Julian Dörr

Freier Journalist, Saarbrücken

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Artikel

Männer können und sollen Feministen sein

Auch der Terrorist von Hanau ist einer dieser Männer. Einer, der Frauen die Schuld gibt an den vermeintlichen Problemen dieser Welt. Einer, der sich betrogen fühlt um etwas, das ihm angeblich zusteht. Männer wie die Terroristen von Halle, von Christchurch oder Anders Breivik, der Mörder von Utøya. Sie alle verknüpften in ihren Manifesten und Botschaften rechtsextreme und rassistische Ideologie mit frauenfeindlichem und antifeministischem Gedankengut. Sie glaubten an die Verschwörungstheorie vom „großen Bevölkerungsaustausch": Für den Terroristen von Halle ist der Feminismus schuld an der sinkenden Geburtenrate im Westen, die wiederum Ursache für eine „Massenimmigration" sei. „Feministinnen" seien für die „Zerstörung der norwegischen Gesellschaft" verantwortlich, schrieb Anders Breivik, sie würden „politische Korrektheit und muslimische Immigration befürworten". Und weiter: Das „Schicksal der europäischen Zivilisation" hänge davon ab, „wie standhaft europäische Männer dem politisch korrekten Feminismus widerstehen".

Sicher, es handelt sich bei diesen Männern um Extremfälle. Einzeltäter aber sind sie keineswegs. Ihre rassistische und antifeministische Ideologie ist einem gesellschaftlichen Nährboden entwachsen. Und den hat nicht erst die AfD bereitet.

Der reaktionäre Rückstoß und das Aufbegehren der Privilegierten sind so alt wie der Kampf für die Rechte von Frauen und anderer marginalisierter Gruppen selbst. So gründete sich zum Beispiel schon im Jahr 1912, sechs Jahre vor der Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland, der „Deutsche Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation". Ein Zusammenschluss von Antifeministen, Deutschnationalisten, Rassisten und Antisemiten. Bürgerliche Herren, die sich schon damals um einen vermeintlichen Geburtenrückgang als Folge der Emanzipation sorgten.

Was darf Mann heute noch?

Der Widerstand gegen den Feminismus ist eine Konstante in der Geschichte dieses Landes, er zieht sich durch die Jahrzehnte und die unterschiedlichen Wellen der Frauenbewegung. Vor allem die männliche Abwehrhaltung gegenüber Feminismus und seinen Befürworter*innen ist tief verwurzelt. Sie äußert sich in körperlicher und psychischer Gewalt, aber auch in Skeptizismus und Ignoranz. Gerade in der #MeToo-Debatte und den nachfolgenden Diskussionen über sexualisierte Gewalt trat eine Vorstellung sehr häufig zutage: Feminismus als Verbotsideologie, als Geschlechterkampf. In den Augen vieler Männer ist Feminismus noch immer eine ominöse Instanz, die ihnen mal dies untersagen will, mal jenes. Sie seien verunsichert, sagen sie, und fragten sich: Was darf Mann überhaupt noch?

Nun, Mann darf sehr viel. Vor allem wenn er weiß, cis und heterosexuell ist und damit zu der in vielerlei Hinsicht privilegiertesten Personengruppe in unserer Gesellschaft gehört. Viele Männer - nicht alle - erfahren in diesem Land genau deshalb keine strukturelle Diskriminierung. Sie profitieren vielmehr von patriarchalen Strukturen, im Berufsleben wie im Alltag. Männlichkeit wird in unserer Gesellschaft - genauso wie Weißsein - noch immer als „Norm" angesehen. Das ist auch der Grund, warum sich viele Männer schwer tun, Sympathie oder gar Solidarität zu entwickeln für eine Bewegung, die eben diese diskriminierenden Strukturen angreift, von denen sie profitieren.

Sollten Männer solidarisch sein mit dem Feminismus?

Lassen Sie es mich mal anders formulieren: Sollten Männer solidarisch sein mit einer Bewegung, die sich in ihrer besten intersektionalen, kapitalismuskritischen und antirassistischen Version für die Rechte diskriminierter und marginalisierter Personen einsetzt, die soziale Gerechtigkeit anstrebt und die Herrschafts- und Machtverhältnisse kritisiert, die so viele Probleme in unserer Welt verursachen?

Denn genau dafür steht Feminismus heute - wenn er es wirklich ernst meint. Es geht eben nicht nur um Fragen der Geschlechtergerechtigkeit. Es geht um die großen Probleme unserer Zeit. Um den rassistischen Terror weißer Männer, um die Zerstörung des Planeten und die Klimakrise, um die Ausbeutung des Globalen Südens für den Reichtum des Globalen Nordens, um ungerechte Wohlstandsverteilung zwischen den 99 Prozent und dem 1 Prozent der Gesellschaft.

Feminismus ist Befreiung

Die Fragen, die Feminismus heute stellt, sind klassische linke Fragen nach sozialer Gerechtigkeit. Das allein sollte Grund genug sein, ihn zu unterstützen - auch für Personen, die nicht unmittelbar von unterdrückenden und diskriminierenden Strukturen betroffen sind. Feminismus ist keine Verbotsideologie. Im Gegenteil. Das Ziel des Feminismus ist die Befreiung. Von eben jenen sexistischen, rassistischen, klassistischen Strukturen, die die Machtverhältnisse in der Gesellschaft ordnen. Und dazu gehören auch traditionelle und limitierende Geschlechterrollen. Geschlechterrollen, die Frauen auf ihre sozialen und fürsorglichen Kompetenzen reduzieren und die Care-Arbeit als typisch weibliches und schlecht bis überhaupt nicht bezahltes Beschäftigungsfeld definieren.

Aber auch Männer leiden unter der einengenden Vorstellung von patriarchaler Männlichkeit. Auch heute werden sie in vielen Fällen als Besserverdienende - der Gender Pay Gap klafft weiterhin - auf ihre Rolle als Brötchenverdiener reduziert, der arbeiten und leisten soll. Platz für eine ganzheitliche, fürsorgliche Vaterrolle lässt die in unserer Gesellschaft dominierende Vorstellung von Männlichkeit nicht. „Echte Männer" zeigen keine Schwäche. Emotionen gelten als unmännlich - mit Ausnahme von Wut und Aggression. Gewalt ist das gesellschaftlich akzeptierte Ventil des männlichen Gefühlshaushalts.

Wozu das führt, zeigen Statistiken zur Gewalt gegen Frauen. Jeden Tag versucht in Deutschland ein Mann, seine Partnerin zu töten. Jeden dritten Tag gelingt es ihm. Das sind keine „Familiendramen" oder „Beziehungstragödien", wie viele Medien noch immer schreiben und berichten, sondern Femizide. Morde an Frauen, weil sie Frauen sind. Aber nicht nur sie trifft die Gewalt von Männern. Männer selbst sind die größte Opfergruppe von Gewalt - eben durch andere Männer. Männer haben häufiger Unfälle, sie gehen seltener zum Arzt. Depressionen bleiben bei Männern zu einem großen Teil undiagnostiziert. Die Suizidrate in Deutschland ist unter Männern dreimal so hoch wie unter Frauen. Wenn Männer sich für Feminismus einsetzen, können sie also auch an einem neuen, gesünderen, weniger lebensbedrohlichen Verständnis von Männlichkeit arbeiten.

Sollen Männer also Feministen sein?

Ja, unbedingt. Aber: Es kommt auf das Wie an. Ich persönlich habe meine Probleme mit dem Label Feminist, das sich viele linksliberale, bürgerliche Männer allzu voreilig an die eigene stolze Brust heften, weil sie jetzt eine Tochter haben und wollen, dass sie später mal genauso viel verdient wie der nächstbeste Typ. Immer wieder werden Männer heutzutage für minimalfeministische Positionen gefeiert, die mehr Selbstverständlichkeit als politisches Statement sind.

Wenn Männer sich als Feministen bezeichnen, darf das also nicht zu einem Lippenbekenntnis verkommen. Dahinter steckt eine Menge Arbeit. Und die müssen und sollen Männer ganz alleine leisten. An erster Stelle steht dabei, die eigenen Privilegien und die eigene Position in einer Welt zu hinterfragen, in der sie - oft unbewusst - leichter und weiter vorankommen. Die wichtigste Frage, die sich Männer, die feministisch aktiv werden wollen, stellen sollten: Wann nehme ich als privilegierte Person Raum ein, um ein wichtiges Anliegen voranzubringen, und wann nehme ich Raum weg, den ich besser einer marginalisierten Person überlassen sollte? Es ist ungemein wichtig, die Aufklärung über und die Arbeit an diskriminierenden Strukturen nicht alleine auf den Schultern der Menschen zu verteilen, die sowieso schon unter diesen Strukturen leiden. Für Männer aber heißt das in erster Linie erst einmal: zuhören, sich weiterbilden, lesen. Ein Buch von Audre Lorde zum Beispiel. Oder The Will To Change von bell hooks. Und dann rausgehen und handeln. Sexistisches Verhalten als das bezeichnen, was es ist. Andere Männer ansprechen, mit ihnen reden. Und vor allem: keine Schulterklopfer und Danksagungen von Frauen erwarten, nur weil man die richtige Sache tut.

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