Julian Budjan

Freier Journalist, Düsseldorf

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Nicht reif für englische Wochen

Gegen Hertha nicht gezündet wie üblich: Leon Bailey (links, im Duell mit Berlins Vladimir Darida). (Foto: Patrick Stollarzt/AFP)

Unter der Woche war es Leverkusen im Pokal noch gelungen, einen Rückstand zu drehen. Doch gegen die Berliner Hertha fehlen Gedankenschnelle, Genauigkeit und lange Zeit auch die Ideen von Leon Bailey.

Die Szene, die sich nach etwas mehr als einer Stunde in der BayArena abspielte, hatte schon etwas von American Football. Eine Mauer aus zehn Spielern in blauen Trikots, in ihrer Mitte einer in Gelb, hatte sich auf der eigenen Torlinie gebildet. Die Berliner erwarteten mit grimmiger Miene und in Lauerstellung die Ausführung eines indirekten Leverkusener Freistoßes aus wenigen Metern. Ganz so, als wollten sie ihrem Gegner entgegenschreien: "Der Ball kommt heute nicht an uns vorbei!" Und tatsächlich: Mit vereinten Kräften verhinderten mehrere Spielerbeine, die Latte und der Torwart den Torerfolg Leverkusens.

Diese kuriose Situation, in der der Ball slapstickartig durch den Strafraum sprang und Herthaner übereinander purzelten, täuscht. Denn keineswegs ermauerten die Berliner sich ihren 2:0-Erfolg in Leverkusen - den ersten seit zehn Jahren bei Bayer und den ersten im Jahr 2018. Vielmehr störten sie das Offensivspiel des Gegners immer wieder maßgeblich, hinderten den drittbesten Angriff der Liga daran, sich zu entfalten, und waren auf der anderen Seite enorm effizient beim Verwerten ihrer Möglichkeiten. "Eiskalt" (Kevin Volland) und "clever" (Lars Bender) waren zwei der Prädikate, mit denen die Hertha hernach von ihrem Gegner ausgezeichnet wurde. Berlins Trainer Pal Dardai lobte: "Das war ein top Spiel von uns."

Doch es wirkte mitunter auch so, als sei Leverkusen nicht ganz bei der Sache und als wirke das kräftezehrende Pokalspiel über 120 Minuten unter der Woche gegen Bremen (4:2) noch nach. "Wir müssen solche Spiele schneller wegstecken, wenn wir am Ende auf den internationalen Plätzen stehen wollen", forderte Trainer Heiko Herrlich. Schließlich würden englische Wochen dann zur Regel.

Baileys Einwechslung lässt die Fans hoffen, kurz darauf verstummen sie

Zwar spielte sich Bayer über die rechte Seite immer wieder in Strafraumnähe, allerdings kamen die Flanken von Benjamin Henrichs und Karim Bellarabi, auch die von Julian Brandt über linke Seite, selten an. Nur einmal wurde es brenzlig, als Lucas Alario in der Anfangsphase an einem Zuspiel von Bellarabi vorbeirutschte. Volland, der später immerhin die Latte traf, kritisierte "unsauberes Passspiel und Ballannahme".

Dem Leverkusener Offensivspiel fehlte es dabei nicht nur an Genauigkeit und Tempo, sondern augenscheinlich auch an der gedanklichen Schnelligkeit: Der sonst so hochgelobte Bayer-Angriff hatte kaum Ideen, um sich an der Berliner Abwehrreihe vorbeizuspielen, Abschlussversuche aus der zweiten Reihe wurden immer wieder von Herthanern unterbunden. Der quirlige Leon Bailey, das Gesicht des Leverkusener Erfolgs der vergangenen Wochen mit zuletzt vier Toren aus fünf Spielen, wurde schmerzlich vermisst. Er nahm, müde von den Strapazen des Pokalabends, wie Wendell und Charles Aranguiz auf der Bank Platz. Als er nach einer Stunde für Henrichs aufs Feld kam, brandete hoffnungsvoller Jubel unter den rund 25 000 Zuschauern auf. Der aber verstummte prompt, als die Hertha das zweite Tor erzielte.

Die Entstehung des Treffers zeigte, dass an diesem Tag auch im Abwehrverbund "die Frische im Kopf" fehlte, wie Herrlich es beschrieb. Einen langen Ball der Hertha nahm der in dieser Saison sonst zuverlässige Innenverteidiger Jonathan Tah mit der Brust an. In seinem Rücken lauerte da schon Salomon Kalou, der sich das Spielgerät schnappte und durch die Beine von Torwart Bernd Leno zum Endstand einschob. Tah musste sich nach seinem Aussetzer von Nebenmann Sven Bender trösten lassen.

Herthas Rückkehrer Jarstein pariert die wenigen Leverkusener Chancen

Schon beim ersten Treffer kurz vor der Halbzeitpause hatte die Hertha bewiesen, dass sie gedanklich wacher war als Leverkusen: Bayers Panagiotis Retsos spielte einem schlampigen Pass im Aufbauspiel, die Berliner schalteten blitzartig um, Vladimir Darida steckte auf den über links heranrauschenden Valentino Lazaro durch, der den Ball zu seinem Bundesliga-Premierentor im rechten Eck versenkte. Der im Sommer aus Salzburg gekommene Österreicher war einer der besten Spieler auf dem Platz.

Ein weiterer: Rückkehrer Rune Jarstein, der nach drei Spielen Verletzungspause wieder im Hertha-Tor stand. Bereits nach zehn Minuten lenkte er einen Kopfball von Retsos aus kurzer Distanz übers Tor, auch einen Flugkopfball des eingewechselten Joel Pohjanpalo hielt er stark. Er war immer zur Stelle, wenn er gebraucht wurde und ein Sicherheitsfaktor im Berliner Spiel. Nur einmal, in jener verrückten 70. Minute, die zum indirekten Freistoß im Berliner Strafraum und zur Mauerbildung führte, passte er nicht auf: Einen auf sich zurollenden Ball berührte er mit den Händen, ließ ihn aber liegen, nur um ihn wenige Sekunden später doch aufzunehmen. Regelwidrig, meinte Schiedsrichter Patrick Ittrich. "Ich habe das mein ganzes Leben so gemacht", sagte Jarstein später trotzig. Sein Fehler blieb folgenlos. Gegen ihn und seine Mauer war an diesem Tag auch Leon Bailey aus sechs Metern chancenlos. "Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass wir noch eine Stunde hätten spielen können und kein Tor gemacht hätten", sagte Herrlich.

Leverkusen ist so der Verlierer des Spieltags. Schon das Hinspiel in Berlin hatte Bayer 1:2 verloren, sich aber in den 16 Spielen danach nur Bayern München geschlagen geben müssen. Statt des erwarteten Sprungs zurück auf Platz zwei rutscht Leverkusen ab auf Platz fünf, weil die Konkurrenz aus Frankfurt und Dortmund siegte. Bei Bayer gewannen sie an diesem Tag lediglich die Erkenntniss, dass sie eben nicht jedes Mal in der Lage sind einen Rückstand aufzuholen, so wie noch im Pokal gegen Bremen.

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