Igor Leschtschenja unterstützt als Minsker Botschafter in der Slowakei die Proteste in seiner Heimat. Warum tut er das, und wie schätzt er die Lage in Belarus ein?
Noch ist Igor Leschtschenja der Botschafter von Belarus in der Slowakei. Er war jahrelang außenpolitischer Berater des Präsidenten Alexander Lukaschenko und hatte seine Karriere bereits im sowjetischen Außenministerium begonnen. Nach dem Beginn der Proteste jedoch zeichnete er eine Videobotschaft auf, in der er Folter und Gewalt gegen friedliche Demonstranten verurteilte und seine Solidarität mit den Protestierenden verkündete. Der 52-jährige Diplomat muss seinen Posten deswegen in Kürze räumen.
ZEIT ONLINE: Herr Leschtschenja, wie hat das Außenministerium auf Ihr Video reagiert und was werden Sie jetzt tun?
Igor Leschtschenja: Am Tag, nachdem mein Video veröffentlicht wurde, bekam ich einen Anruf aus dem Außenministerium in . Mir wurde gesagt, dass meine Position den Rahmen dessen übersteigt, was sich ein Botschafter erlauben kann, der den amtierenden Präsidenten vertritt.
Ich stimmte zu und reichte meinen Rücktritt ein. Formell bin ich noch Botschafter, doch sehr bald kehre ich aus Bratislava nach zurück. Natürlich werde ich für das Außenministerium nicht mehr arbeiten können. Das ist ein Schritt ins Ungewisse, aber so ist es halt, ich muss ein neues Leben beginnen.
ZEIT ONLINE: Warum haben Sie die Entscheidung getroffen, sich öffentlich über die Proteste zu äußern?
Leschtschenja: Die Situation in Belarus veränderte sich sehr schnell. Auch ich habe mich mit jedem Tag verändert. Noch am 11. August, zwei Tage nach der Präsidentschaftswahl, konnte ich mir so einen Schritt nicht vorstellen. Doch schon am 15. August habe ich mein Video aufgenommen, in der Nacht darauf wurde es im Internet verbreitet. Meine Entscheidung war nicht Teil eines ausgeklügelten Plans. Als ich mein Video aufnahm, wurde vielen Menschen gerade erst klar, wie schlimm die Lage wirklich ist. Ich nahm es auch nicht in einem Zustand der Euphorie auf, ich war sehr traurig und die Tragik der Situation war mir bewusst. Die Machthaber in Belarus wollen das Volk nicht sehen und nicht hören. Das Volk wiederum will die heutigen Machthaber nicht mehr haben.
Schauen Sie auf meine Heimatstadt Schodsina. Dort traten die Mitarbeiter des Nutzfahrzeugherstellers BelAZ in den Streik. Sie wollen das Positive, was in der Zeit von Lukaschenko erreicht wurde, erhalten - eine gute Fabrik, ihr Gehalt und soziale Sicherheit. Doch sie wollen auch die Freiheit haben, ihre Meinung zu äußern. Sie wollen bei den Wahlen abstimmen und das Gefühl haben, dass ihre Stimme zählt. Und sie waren natürlich empört darüber, wie die Polizei gegen Protestierende vorging, über die Festnahmen ihrer Kollegen und zufälliger Passanten.
ZEIT ONLINE: Wird Ihre Meinung von Ihren Kollegen im Außenministerium geteilt?
Leschtschenja: Ich kann nur vermuten, dass sie mich unterstützen, denn wie ich höre, herrscht im Außenministerium gerade eine unruhige Stimmung. Aber ich habe aus Prinzip niemanden angerufen, um meinen Kollegen keine Probleme zu bereiten. Ich bin selbst Beamter und verstehe Beamte sehr gut. Diplomatie ist ein besonderer Beruf und viele Kollegen haben Familien, die sie unterstützen müssen. In Minsk veranstalteten zwei Mitarbeiter des Außenministeriums eine Protestaktion und wurden sofort gefeuert oder mussten selbst gehen.
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