Julian Dorn

Frankfurter Neue Presse vorher: Süddeutsche Zeitung und FAZ, Frankfurt

2 Abos und 2 Abonnenten
Artikel

Studie des WWF: Die Hälfte des Weltnaturerbes ist in Gefahr

Eine aktuelle Analyse des World Wide Fund For Nature (WWF) zeichnet ein düsteres Szenario. Nach einer Studie der Dalberg Global Develop Advisors im Auftrag der Naturschutz-Organisation ist rund die Hälfte der insgesamt 229 Weltnaturerbe-Stätten „existentiell" bedroht. Für den Bericht wurden die wirtschaftlichen und industriellen Aktivitäten in und um die Weltnaturerbe-Stätten ausgewertet, die mit annähernd 28 Millionen Quadratkilometern etwa 0,5 Prozent der Erdoberfläche umfassen.

„Am stärksten gefährdet werden die Stätten durch Öl- und Gasbohrungen, Bergbau, illegale Rodungen oder auch den Bau von Straßen und Häfen", sagt Günter Mitlacher vom WWF Deutschland dieser Zeitung. In den vergangenen Jahren habe sich die Lage insbesondere in Zentral- und Südafrika, wo mittlerweile etwa 70 Prozent des Erbes auf dem Spiel stehe, in Südasien mit 58 Prozent und der Pazifikregion mit 55 Prozent an gefährdeten Gebieten dramatisch zugespitzt, so Mitlacher.

Ob und wie umfassend die Naturerbe-Stätten geschützt würden, sei abhängig von der nationalen Gesetzgebung. „Leider scheint bei vielen Regierungen das Profitdenken zu dominieren und der Naturschutz ins Hintertreffen zu geraten", meint Mitlacher. So würden oftmals bedenkenlos staatliche Konzessionen für Explorationsbohrungen und Ölförderung in und um geschützte Gebiete an internationale Konzerne vergeben.

Mehr zum Thema

Mit der Studie solle nun der öffentliche Druck auf die Regierungen intensiviert werden, sagt Mitlacher, damit diese ihr Naturerbe effektiver schützen. Banken und Finanziers dürften „zerstörerischen Entwicklungsprojekten" nicht mehr länger Kredite einräumen, fordert er. „Gesetzeslücken müssen endlich geschlossen und der Industrie Grenzen aufgezeigt werden."

Wie die Unesco auf Nachfrage mitteilte, gebe es jedoch bereits einige Fortschritte beim Schutz der Weltnaturerbe-Stätten. Im Januar vergangenen Jahres gab die Regierung von Kiribati beispielsweise bekannt, dass ihre Welterbe-Stätte - eine der größten auf der Unesco-Welterbeliste - von der Fischerei ausgenommen werde. Im Mai entschied die Firma Shell, Ölbohrungen in der Tschuktschensee einzustellen, da sie das Naturreservat Wrangel-Insel in Russland bedrohten. Im Dezember beschloss die Regierung von Belize ein dauerhaftes Verbot der Ölgewinnung in ihrer Welterbe-Stätte.

Doch das reiche nicht aus. Mittlerweile sei auch das Wattenmeer in Deutschland bedroht, sagt Günter Mitlacher vom WWF. In dessen unmittelbarer Nähe werde seit Jahren auf einer Bohrinsel Öl gefördert. „Die Gefahr eines Ölunfalls mit fatalen Folgen für das Wattenmeer ist ständig präsent". Dennoch stelle man immer neue Anträge für Testbohrungen, das Risiko werde auch hierzulande oft in Kauf genommen.

Allerdings gefährde nicht nur die Industrie die Gebiete, betont die Unesco, sondern auch der Klimawandel. So könne das Wattenmeer durch den Anstieg des Meerwasserspiegels langfristig sogar zerstört werden. Dabei seien die Weltnaturerbe-Stätten gerade im Kampf gegen die Erderwärmung von großer Bedeutung, da sie hohe Mengen an Treibhausgasen speicherten - allein die tropischen Wälder nähmen etwa 5,7 Milliarden Tonnen Karbon auf.

Außerdem bilde das Naturerbe einen wesentlichen Wirtschaftsfaktor. So ziehen beispielsweise das Great Barrier Reef, die Galapagos-Inseln oder der Grand Canyon jährlich Millionen Touristen an. Die Stätten sicherten Arbeitsplätze, böten bedrohten Tierarten einen Lebensraum und seien auch für den Menschen von existentieller Bedeutung - etwa als Garanten der Wasserversorgung, sagt Mitlacher. Zwei Drittel der Naturerbe-Stätten sind bedeutende Wasserquellen. Kapstadt in Südafrika ist beispielsweise auf das Wasser aus der Schutzregion Cape Floral angewiesen und der Morne Trois Pitons Nationalpark in Dominica stellt 60 Prozent des Wassers für die umliegenden Gemeinden bereit.

Laut Unesco trägt überdies etwa die Hälfte des Weltnaturerbes zum Schutz vor Naturkatastrophen bei. Die Mangrovenküste in Indien und Bangladesch verhindere beispielsweise Fluten - eine menschliche Schutzmaßnahme dieser Art würde 300 Millionen Dollar kosten. „Für etwa elf Millionen Menschen ist das Naturerbe damit die Existenzgrundlage," sagt Günter Mitlacher.

Zum Original