Vor acht Jahren begann Iztok Hartmut O.s Versteckspiel. Er gab sich große Mühe, seinen Verfolgern immer einen Schritt voraus zu sein. O. wechselte die Autos, fälschte Nummernschilder, besprühte Überwachungskameras mit Farbe und zog die Mütze beim Tanken tief ins Gesicht. Der heute 46 Jahre alte Mann hat seit 2000 keinen festen Wohnsitz mehr, lebte abwechselnd in Schleswig-Holstein und Hamburg. Nur für seine Taten soll er in die Gegend um seine Heimatstadt Siegen in Nordrhein-Westfalen zurückgekehrt sein. Genutzt hat es ihm am Ende nichts. O., ein Mann mit breiten Schultern und muskulösen Oberarmen, in weißem Hemd und olivgrüner Jacke, sitzt nun auf der Anklagebank vor dem Siegener Landgericht. Er wendet sich gelegentlich seinem Verteidiger zu.
Der Angeklagte, der die Haare kurz geschnitten und einen Dreitagebart trägt, muss sich wegen einer Serie von Sprengstoffattacken auf Geldautomaten in fünf Bundesländern vor der Großen Strafkammer verantworten. Die Anklage lautet auf mehrfachen schweren Diebstahl und Herbeiführen von Explosionen. Mit einem Gas-Luft-Gemisch soll er über einen Zeitraum von acht Jahren immer wieder Geldautomaten in die Luft gejagt und geplündert haben. Der Staatsanwalt wirft ihm ein Dutzend Taten in Schleswig-Holstein, Hamburg, Rheinland-Pfalz, Hessen - und immer wieder im Raum Siegen vor.
Rund 230.000 Euro in acht Jahren erbeutetAber die Höchststrafe von 15 Jahren scheint der Angeklagte nun nicht mehr befürchten zu müssen, der zweite Prozesstag beginnt mit einem Handel: Die Vorsitzende Richterin verliest ein Übereinkommen zwischen Strafkammer, Verteidigung und Staatsanwaltschaft. Die Prozessbeteiligten einigten sich vor der Verhandlung darauf, dass im Falle eines umfassenden Geständnisses des Angeklagten eine Freiheitsstrafe zwischen sechs Jahren und acht Monaten und sieben Jahren und drei Monaten in Betracht käme. Auch könne man dann das Verfahren wegen zusätzlicher Tankbetrügereien einstellen. Auf die Frage, ob er mit der Übereinkunft einverstanden sei, zögert der Angeklagte kurz, fährt sich mit der Hand durch den Bart, nickt dann und flüstert ein Ja ins Mikrofon. Sein Anwalt kündigt daraufhin an, dass er am nächsten Prozesstag ein Geständnis seines Mandanten verlesen werde, der alle ihm zur Last gelegten Taten gestehen wolle.
Die Serie von Sprengungen begann wohl in der Nacht zum 22. November 2007 bei der Volksbank Mudersbach in Rheinland-Pfalz. Danach detonierten regelmäßig Geldautomaten. Immer wieder wird ein bulliger Mann, bekleidet mit grauem Kapuzen-Sweatshirt, grau weiß kariertem Hemd, in einer Tarnhose und mit einer schwarzen Sturmhaube, von Überwachungskameras erfasst. Sie dokumentieren, dass er bei seinen Taten stets stoisch vorging. Der Mann schlug nachts zu, meistens zwischen zwei und vier Uhr. Er leitete zunächst eine explosive Luft-Gas-Mischung in den Geldautomaten, legte mit Bremsenreiniger eine flüssige Lunte, zündete sie an und wartete vor der Tür der Filiale auf die Detonation. Noch bevor sich die Schuttwolke gelichtet hatte, betrat der Täter wieder den Tresorraum, packte sich den Metallbehälter mit den Geldkassetten und lud sie nach Aussage von Zeugen meist in einen silberfarbenen Audi S8 mit verchromten Außenspiegeln. Zurück ließ er stets Trümmerfelder. In einem Fall flogen Splitter eines Wintergarten-Vorbaus, in dem der Automat stand, 20 Meter weit. Ein anderes Mal dehnte sich die Druckwelle nach hinten in einen Tresorraum aus und richtete immensen Schaden an. Insgesamt summierten sich die Gebäudeschäden auf fast eine halbe Million Euro.
Beute machte der „Gasmann", wie ihn die lokale Presse bald taufte, selten, weil die Technik der Automaten meist standhielt. Mit einigen Ausnahmen: Laut Anklage erbeutete er an einem Automaten an der Universität Siegen fast 100.000 Euro, an einem in Hamburg 80.000 Euro. Seine wohl letzte Tat beging O. im Juni 2015 - wieder im Kreis Siegen-Wittgenstein: Mitten in der Nacht explodierte ein EC-Automat in der Autobahnraststätte Siegerland-Ost an der Autobahn45. Danach hatte er bei seinen acht Jahre andauernden Raubzügen insgesamt rund 230.000 Euro erbeutet.
Vom Architekturstudenten zum kriminellen OutlawDass dabei niemand verletzt wurde, müsse man dem Angeklagten zugutehalten, hatte sein Verteidiger schon beim Prozessbeginn gesagt. Der Staatsanwalt ist hingegen davon überzeugt, dass das weniger dem Angeklagten als vielmehr dem Zufall zu verdanken sei. Ein Polizeibeamter, der als Erster an einem der Tatorte eingetroffen war, sagt vor der Strafkammer aus, dass es wie bei einem großen Verkehrsunfall ausgesehen habe. „Überall Glassplitter, ein Wunder, dass niemand verletzt oder getötet wurde."
O. konnte seine zerstörerischen Taten jahrelang unerkannt begehen, bis ihm seine Vorliebe für schnelle Autos schließlich zum Verhängnis wurde. Mit seinem 300 PS starken silbernen Audi S8 tankte er immer wieder in Hessen, Rheinland-Pfalz und bei Hamburg, ohne zu zahlen. Ein Zeuge aus Siegen erkannte ihn und seinen Wagen auf Aufnahmen der Überwachungskamera einer Tankstelle. Nun hatte die Kriminalpolizei einen Namen und eine Lebensgeschichte zu dem Gesicht: Iztok Hartmut O., geboren am 4. Februar 1970, der in Siegen Architektur studierte und im Jahr 2000 nach Hamburg umzog.
Und doch entging der Angeklagte weiter seiner Verhaftung. Den entscheidenden Hinweis bekam die Polizei erst, nachdem sie zum dritten Mal in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY...ungelöst" nach ihm gefahndet hatte. In Hamburg fand man daraufhin seinen Audi und zudem Hinweise auf eine von O. gemietete Lagerhalle im Stadtteil Niendorf. Dort nahm ein Spezialeinsatzkommando Iztok Hartmut O. am 26. November 2015 fest. Seitdem sitzt er in der Justizvollzugsanstalt Attendorn in Untersuchungshaft. Der Prozess wird am 6. Juni fortgesetzt. Das Urteil wird für den 21. Juni erwartet.