weiter in Untersuchungshaft, ihr mitangeklagter Ehemann befindet sich auf freiem Fuß.

Das Paar lebte schon mit sieben Kindern und der Mutter des Manns in dem zweistöckigen Haus in Wallenfels - beide brachten jeweils zwei Kinder in die Ehe, gemeinsam haben sie noch drei jugendliche Mädchen. Die Familie habe ein unauffälliges Leben in der Stadt mit 2800 Einwohnern geführt, hieß es damals von Anwohnern. Der Familienvater war gut integriert, mit vielen im Ort befreundet, in Vereinen aktiv. Die Mutter wurde als lebenslustige Frau beschrieben, die gern ausgegangen sei. Sie habe sich um ihre Kinder liebevoll gekümmert, wurde damals eine Anwohnerin zitiert.

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In der Ehe habe es jedoch schon lange Zeit gekriselt. Im September des vergangenen Jahres sei Andrea G. dann aus dem gemeinsamen Haus aus- und zu ihrem neuen Freund in einen anderen Ort gezogen. Wie die Eltern sowohl die Schwangerschaften als auch die Taten, die sich laut Pfab im Zeitraum von 2003 bis 2013 ereignet haben sollen, geheim halten konnten, ist nicht geklärt. Man habe ihr die Schwangerschaften nicht angesehen, sagte eine Nachbarin damals dieser Zeitung. „Sie woar hoid scho immer a weng korpulent." Außerdem habe Andrea G. immer weite Oberteile getragen, ergänzte eine andere.

Eine Mutter, die ihre Kinder tötet, gilt als unvorstellbar. Und doch kommt es vor. Im Jahr 2005 wurde eine Zahnarzthelferin in Brandenburg überführt. Sie hatte aus Angst um ihre Ehe neun Säuglinge in Blumenkübeln verscharrt und wurde zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Ob die Anklage gegen Andrea und Hans G. zugelassen wird, muss nun das Landgericht Coburg entscheiden.

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